Frank Pfeifer

Der Junge mit dem Feueramulett: Der heilige Vulkan


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Credna-Gova, die ihnen das Mittel verkauft hatte. In dem kleinen Laden stapelten sich in den Regalen dutzende von Schälchen und Kästchen mit undefinierbaren Ingredienzien. Eine Unzahl verschiedenster Parfums, Haarfärbemittel oder Pinsel in allen Größen wurde genauso zum Kauf angeboten wie Pasten und Pillen zur Verschönerung der äußeren Erscheinung. Der helle Schrei der Gova unterbrach Kards Verwunderung über die Mannigfaltigkeit des Angebots. Als Kard und Madad den winzigen Laden betreten hatten, war die Gova gerade nicht hinter dem Verkaufstresen gewesen, sondern hatte im Dunkel dahinter fluchend in irgendwelchen Kisten gewühlt. Offensichtlich hatte sie nicht bemerkt, wie die beiden riesigen Haarbüschel den Laden betreten hatten, denn als sie jetzt den Verkaufsraum wieder betrat, hatte ihr der Anblick der haarigen Wesen einen riesigen Schreck versetzt. Die Gova, eine kleine Menschenfrau mit ersten grauen Strähnen, trug ein einfaches dunkelblaues Kleid, das mit vielen roten Herzen bestickt war.

      »Du bist… du bist doch die…?« Weiter kam die Gova nicht, denn eine Lachsalve schüttelte sie derart, dass die tausend Herzen auf ihrem Kleid wild durcheinander hüpften.

      Jetzt meldete sich auch Madad zu Wort. »Yo, also sooooo lustig ist das nicht.«

      Kard gab dem zweiten Haarbüschel einen Tritt und Madad verstand und hielt fortan die Schnauze. Es musste nicht jeder wissen, dass sich hier ein Cu versteckte. Die Gova schien bisher noch nicht bemerkt zu haben, dass sich unter den Haaren zwei Wesen versteckt hatten.

      »Aaah, haaa, aaah, haaa.« Die Frau hielt sich den Bauch und kam aus dem Prusten gar nicht mehr heraus. »Das hatte ich schonmal, ist aber schon eine ganze Weile her. Du musst mir gar nichts sagen. Ich weiß schon. Die ganze Packung. Aaah, haaa, aaah, haaa.«

      Kard kam sich ganz schön dumm vor und war froh, dass die Haare sein ganzes Gesicht bedeckten. Wahrscheinlich war er darunter rot wie eine Tomate.

      »Und…äh…?«

      »Ja, ja, ich weiß schon. Ein Gegenmittel, ha, ha, ha. Du hast Glück, junge Frau. Weißt du, wir Frauen rennen immer einem Ideal hinterher und sind nie mit uns so zufrieden, wie wir sind. Die einen haben zu kurze Haare, die anderen einen zu dicken Bauch, die einen sind zu groß, die anderen zu klein. Und für alles habe ich ein Mittelchen. Weißt du, Mädchen. Liebe ist eine Illusion. Wir machen uns schön für unser Spiegelbild und für die Männer und am Ende glauben wir an die von uns selbst geschaffene Illusion. Mir soll es recht sein, ist mein Geschäft. Und für die, die schönes wallendes Haar haben wollen, gibt es Haarwuchsmittel und für die, denen Damenbart und Haare auf den Beinen nicht gefällt, gibt es auch verschiedene Mittelchen. Lass uns mal schauen.« Immer noch vor sich hin glucksend führte die Gova die behaarte Kardania zu einem Regal und holte, nachdem sie die verschiedensten Aufschriften durchgegangen war, ein Kästchen hervor.

      »Aber diesmal nicht alles auf einmal nehmen. Verstan-den?«

      Das Haarbündel nickte und Kard las leise die Aufschrift. »Grottenolmextrakt. Nur bei Neumond einnehmen.«

      »Genau. Nur bei Neumond. Und diesmal würde ich dir raten, dich auch daran zu halten. Kennst du Grottenolme?«

      Die Haare schüttelten sich.

      »Sie leben tief in den Höhlen von Schtalyr, der Heimat der Vampyre. Kein Lichtstrahl dringt je in ihren Lebensbereich. Wird ein Grottenolm auch nur wenige Augenblicke dem Licht, dem Fluch Branus, ausgesetzt, dann schmilzt seine Haut wie Eiszapfen in der Sonne.« Mit vielsagendem Blick schaute die Gova auf die starre Riesenperücke vor ihr. »Und wenn du so dumm bist, eine dieser Pillen nicht in der dunkelsten Nacht der dunkelsten Nächte zu nehmen, wird sich deine Haut auflösen wie die eines Grottenolms.«

      Die Gova wartete, bis sich die schaurige Wirkung ihrer Worte auch schön in Kards Gehirn eingeätzt hatte.

      »Angesichts der Beschwerden kannst du dann aber gleich drei dieser Pillen nehmen. Normalerweise nimmt man nur eine. Aber du bist… ein Sonderfall.« Schon wieder musste die Gova lachen und verbarg dies nur schlecht hinter ihrer hohlen Hand.

