Adalbert Dombrowski

Der Preis für ein Leben ohne Grenzen - Teil I


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Sie war hübsch, fröhlich und sang gerne; nur gelegentlich wirkte ihr Frohsinn etwas aufgesetzt. So schön hatte sich ihre Filmkarriere angekündigt, sie erhielt verschiedenste Rollen im Theater und Spielfilmen (z.B. in „Pieśniarz Warszawy“ - 1934), doch plötzlich war sie Hausherrin in einer Provinzstadt, Ehefrau eines Arztes. Kein Wunder, dass sie sich nach ihrem damaligen Künstlerleben und der vom Krieg unterbrochenen Karriere sehnte.

      Am liebsten hatte ich es wenn der Onkel nach Warszawa fuhr. Dann schlich ich in sein Arbeitszimmer und sah mir neugierig die auf dem schönen, stilvollen Schreibtisch aufgestellten Gegenstände an. Das schöne Tintenfäßchen samt marmornen Untersetzer, eine Federrinne, eine Schatulle für Stahlfedern, ein Papiermesser und eine schwere Löschwiege: alles in einer Ordnung aufgestellt, für die nur der Onkel bekannt war. Nichts durfte umgestellt werden. Nicht selten ermahnte er Antosia ihrer „nachlässigen" Putzweise wegen: keinesfalls durfte sie seine unbezahlbaren Gegenstände auch nur ein Stückchen verstellen. Mit der Zeit begannen des Onkels Bemerkungen auch mich zu betreffen. Für alles was ich getan oder nicht getan habe, wurde ich bissig zurechtgewiesen. Ich stellte mich auf die Hinterbeine, lebte aber mit dem Gefühl verletzt und ungerecht behandelt worden zu sein.

      In dieses zu Hause kehrte ich nur ungern zurück. Solange wie möglich trieb ich mich in den Straßen umher. Einmal ging ich an der Brdabrücke vorbei. „Was soll ich nur tun? Kann ich was ändern“, fragte ich mich. Ich hielt am eisernen Brückengeländer und schaute auf die gemächlich vorbeifahrende Barkasse. Ich beugte mich weit vor und bemerkte hervorstehende eiserne Haken. „Ich zeigs dem Onkel, soll er sich mal etwas Sorgen um mich machen! Menschen sind hier viele, also werden sie mich bemerken und vielleicht dringt der Trubel wegen dem, was ich mache auch zu ihm durch! Vielleicht würden sie sogar auf den Balkon gehen, um nachzusehen, was die Menschenansammlung auf der Brücke zu bedeuten habe.“

      Ich kletterte über die Barriere und setzte mich auf einen hervorstehenden Haken. Die Beine baumelten hinunter und ich glotzte ins Wasser. Wie erwartet bemerkten die Passanten sofort meine Klettereinlage und es versammelten sich viele Menschen auf der Brücke. Sie warnten mich, dass ich runterfallen und ertrinken würde. Einen Augenblick lang beobachtete ich die Leute, griff mit den Händen nach dem Haken und ließ mich herabgleiten. Eine Zeit lang hing ich an meinen Armen. Die Leute versteinerten vor Entsetzen. „Oh nein! Ob sie wohl denken, dass ich springen werde? Na, genug von dieser Vorstellung“, dachte ich und zog langsam die Beine wieder hoch, so dass ich wieder bequem auf dem Haken sitzen konnte. Nun konnte ich problemlos die Barriere ergreifen und sprang zurück auf den Gehsteig der Brücke. Die Leute traten zurück, es wurde still und ich lief davon. Als ich abends in die Wohnung kam, wussten bereits alle von meiner Vorstellung. Insbesondere Basia war erschrocken, dennoch sagte niemand ein Wort. Aber in der Tat wurde es zu Hause viel angenehmer.

      Abwechslung in den monotonen Tagesablauf brachte Tante Ola und Onkel Paweł Wolski aus Kamień Pomorski. Sie erzählten mir, dass Mama mit Rysia und Żaba nach Piła umgezogen war, um näher bei ihrer Lieblingscousine, Aneta Skibicka, zu sein. Unser vollständig eingerichtetes Haus hatte sie ihrer Schwester überlassen. Alleine konnte sie nur wenig mitnehmen: einige Erinnerungsstücke, ihre liebsten Sachen sowie ihr Lieblingsgemälde - Mohnblumen. Traurig machte mich, dass ich nichtmal mehr die Sommerferien an meinem Herzensort verbringen werden kann. Doch Tante und Onkel brachten so viel Trubel ins Haus, dass meine Traurigkeit schnell wieder verflog. Sie waren jung, gut aussehend, fröhlich und man konnte sehen, dass sie einander liebten. Im Krieg hatten sie sich in Warszawa kennengelernt, wo die Tante Verkäuferin in einem Geschäft war. Ihre Freundinnen machten sie mit dem sehr gut aussehenden Herrn Paweł bekannt. Von da an liefs ganz von selbst. Im Warschauer Aufstand kämpfte Paweł in einer Aufständischeneinheit bis zur offiziellen Kapitulation, dank derer er mit dem Leben davon gekommen war. Sich vorher ergebende Aufständische behandelten die Deutschen wie Banditen und erschossen sie an Ort und Stelle. Ola und Paweł fanden sich wieder und heirateten. Onkel Paweł war sehr großgewachsen und als einziger der Erwachsenen (für mich ganz ungewohnt!) interessierte er sich für mich und hörte mir aufmerksam zu. Eines Tages gingen wir - die ganze Schar - spazieren. Im Café an der Ecke kaufte mir Onkel Paweł echtes Speiseeis in der Waffel. Drei Kugeln, herrlich kühl und wunderbar fruchtig. Glücklich ging ich neben meinem Onkel. Das ware mein erstes Eis - ein unvergessener Moment!

