Adalbert Dombrowski

Der Preis für ein Leben ohne Grenzen - Teil I


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meisten kümmerte sich Opa Kazimierz um uns und versuchte alle Kriegsgrauen von uns fernzuhalten. Deswegen dauerte unsere Kindheit an. In der letzten Zeit sagte er öfters, dass es im Osten gar nicht so gut sei, wie die Deutschen in ihren Zeitungen behaupteten. Irgendwie klappt das nicht mit dem Blitzkrieg.

      Derweilen begannen in Tuchola immer mehr deutsche Soldaten aufzutauchen. Sie kamen zur Rekonvaleszenz nach einem Krankenhausaufenthalt. Wälder, die wunderschöne Umgebung und die Ruhe gaben ihnen Kraft. Häufig sahen wir sie auf Spaziergängen mit Pflegerinnen des deutschen Frauenhilfsdienstes. Wenn wir Indianer spielten, waren die spazierenden Paare Zielobjekte unserer Pirsch.

      An einem warmen Nachmittag in der Nähe des Sees bemerkten wir ein Pärchen, welches in unserer Richtung ging. Schnell robbten wir auf die Anhebung und im Gras versteckt, beobachteten wir, was passierte. Die Verliebten setzten sich hinters Gebüsch. Nach einer Weile begann der Soldat seine Auserwählte zu küssen und ihr zügig die Kleider auszuziehen. Plötzlich verschwanden sie im hohen Gras. Nach ein paar Minuten standen sie wieder auf, zogen sich an, klopften sich ab und gingen lachend zurück in Richtung Stadt. Was auch immer sie da gemacht haben, es musste Spaß machen, dachte ich mir. Wir waren ein wenig zu weit weg, so dass wir nicht viel sehen konnten, dennoch hatte dieses Ereignis meine Phantasie bewegt. Ich beschloss, es selbst zu überprüfen. Krzysztof war nicht im Hof. Wahrscheinlich hatte er wieder etwas ausgefressen und deswegen mal wieder Hausarrest bekommen. Mit Edek liefen wir in seinen Hof, in die Garage, wo das Auto seiner Eltern stand. Uns folgte Basia, Edeks um ein Jahr jüngere Schwester. „Ich will mit euch spielen", teilte sie entschieden mit. „Ich bin der Chauffeur und ihr sitzt hinten, los!" ordnete Edek an.

      Mit Basia setzte ich mich auf die Hinterbank des Autos und ich wusste schon, was zu tun ist. „Jetzt ziehen wir uns aus und Du legst Dich auf die Sitzbank", sagte ich zu Basia und sie schaute mich verdutzt an, zog aber gehorsam ihr Kleid und ihre Unterhose aus. Die nackte Basia legte ich auf der Sitzbank zurecht, legte mich auf sie und so lagen wir dann. Wir lagen und lagen und lagen, bis Basia unruhig wurde: „Mir ist kalt", hörte ich eine leise Beschwerde des Mädchens. „Mir ist nicht bequem und Du bist zu schwer, geh runter", sagte sie. Mir war auch kalt und dieses herumgeliege war gar nicht so toll, fand ich.

      Es kam ein wunderschöner Sommer. Am Ortsrand hinter den Gärten, befand sich auf der sumpfigen Wiese ein Entwässerungskanal. Ein ungewöhnlicher Ort für sommerliches Planschen und Spielen. Wie immer bemühte ich mich, die Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Meine angeborene Beweglichkeit drängte dazu, meinen jugendlichen Körper in Brücken, Handstände und verschiedenartigste Verrenkungen zu biegen sowie auf Händen zu gehen. Vom Schwimmen und Spielen erschöpft legte ich mich ins Gras, starrte in den Himmel und beobachtete die Wolken: wunderschön, einzigartig, vollkommen. Ich habe mich in sie verliebt und könnte sie endlos beobachten. Manchmal nahmen wir Körbe mit zum Fluss. Wir wateten im Wasser auf der Suche nach Krebsen. Wir schauten unter Steine und zwischen Baumwurzeln. Mit Körben voller Beute kehrten wir heim. Abends stellte Oma Ludwika einen riesigen Topf Wasser auf den Ofen und warf die Krebse hinein - sie quiekten.

      Eines Tages besuchte uns Tante Iza Biernatzki aus Hamburg mit ihren Töchtern: die jüngere Iza und die ältere Christa. Iza mochte ich sehr gerne. Wir waren gleich alt und sie hatte wie ich einen Kopf voll verrückter Ideen. Christa erinnerte mich eher an Rysia, so dass es nicht verwunderlich war, dass sie immer ihre Angelegenheiten hatte. Die Mädchen konnten überhaupt kein Polnisch, aber das stellte keinerlei Hindernis dar. Ungezwungen sprachen wir Deutsch.

      Eines sonnigen Tages nahm ich den Korb und überredete Iza zu einer Expedition an den Kanal. Freudig stimmte sie zu. Wir gingen durch verwinkelte Straßen. Irgendwann begann Iza sich zu beschweren, dass es zu weit sei und ihr die Beine weh taten. Ich wollte nicht umkehren, denn der Kanal war schon so nah. Ich nahm sie also huckepack und trug sie bis zur Wiese. Im kühlen Wasser verging ihre Erschöpfung schnell. Wir hatten eine tolle Zeit zusammen. Abends brachten wir einen vollen Korb mit Krebsen mit. Zugegeben, er war sehr schwer. Als die Cousinen mit der Tante wieder nach Hause fuhren wurde es auffallend leise und das stimmte mich traurig.

