Adalbert Dombrowski

Der Preis für ein Leben ohne Grenzen - Teil I


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umherlagen. Warnungen unserer Eltern und Lehrer überhörten wir, solange es zu keiner Tragödie gekommen war.

      Doch eines Tages kam es in unserer Straße zu einer ungeheueren, von einer riesigen Staubwolke begleiteten Explosion. Unweit der Schule stand ein langes, gemauertes Haus. Zwei Burschen, die in desem Haus wohnten hatten eine Panzerfaust gefunden. Sie nahmen sie mit in den Keller, wo es zur Tragödie kam. Beinahe gänzlich wurde das Haus zerstört. Die gesamte Nachbarschaft kam zusammengelaufen. Ich lief voraus, dort waren schließlich meine Freunde! Ätzender Rauch verschloss den Kellereingang. Lange konnten wir den Keller nicht betreten. Jedoch fand ich mich als erster unten und was ich dort vorfand, kann man nur schwer vergessen. Auch Rysia war unter den herbeigelaufenen Schulkindern. Von diesem Tag an fürchtete sie sich alleine einen Keller zu betreten. Dieser Unfall führte uns vor Augen, wie gefährlich unsere Spielchen waren. Trotzdem verschwanden die Schießpulversäckchen nicht aus unseren Hosentaschen.

      Mit dem ersten Frühlingstauwetter zogen wir um in ein Zwei-Familienhaus mit abschüssigem Dach in der Konopnicka-Str. 12. Die andere Hälfte bewohnten die Herrschaften Wiśniewski. Den Innenhof teilte eine hohe, rissige Mauer. Parallel zum Wohnhaus befanden sich Wirtschaftsgebäude, die ebenfalls an die Mauer anlagen. Hinter dem Gebäude breitete sich der Obstgarten aus; mit einer Hecke vom Feld abgetrennt, welches auch zu uns gehörte. Zwei Stufen führten zur Eingangstür. Die Nachbarn waren sehr herzlich und ein breiter Riss in der Mauer erleichterte den Austausch der neuesten Nachrichten. Rysia und ich hatten zwei Zimmer im oberen Stockwerk: ein Spiel-, ein Schlafzimmer. In unserem Stock befand sich außerdem ein Badezimmer und eine ungenutzte Küche. Im Erdgeschoss befand sich die zweite Küche, das Speisezimmer und das Elternschlafzimmer. Am Flurende ging es in Papas wunderschönes Arbeitszimmer. Unter der Treppe in einer hölzernen Wand befanden sich zwei Türen. Eine führte in den Keller, die andere in eine beträchtliche, reich sortierte Speisekammer. Nach den hungrigen Kriegszeiten begannen wir nun wirklich herrlich zu essen. Wie Pilze nach dem Regen waren private Metzgereien, Bäckereien, Konditoreien und Geschäfte mit den schmackhaftesten Leckereien aus dem Boden gesprossen.

      Mama hatte eine Unmenge an Verpflichtungen mit der Betreuung der kleinen Żaba sowie der Haushaltsführung und Papa - wie üblich - war wochenlang nicht da. Er beschäftigte sich nicht nur mit dem Schulwesen, sondern engagierte sich ebenfalls politisch. Im Namen des PSL (Polskie Stronnictwo Ludowe, welches für ein unabhängiges, demokratisches Polen einstand) gründete er WICI-Kreise, also die Jugendorganisation der PSL. Nach Hause kam Papa zu den unterschiedlichsten Uhrzeiten, doch meistens nachts, wenn wir schon schliefen. Nur selten sahen wir ihn. Wenn er mal da war, hielt er sein Motorrad immer im Garten hinter dem Wirtschaftsgebäude versteckt. Warum nicht im Schuppen, fragte ich mich.

      Es war das Jahr 1946. Auf den Straßen lag noch schmutziger Schnee, doch es roch schon nach Frühling. Ich war auf dem Weg zum Schulsportplatz. Im Schulgebäude standen die Fenster weit offen. Plötzlich traf mich ein Schneeball. Auf solch eine Provokation musste ich reagieren, also packte ich in die Mitte meines Schneeballs einen Stein und warf ihn in Richtung der Provokateure in den Fenstern. Und wieder schlug ich eine Fensterscheibe ein. Zur Strafe durfte ich nicht am Unterricht teilnehmen. Ich war sauer, denn ich fühlte mich ungerecht behandelt. Ich hab doch nicht angefangen! Ich zeigs ihnen, dachte ich mir. Also ging ich zu den hölzernen Schultoiletten (Plumpsklos) am hinteren Ende des Sportplatzes. Aus meiner Hosentasche holte ich eine große, aufgerissene Patrone und ein Schießpulversäckchen, mischte eine kleine Sprengstoffladung zusammen und zündete sie an. Ich wusste: sobald dünne Flammen aus dem Geschoss zu sprühen begannen, heißt es werfen und sofort weglaufen. Also ließ ich das Geschoss in der ersten Kabine fallen und versteckte mich hinter der nahe gelegenen Böschung ... Bumm!!! Die Explosion war unerwartet effektiv: Holzstücke und brauner Brei flogen durch die Luft, es stank furchtbar. Lehrer und Schüler kamen aus der Schule gelaufen; ich lief heim. Der besorgten Mama habe ich schnell etwas geantwortet und ging von selbst brav Holz hacken, um mein schlechtes Gewissen rein zu waschen. In der Schule konnten sie sich schnell zusammenreimen, wer die Toiletten in die Luft gejagt hat. Boshaft winkte mir eine Schulfreundin mit einem Briefumschlag zu, als sie mir auf der Straße begegnete: „Ha! Ich habe von der Schule einen Brief an Deine Eltern! Du wirst schon sehen, was für eine Tracht Prügel Du bekommst! Das wirst Du noch bereuen! Hahaha", verspottete sie mich. Das konnte ich nicht ertragen. Mit Fäusten warf ich mich auf das Mädchen, riss ihr den unglückseligen Brief aus der Hand und riss ihn in Fetzen.