      Bei den ausgedehnten Abendessen schwelgten die Erwachsenen in Erinnerungen an ihre Zeit in Warszawa. Basia erzählte von Theater- und Filmrollen, sie lachte, doch ihre Augen waren traurig. Ola und Paweł erzählten vom Warschauer Aufstand. Nur der finster dreinschauende Edek Biskup saß wortlos im Fauteuil.

      Die Biskups zogen um in die Straße-des-24.Januar (gegenwärtig Straße-des-20.Januar), in eine ruhiger gelegene und noch größere Wohnung. Denn Onkel Edek wurde befördert. Er war nun leitender Arzt der Wojewodschaft in Bydgoszcz. Die Wohnung erstreckte sich über die Hälfte des gesamten Stockwerks. Ein weiterer Vorzug: in der Nachbarswohnung gegenüber wohnte Tante Iza mit ihrem Ehemann - Redakteur der Bydgoszcz`er Tageszeitung „Ilustrowany Kurier Polski“. Sie waren ein wunderbares Paar: kultiviert, elegant, hübsch.

      In der neuen Wohnung waren wir nun drei Kinder. Rysia und Magda, die Tochter einer von Basias warschauer Freundinnnen, wohnten nun auch bei Tante und Onkel. Wir waren alle Halbwaisen, die der „edelmütige“ Onkel Edek bei sich aufgenommen hat, damit die verwitweten Mütter ihre so plötzlich vereinsamten Leben ordnen können. Die Mädchen wohnten in einem Zimmer mit Fenster zum Innenhof und ich schlief in einem Zimmer mit der Tür direkt ins Badezimmer. Außerdem befand sich in der Wohnung ein Schlafzimmer sowie ein großes Speisezimmer, das durch Schiebetüren mit Onkels Arbeitszimmer verbunden war. Im Speisesaal thronte ein ovaler, ausziehbarer Tisch sowie Vitrinen mit dem Tischporzellan und schönen Gläsern. Im Arbeitszimmer, rechts vom Eingang stand Onkels Schreibtisch und gleich beim Fenster der glänzende, schwarze Flügel. Eine Lederklubsesselgarnitur mit kleinem Cocktailtisch rundete die Einrichtung ab. Mit offenen Schiebetüren waren Arbeits- und Speisezimmer der ideale Ort für gesellschaftliche Anlässe. An Marysias große Küche war ihre kleine Bedienstetenkammer angeschlossen. Auf der anderen Seite des Badezimmers befand sich Antosias Bedienstetenkammer. Alle Zimmer lagen an einem langen Flur. In der neuen Wohnung hatte Antosia viel zu putzen und wir Kinder – wie Kinder eben so sind – erleichterten ihr diese Aufgabe nicht wirklich. Rysia und Magda waren gleichaltrig - ein Jahr älter als ich aber schon viel größer. Schnell hatten sie sich angefreundet, ständig ärgerten sie mich. Zu Adend bekamen wir meistens einen großen gemeinsamen Teller mit einer Pyramide aus belegten Broten. Die Mädels hatten ihren Anteil schnell aufgegessen, während ich noch immer an meinem ersten Canapé kaute. Natürlich aßen die Mädchen weiter und anstatt ein zweites Brot zu essen, blieb ich vor einem leeren Teller zurück. Von da an, immer wenn die Mädchen nach dem nächsten Brot griffen, nahm ich auch eines auf Vorrat und legte es auf meinen Teller. Während meine Pyramide wuchs lauerten die Mädchen nur darauf, mir sie wieder zu verkleinern.

      Eines Tages rief Tante Basia uns drei in den Salon: wir sollten es uns in den Sesseln bequem machen und selbst setzte sie sich auf die Couch. Sie sah mich an und sagte:

      „Ich habe Euch hergebeten, um eine gewisse Sache Dich betreffend zu vereinbaren. Ja wirklich, weder Bubi, wie sie Dich als Kleinkind nannten, noch Dychu, wie Du bis jetzt genannt wirst, ist Dein richtiger Vorname. Jetzt bist Du herangewachsen, also sollte man Dich nun Dionizy nennen.“ Die Mädchen begannen zu kichern, doch die Tante beruhigte sie schnell: „Na, na, lacht nicht, denn Dich Rysia nannte man bis vor nicht allzu langer Zeit Lilu. Rysia ist die Verkleinerungsform von Marysia, also solls so bleiben“ und die Tante sprach weiter, „Dionizy ist so ein nicht alltäglicher, ernster Name und passt nicht wirklich zu Dir. Aber Du hast noch einen zweiten Vornamen: Wojciech. Ich finde, dass wir zu Dir Wojtek sagen sollten! Also heisst Du ab heute Wojtek!“ „Wojtek geht in Ordnung“, dachte ich. Dieser Name gefiel mir sogar besser als mein vorheriger, um so mehr, da Mama mich manchmal auch so nannte.

      Samstags kamen zu Tante und Onkel Gäste zu Besuch: Basia sparte dann nicht mehr am Essen, sondern tischte üppig auf. Nach dem schmackhaften Abendessen gingen alle ins Arbeitszimmer Bridge spielen, singen oder sogar tanzen. Wir nutzten dann die Gelegenheit, schlichen unter den Tisch und stibitzten Leckereien vom Tisch wie es sich nur ließ.

      Eines Tages sagte mir der Onkel, ich solle beim Schulleiter vorstellig werden. Ich klopfte an die