Frank Pfeifer

Der Junge mit dem Feueramulett: Der heilige Vulkan


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Den Schergen, den Wachen und ihrer Willkür. Dem unausgesprochenen Verbot, dem Schöpfergott Branu zu huldigen. Dann beugt man sein Haupt eben vor Goiba, der Göttin der Nacht. Ist ein braver Bürger. Hauptsache man hat abends einen Krug mit Schoff auf dem Tisch, mit dem man seine Sorgen hinunterspülen kann. Aber Flanakan und seine Oberpriesterin Tsarr hatten die Daumenschrauben immer enger angezogen. Man konnte es sich in seiner Nische einfach nicht bequem machen. Und seit einigen Jahren die Leibeigenschaft! Gerade für die jungen Toraks wie Gsams Söhnen war die Bedrohung unerträglich, für eine geringes Vergehen die Freiheit einbüßen zu müssen. Ein Mensch konnte sich selbst bei Schwerverbrechen freikaufen, einem Torak wurde für Kleinigkeiten das Joch aufgezwungen. Und dann war dieser Junge aufgetaucht, Kard! Ein Kind des Feuers. Solch einen Menschen hatte es zuletzt unter den Drachenkönigen gegeben. Nur dass die Drachenprinzen damals derart arrogant gewesen waren, dass sie auf alle anderen Wesen Conchars, nicht nur auf die Toraks, wie auf dreckige Würmer hinabgesehen hatten. Für ihn, Wallas, war Flanakan damals ein Held gewesen. Ein halber Vampyr, ein Bastard, ein Ausgestoßener, der es wagte, den überheblichen Herrschern die Stirn zu bieten. Aidan, der Gerechte? Das wurde er erst Jahrzehnte später, als die Wesen Haragors sich nicht mehr an ihn erinnern konnten und sie eine Geschichte brauchten, um der zunehmenden Drangsalierung Flanakans etwas entgegensetzen zu können.

      Und hätte er jemals einen Gedanken an den Widerstand vergeudet, wenn ihm jemand gesagt hätte, dass er eines Tages aufwachen würde und die Rauchsäulen seiner niedergebrannten Schmiede hinterherschauen würde? Er sah noch genau, wie der Rauch vom Wind erfasst wurde, von ihm in kleine Stücke gerissen und dann einfach zerfasert wurde, sodass nichts mehr übrig blieb?

      Eigentlich war er im Grunde seines Herzens doch auch nur ein einfacher Torak. Wesen, die in den Jahrtausenden des Nomadentums gelernt hatten, Sturm, Kälte und Hitze gleichmütig zu ertragen. Und war der Widerstand im Grunde nicht doch nur jugendlicher Trotz, weil er tief im Herzen noch die Hoffnung hegte, dass er einen würdigen Platz in dieser Welt beanspruchen durfte? Jugendlicher Trotz? Wallas schnaubte verächtlich. Über hundert Jahre war er jetzt alt und handelte immer noch aus jugendlichem Trotz? Aber selbst jetzt hatte er, wenn er in seinem Versteck den Wind durch das Winxgras streichen hörte und in die Sterne sah, keine bessere Erklärung.

      Und immer mehr hatte sich Flanakan, der Bastard, der Ausgestoßene, der es eigentlich besser wissen sollte, den Menschen zugewandt. Er hatte ihnen mehr Privilegien zugestanden und den Toraks und all den anderen Wesen diese aberkannt. Und so war der alte Wallas immer trotziger geworden. So wie andere Toraks und sogar einige Menschen, die ebenfalls sahen, dass hier ein Gleichgewicht gestört war. Eine Trotzbewegung.

      Aber die meisten der geduldigen Toraks ertrugen doch lieber das Joch, als sich der Gefahr auszusetzen, dass man ihnen auch noch die letzten Bequemlichkeiten entriss. Mit der Gewissheit, dass es in jeder Wüste irgendwo ein Wasserloch gab, dass alle Stürme irgendwann verebbten, wenn man nur lange genug wartete. Und wartete und wartete und wartete. Und wartete und wartete und wartete. Und … irgendwann tot umfiel. Hauptsache mal landete nicht in einer von betrunkenen Riesenkaninchen niedergetrampelte Lichtung. Ohne Dach über den Kopf, ohne Schoff und gejagt von allen Schergen und Wachen des Reiches. Wallas stöhnte innerlich auf. War er denn noch zu retten? Was hatte er hier zu suchen?

      Und war es richtig gewesen, alle Hoffnungen auf ein halbes Kind zu setzen? Kard war sicherlich kein gewöhnlicher Mensch. Seine magische Verbindung zum Feuer war unübersehbar. Aber würde er die Aufgabe meistern können, die er, Wallas, ihm zugedacht hatte? Würde er es bis zum Onchu schaffen, um das Minas-Schwert weihen zu lassen? Ein geweihtes Schwert, um sich damit gegen Flanakan zu stellen. Jetzt, alleine unter dem Sternenhimmel, kam ihm dieser Plan doch ziemlich einfältig vor.

      Ein wirkliches Ziel hatte er selbst in diesem Moment auch nicht. Wohin sollte er gehen? Er wusste von anderen Unzufriedenen in anderen Städten. Aber die Verbindungen waren nur lose. Im ersten Augenblick fiel ihm niemand ein, zu dem er in dieser Situation fliehen konnte. In Conchar selbst gab es natürlich einige Toraks und Menschen, denen er vertraute. Aber nach Conchar zurückzukehren, wäre Selbstmord gewesen. Inwieweit sich der Widerstand außerhalb der Hauptstadt organisiert hatte, wusste er nicht genau. Es gab nur Gerüchte und Erzählungen, aber der Kontakt zwischen ihnen war noch nie besonders ausgeprägt gewesen.