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      Ich im Jahr 1946

      Abends rief mich Papa mit keinen Widerspruch duldender Stimme in sein Arbeitszimmer: „Was hast Du heute angestellt?"

      „Ich habe eine Fensterscheibe eingeschlagen", sagte ich leise.

      „Und was noch", fragte er weiter in unangenehm amtlichem Tonfall.

      „Das Klo habe ich in die Luft gesprengt."

      „War das alles", fragte Papa weiter.

      „Nein, Krysia habe ich geschlagen."

      „Und was noch?"

      „Den Brief habe ich zerrissen", antwortete ich.

      Ich wusste: das Maß war voll. Papa befahl mir einen Stuhl zu holen, er holte aus dem Schrank einen Ledergürtel. Naja, ich habs abbekommen. Drei brennende Streifen spürte ich am Hintern. So sehr hats gar nicht weh getan, aber mein Stolz und meine Würde litten. Nach der „Exekution" hörte ich: „Geh zu Mama und entschuldige Dich bei ihr."

      Im Jahr 2007 besuchte ich Kamień Pomorski und meine alte Schule. Die Gebäude standen noch, doch waren sie nun Wohnhäuser. „Kann ich Ihnen helfen? Suchen Sie vielleicht jemanden", sprach mich eine ältere Dame an, die in ihrem Garten arbeitete. Wir unterhielten uns eine Weile über die Nachkriegsjahre und die Schule: „Ja, irgendein Schüler hatte mal die Toiletten in die Luft gejagt. Daran kann ich mich gut erinnern", bestätigte meine Gesprächspartnerin. So viele Jahre waren vergangen seit dieser Explosion und dennoch fand sich eine Zeugin meiner Leistung – kaum zu glauben!

      Wie ich nur konnte nutzte ich die fehlende Beaufsichtigung meiner Eltern aus. Mich begann der Yachthafen zu interessieren bzw. eher die ausgebrannten Boote und Yachten. Am zerstörten Steg standen die Längsseiten und Maste der versunkenen Wasserfahrzeuge aus dem Wasser. Einige waren stark beschädigt und flösten Angst ein mit ihren von Geschossen hineingerissenen Löchern. Offene Kabinentüren offenbarten ihr dunkles, mit Wasser angefülltes Innere. Das einzige fahrtüchtige Schiff oder Boot war ein Zweimaster der Seefahrer-Pfadfindergruppe (Trotz meines Alters wurde ich anstatt bei den Wölflingen, in die Pfadfinder oder genauer in die Gruppe der Wassersportler aufgenommen). Durch die Bucht werden wir segeln und am Ufer biwakieren. Doch ich konnte die Segeltörns nicht erwarten. Ziutek, mein Kumpel aus der Schulbank, und ich wollten sofort unser eigenes Boot haben. An der Hafenmole unweit des Ufers machten wir ein versunkenes, kleines Beiboot aus. Die Schwierigkeit bestand darin, dass es mit einer Kette an einen Pfahl befestigt war. Wir zogen uns aus und gingen ins Wasser. Mit meinem Taschenmesser, das ich immer bei mir habe, höhlte ich aus dem Holzbalken die Metallöse: Das Boot war unser. Mit alten Dosen begannen wir, das Wasser herauszuschöpfen. Dann zogen wir es an Land. Eine Unmenge an Arbeit lag vor uns. Nachdem wir es vom Schlamm sauber gewaschen und dann getrocknet hatten, zeigte sich, dass es sogar dicht war. Wir suchten uns Ruder zusammen und konnten endlich „auf große Fahrt“ gehen, während uns die anderen Jungs beneideten.

      Der erste Törn des Pfadfinder Segelschiffs stand bevor. Aufgeregt erzählte ich Mama vom morgentlichen Appell an der Mole. Doch Mama hatte Angst um mich und wollte mir nicht erlauben in See zu stechen. Dennoch stimmte sie schließlich zu: „In Ordnung, Du darfst zum Appell, aber davor musst Du Holz hacken. Alleine schaffe ich das alles nicht und Papa ist nicht da." Sie hoffte natürlich mich mit dieser zusätzlichen Beschäftigung davon abzuhalten, pünktlich zum Appell zu erscheinen und auf diese Weise zu verhindern, dass ich mit dem Pfadfindersegelboot davon segel. Zufälligerweise hatte auch Ziuteks Mama eine unerwartete Arbeit für ihn, so dass wir beide verspätet durch die leeren Straßen zum Hafen eilten. Wir hofften so sehr, dass sie auf uns warten würden. Leider haben sie nicht gewartet. Als wir an der Bucht ankamen, sahen wir den majestätisch, vollgetakelten Zweimaster nur noch aus der Ferne. Erschöpft und