      Eines Tages gab Mama bekannt, dass wir mit dem Zug zu den Großeltern nach Zembrze fahren werden. Denn Polizeimann Trippan hatte Mama vorgewarnt, dass die Deutschen junge Frauen zur Zwangsarbeit ins „Reich" schicken. „Verlasse Tuchola unbedingt für einige Wochen und komm erst wieder zurück, wenn es sich beruhigt hat", fügte er hinzu.

      Mit dem Zug fuhren wir bis Radoszki. Am Bahnhof wartete Onkel Bolek mit einem mit zwei Pferden bespannten Wagen. Die Reise mit dem Pferdewagen war ungewöhnlich. Ich überlegte, wie es möglich sein kann, dass die Pferde den Unterschied zwischen „hetta" (Kommando: nach rechts) und „viśta" (nach links) verstanden. Schließlich erreichten wir einen riesigen Bauernhof. Ich erblickte eine große Scheune sowie Ställe mit Kühen und Pferden. Hinter dem Haus breitete sich ein weitläufiger Obstgarten mit Kirschbäumen aus. Ungestraft konnte ich bis an die Spitze der Bäume klettern und mit den Kirschkernen umherspucken. Ich war zufrieden und fühlte mich frei wie ein Vogerl. Für uns Kinder war es am wichtigsten, dass wir eine Menge an Cousinen und Cousins hatten, mit denen wir bis zum Umfallen spielen konnten. Auf dem Hof wohnten neben den Großeltern Ignacy Dąbrowski und Anna aus dem Hause Teodziecki, Papas ältester Bruder, Onkel Bolesław und Tante Helena aus dem Hause Sasowski, sowie ihre Kinder: die liebe Terenia, Zosia und Józik. Aus dem nahen Ort Radoszki kamen Kazik, Gercia, Marta und Jadzia regelmäßig mit dem Pferdewagen zu Besuch. Das waren die Kinder von Papas jüngerem Bruder, Onkel Józef und seiner Frau Weronika aus dem Hause Drwęcki. Mama ging mit den Tanten und Onkels aufs Feld und half bei der Ernte mit. Wir Kinder rannten, wie ein aufgescheuchter Haufen um die Erwachsenen herum. Mama nahm die hölzerne Harke, hob sie in die Höhe und stellte das Griffende auf ihren Zeigefinger. Auf diese Weise balancierend tanzte sie leicht und gewandt. Dabei lachte sie und wir schauten ihr wie verzaubert zu. Was für ein Kunststück! Die Tage in Zembrze vergingen wie ein Peitschenschlag und wir kehrten wieder nach Tuchola zurück.

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      1942, bei meinen Großeltern Dąbrowski in Zembrze. Von links: meine Mutter, Cousine Jadzia, Großmutter Anna, ich, Großvater Ignacy. Oberhalb der Großeltern: Cousins Gercia und Józio. Rechts stehen meine Schwester Rysia und Cousine Marta, über ihnen die Frau meines Onkels - Bronisława

      Mit Edek begannen wir im Speicher bei unserem älteren Freund zu sitzen, welcher Flugmodelle zusammenklebte. Irgendwann zeigte er uns, wie man einen Drachen baut. Von Opa Kazimierz bekam ich dünne Leisten und Packpapier. Mit Edek malten wir Augen und ein lächelndes Gesicht. Aus farbenfrohen Papierchen, in welche Süßigkeiten gewickelt waren, die ich von Tante Szulc geschenkt bekommen hatte, machte ich einen langen, farbigen Schwanz. Wir ließen ihn auf der Wiese beim Głęboczek fliegen. Wunderschön bewegte sich der Drachen am Himmel. Fröhlich flatterte sein langer Schwanz. Ein kräftiger Windstoß riss unseren Drachen hinfort in die Krone einer vertrocknenden Pappel. Es war das Ende unseres und unseres Drachens.

      Mit den Jungs spielten wir auch Ritter. Mit Schwertern aus Stöcken trugen wir Schlachten und Turniere aus. Doch was sind das für Ritter ohne Pferde? So kam mir eines Tages eine wunderbare Idee! Neben der Scheune, in welcher das Auto parkte, gab es gemäuerte Speicherabteile und in einem davon wohnte Frau Malinowskas Ziege. Die Ziege kann doch ein prachtvolles Ross vertreten! So wie wir eines brauchen! In meinen Hosentaschen hatte ich immer lauter Zeugs, so dass sich auch ein Stück verhedderter Schnur voller Knoten finden ließ. Gemeinsam mit Edek befestigten wir die Schlinge, um das „Pferd" in den Hof zu führen! Edek ging in das dunkle Speicherabteil und warf der Ziege die Schnur um den Hals. Wir griffen das andere Ende und zogen dran, zogen aus ganzer Kraft. Die Ziege meckerte und röchelte, blieb aber stur, stemmte sich dagegen und wollte um nichts in der Welt rauskommen. Wie eine Ziege eben! Wahnsinnig erschöpft waren wir und wütend auf das dumme Tier, das uns unser Spiel kaputt gemacht hatte, so gingen wir heim. Erst am nächsten Tag zeigte sich, dass wir nicht schlecht für Ärger gesorgt haben. Als Frau Malinowska in der früh ihre Ziege füttern und melken ging, fand sie diese leblos vor! Das arme Tier rüttelte sich um sich zu befreien, doch die Schlinge zog sich immer weiter zu, immer mehr und mehr bis sie schließlich an einem der Knoten festklemmte und erstickte. Wir wussten davon nichts. Mit der verwickelten Schnur, dem Beweis unseres Vergehens in Händen, war Frau Malinowska sofort zu