      Er würde in die Alte Stadt gehen! Sie war weit weg von Conchar und Flanakan und ihre Bürger standen im Ruf, sich ständig gegen die Repressalien des Herrschers aufzulehnen. Dafür patrouillierten in den Gassen auch dreimal soviel Wachen wie in Conchar und man musste wirklich aufpassen, keinem Spitzel in die Hände zu fallen. Überhaupt drehte sich in der Alten Stadt inzwischen alles nur noch um Argits, um das verführerische Klirren der Münzen. Nachdem Flanakan und Tsarr eingesehen hatten, dass sie aus der ehemaligen Hochstätte des Branu-Kultes keine mustergültige Goiba-Kolonie machen konnten, hatten sie der Stadt Lizenzen für das Glücksspiel gegeben. Ein gewiefter Schachzug. Denn in der ehemaligen und inzwischen verarmten Minenhochburg des Reiches, in dem nach der Großen Schlacht die meisten Zechen zum Stillstand gekommen waren, konnte sich Flanakan auf diese Weise als Heilsbringer feiern lassen. Und die Wesen, wenn er sie schon nicht mit der Ehrfurcht vor Goiba beeindrucken konnte, wenigstens mit ihrer Gier nach Geld und Gold an die Geschicke des Reiches binden.

      Außerdem kannte Wallas in der Alten Stadt einige Erzhändler, da er dort schon einige Male selbst Nachschub für seine Schmiede in Conchar besorgt hatte. Und natürlich Tsarkoik, der Kopf des Widerstandes in der Alten Stadt. Wenn er noch lebte? Denn er war genauso alt wie Wallas. Spitzel gab es natürlich auch überall, er würde die Augen offen halten müssen. Aber Tsarkoik galt als ein unbescholtener Erzhändler, einer der wenigen, die auch mit Silber handelten und aus dessen Eisen man aus unerfindlichen Gründen ein gleichzeitig festes wie biegsames Metall herstellen konnte. Dies war zwar bestens geeignet für Küchenmesser aber man konnte auch Schwerter damit herstellen.

      Damals, als er mit der alten Gova Kard im Waisenhaus der Goiba-Schwestern gefunden hatte, war Tsarkoik sein Gastgeber gewesen. Und das war ja in den Augen eines Toraks noch nicht so lange her. Vor sieben oder acht Jahren, keine Zeit für einen alten Torak. Also auf in die Alte Stadt, dachte Wallas, in diesen Morast aus Gier, Trunksucht, Spitzeln, Wachen und seltsamerweise einigen Freunden.

      *

      Kard war sich sicher, dass inzwischen nicht nur der Oberste Scherge des Reiches, Laoch, ihnen auf den Fersen war, sondern dass auch Amazonen und besonders die fischigen Ichtos ihre Spitzel ausgesandt hatten, um des Minas-Schwertes habhaft zu werden. Den Ganzkörperanzug, den er seit seiner Tätigkeit als Putzsklave bei den Amazonen trug, musste er in Klatschmünde irgendwie loswerden. Er könnte ihn aber als Schlafanzug behalten, überlegte Kard. Der Stoff war so kuschelig weich! Wenn er nicht nackt durch die Gegend laufen wollte, musste er sich allerdings noch eine Weile damit begnügen. Die Kapuze hatte er vorsorglich abgetrennt, und wenn er Ärmel und Hosenbeine hochgekrempelte, sah man auf den ersten Blick nicht, dass es die Arbeitskleidung eines Amazonensklaven war. Trotzdem ging ihr erster Gang in Klatschmünde in ein Bekleidungsgeschäft. Als er mit seinem Freund Odysseus zum letzten Mal hier gewesen war, hatte er nicht viel von der Stadt gesehen, da sie sich nur im Hafenviertel aufgehalten hatten. Als sie diesmal durch die Randgebiete die Stadt betraten, fiel ihm erst auf, welches Labyrinth die Gassen und Häuser bildeten. Zum Glück hatte er Madad an seiner Seite, der nicht nur immer gut gelaunt war, sondern dessen Nase ihm immer den rechten Weg wies.

      Und Kard hatte von Odysseus gelernt. Madad hatte ihn zu einem Geschäft geführt, indem nicht nur Stoffe, sondern auch Frauenkleider angeboten wurden. Kaum hatten sie den Laden betreten, roch auch Kard den feinen Hauch von Parfum. Es erinnerte ihn entfernt an den Duft des Zinnobermoschus, mit dem Rosie sie vor den Dungratten gerettet hatte. Aber während sich Odysseus bei Kards letztem Besuch in einem ähnlichen Geschäft in eine waschechte Amazone verwandelt hatte, sollte es für Kard diesmal etwas anderes sein. Mit zusammengebundenen Haaren, verstellter Stimme und neuem Kleid konnte aus dem Jungen ein Mädchen werden. Aus dem Amazonensklaven Kard wurde nun die arme Waise Kardania, die mit ihrem Hund durch Haragor vagabundierte. Schön wäre es gewesen, wenn man Madad noch in ein Schaf oder ein Trüffelschwein hätte verwandeln können. Aber Madad wehrte sich heftig gegen die Idee, dafür einen Branu-Priester zu suchen, der einen Verwandlungszauber anwenden könnte. Einerseits wäre das wohl angesichts ihrer zusammengeschrumpften Reisekasse unerschwinglich gewesen, andererseits