      Kard war das Lachen vergangen. So ein Mist, das alles hier. Er nahm die Pillen und dann machten sich er und Madad so schnell wie möglich aus dem Staub. Die Kosmetik- und Schönheitsartikelverkäuferin sah verwundert, wie sich im Dickicht der großen Perücke noch ein zweites Wesen zu bewegen schien. Nachdem sie wieder allein war, bildete sie sich ein, dass ihr Laden nach nassem Hundefurz roch. Aber im Lauf der Jahre hatte ihr die Nase auch schon so manchen Streich gespielt, sodass sie hier keinen weiteren Gedanken verschwendete.

      Es mag unheimlich unpraktisch sein, mit so langen Haaren durch die Gegend laufen zu müssen. Dauernd stolpert man darüber, bleibt an jeder Ecke damit hängen und wird von den Leuten komisch angeguckt. Aber es hatte eben auch seine Vorteile. Niemand erkannte einen! Kard und Madad waren einfach zwei wandelnde Wischmopps. Sie waren weder Mensch noch Torak noch Cu noch Hund. Die meisten hielten sie tatsächlich für Wahter, die man derart selten zu Gesicht bekam, dass niemand genau sagen konnte, wie sie aussahen. Da die Wesen bestrebt sind, alles Unbekannte in Bekanntes zu verwandeln, waren Kard und Madad nun eben langhaarige Wahter. Da den beiden dies absolut recht war, hatten sie sich auch entschlossen, die Haare nicht vollkommen abzuschneiden. Jeder weiß ja, dass Haare um so schneller wieder nachwachsen je öfter man sie rasiert. Immerhin hatten sich die beiden entschlossen, die Haare dann auf Fußhöhe zu kürzen, damit sie wenigstens ohne großes Stolpern durch die Welt kamen. Aber bereits mittags waren die Pracht auf eine Länge gewachsen, dass sie sich beim Gehen vorsehen mussten.

      Aber wie kamen sie jetzt in die Alte Stadt, ohne dauernd über die eigenen Füße zu fallen? Da sie dank ihrer Haarpracht quasi inkognito reisten, konnten sie nun auch öffentliche Verkehrsmittel benutzen. So konnten sie als Deckmatrosen auf einem Frachtschiff anheuern, das die Klatsch bis zum Wasserfall befuhr, der sich aus der Hochebene von Asch-by-lan herabstürzte. Denn sie waren die besten Deckschrubber weit und breit. Indem sie einfach mit den Füßen über die Planken schlurften und die eigenen Haare dabei als Putzlappen benutzten, erzielten Kard und Madad eine Sauberkeit, die dieses Frachtschiff, die Morana, bisher noch nicht kennengelernt hatte. Zweimal am Tag kürzten sie ihre Haare beziehungsweise diese matschige, verklebte Pampe, zu denen die Haarenden sich inzwischen verwandelt hatten, und legten ein kleines Päuschen ein. Die reichte aus, damit wieder putzfähiges Material nachwachsen konnte. Zwar blieben sie oft an Astlöchern und Kerben hängen und erfreuten die Mannschaft dann mit Jaulen und Flüchen, aber nach einer Weile hatten sie ein Tempo und ein Haarspitzengefühl, dass sie diese Unannehmlichkeiten großteils vermeiden konnten. Der Kapitän der Morana, ein Torak namens Kslam, der in seinem ganzen Leben noch nie weiter als bis zu den Klatschfällen gereist war, war ganz begeistert von den Wathern, die er nun an Bord hatte.

      Madad wusste, natürlich von Mama, dass die Wahter eine dunkle, singende Stimme hatten, also versuchten sich die beiden in solch einer Tonlage. Am Abend ihres ersten Tages, als die zwei Bos-Ochsen, die das Schiff gegen die Strömung zogen, abgeschirrt und die Morana am Ufer vertäut war, versammelte sich die Mannschaft um die beiden augenlosen Riesenperücken, um alles aus dem Leben der Wahter zu erfahren. Kard war ein wenig hilflos, denn er wusste selbst ja nichts über die richtigen Wahter. Außer eben, dass es kleine behaarte Wesen waren, die tief in den Wäldern des Drachengebirges hausten. Aber der kleine Bucklige, so nannte die Mannschaft Madad, die nicht sehen konnte, was sich hinter dem Haarvorhang tatsächlich befand, wusste natürlich, dank Mama und einer übersprudelnden Fantasie, doch einiges zu berichten.

      »Nein, nein«, sang Madad in dunklem Bariton, jede Silbe so lange wie möglich hinziehend, »wir sehen nicht alle so aus. Wir haben eine Wette verloren.« Pause, Pause, Pause. Alle Vokale nachklingen lassen. Pause. Pause. Pause. Die Mannschaft war ganz Ohr. »Natürlich ging es um ein Mädchen.« Ein Mädchen? Oh, jetzt wurde es interessant. Die Mannschaft, die wie der Namen ja schon sagt, aus lauter Männern, Toraks, Menschen und sogar einem Ichto-Lotsen, bestand, platzte vor Neugier. Einer wagte es sogar, eine Frage zu stellen. In Bemühen, sich dem Sprachtempo der vermeintlichen Wahter anzupassen, sprach der Matrose sehr, sehr, sehr langsam.

      »Also gibt es bei euch auch Mädchen?«

      Pause.

      Pause.

      Pause.

      »Ja.«

      Pause.