Carl Bloem

Marokkanisches Tagebuch


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groben Zucker mit der ausreichenden Menge kochenden Wassers vereinte. Nachdem der Tee dann eine Weile gezogen hatte, wurde das Getränk durch mehrmaliges Ausgießen und Wiedereinfüllen gerührt und auf Trinktemperatur gebracht. Abderrahmane konnte einen bemerkenswert hohen Bogen mit seiner Kanne gießen, ohne dass ein einziger Tropfen Tee daneben ging. Mit stillem Vergnügen an dieser herrlich zeitraubenden Angelegenheit betrachtete ich versonnen die Schuhe, wegen derer ich vor knapp einer Woche dieses Geschäft zum ersten Mal betreten hatte. Die Schuhe waren nichts Besonderes. Solche, wie sie fast jeder hier in Marokko trug, aus Ziegenleder mit einer langen Lasche hinten an der Ferse, die die Meisten jedoch nach innen schlugen und die Schuhe so nach hinten offen waren, wie Hausschuhe. Geklebt war das alles auf ein zurecht geschnittenes Stück Autoreifen. Bei meinem Paar konnte man noch den Firmennamen des Reifenherstellers lesen. Ich hatte mich für die Schuhe interessiert und Abderrahmane hatte mir zur Eröffnung einen völlig überzogenen Preis vorgeschlagen. Ich weiß es nicht mehr genau, aber ich glaube, ich bin mit den Worten gegangen, dass ich für diesen Preis bei jedem anderen Händler zwei Paare bekäme.

      Am nächsten Tag war ich wieder da und Abderrahmane lud mich zum Tee ein. Wir klärten einige Geschehnisse des Tages, beklagten den Mangel an Wind, handelten etwas an dem Preis fr die Schuhe herum und rauchten etliche importierte Zigaretten, die ich meinem Gastgeber gerne offerierte. Den folgenden Tag war ich krank. Ich hatte mir den Magen verdorben. Ich nehme an, dass es etwas zu viel fettes Lammfleisch gewesen war. Nachdem ich meine Essensrationen aus Geldmangel gekürzt hatte, war ich es einfach nicht mehr gewohnt. Am Tag darauf war ich wieder bei Abderrahmane, der sich mit sorgenvoller Miene nach meinem Befinden erkundigte und sofort etwas Tee und Brot anbot. An diesem Tag redeten wir gar nicht über die Schuhe, sondern beschäftigten uns damit, welcher Tajine jeder von uns den Vorzug gab. In Anbetracht der jüngsten Ereignisse favorisierte ich die Vegetarische mit vielen Auberginen. Abderrahmane lächelte wissend, sagte aber nichts und goss noch etwas Tee nach. Er selbst liebte auch die Tajine mit Lammfleisch sehr.

      So kam ich jeden Tag zu Abderrahmane, blieb selten weniger als eine Stunde und lernte nach und nach seine ganze Familie kennen. Er hatte drei Töchter, die zwischen fünf und elf Jahren alt waren und entweder log er oder er liebte sie wirklich so sehr, denn er wollte keine Einzige von ihnen eintauschen, nicht einmal für drei Söhne. Wir verbrachten herrliche Stunden, in denen wir ausgestreckt auf den Kissen lagen und Rauchringe in die Luft bliesen. Dann eines Tages waren die Schuhe wieder in unser Interesse gerückt, denn zum Einen brauchte ich diese Schuhe dringend und zum Anderen vergisst ein marokkanischer Händler niemals seinen Geschäftssinn. Am achten Tage kamen wir schließlich zu einem Preis, der uns beide zufrieden stellte, 26 Dirham.

      Ich hatte zu viel bezahlt, das wusste ich, aber ich wusste auch, dass noch nie ein Ausländer bei Abderrahmane weniger gezahlt hatte.

      Ich weiß nicht, wie es heute ist, aber zu jener Zeit gab es in Marokko sechs Preise für jede Ware. Da waren die beiden Preise für Ausländer. Einen für die Klugen und einen für die Dummen. Dann gab es zwei Preise für Marokkaner aus anderen Städten und zuletzt die zwei Preise für die Ortsansässigen. Die Schuhe gehörten jetzt mir und meine geschundenen Füße freuten sich sehr darüber, aber ich war auch ein bisschen traurig, da ich wusste, dass diese schönen Vormittage nun ein Ende haben würden. Ich hatte keinen Grund mehr herzukommen. Ich mochte Abderrahmane und ich glaube, er mochte mich auch, aber diese lange Woche endete dort, mit meinen neuen Schuhen an den Füßen und einer Träne im Auge. Geschäft ist eben Geschäft.

      Nach dem Schuhkauf ging ich zurück nach Talborjt und musste unweigerlich an eine Nacht vor ein paar Tagen denken, in der ich den großen Platz überquert hatte, an dem ich nun langsam vorüber ging. Es war sehr dunkel gewesen. Eine mondlose Nacht. Die Beleuchtung an der Straße spendete nur wenig Licht und der Platz, über den ich gelaufen war, lag fast völlig im Schatten. Es standen zwar Laternen darauf, aber diese durften noch nicht eingeschaltet werden. Ein Schuh traf mich im Genick, dann folgte noch einer. Ich lief ein bisschen schneller.

      Ich glaube, der Platz war schon vor einigen Monaten fertiggestellt worden. Trotzdem wurde er nicht benutzt. Man konnte ihn überqueren, sich darauf unterhalten, Fahrrad fahren (nehme ich an, obwohl ich nie jemanden gesehen hatte), aber weder bot hier ein Verkäufer seine Ware feil, noch wurde er des Nachts beleuchtet, denn der König hatte den Platz noch nicht eingeweiht. Ein bisschen Licht hätte mir gut getan. Ich stolperte weiter vorwärts. Warum lief ich eigentlich?

      Ein kräftiger Schlag mit einem Schuh traf mich erneut im Genick. Jetzt wusste ich es wieder. Ich hatte mich nach etwas Nähe gesehnt und mein Freund Mohammed hatte mir eine Diskothek in einem Hotel am Strand empfohlen. Aber wie hieß sie nochmal? Ich hatte es vergessen.In früherer Zeit in einem anderen Teil der Welt hätte man sie ein leichtes Mädchen genannt. Eine Bordsteinschwalbe. Eine Dirne. Man konnte sie mit Geld kaufen. Vielleicht mit ein paar Gläsern Wein oder Sekt. Aber wenn man gar nichts besaß, betrunken war und ihr nur vorgemacht hatte, man hätte das Eine oder das Andere oder zumindest noch ein paar Münzen für das Taxi den Berg hinauf, dann konnte sie böse werden.

      Zärtlich war der Tanz in der Bar gewesen, verführerisch ihr Blick. Die Augen wie Mandeln. Ich hatte mich gefühlt wie ein Bräutigam in den Flitterwochen. Jetzt aber lief sie hinter mir her. Barfuß und mit ihren Schuhen trommelte sie auf meinen Rücken. Eine wahrhaft kurze Romanze!

      Aber Moment, ich schweife ab. Wie war ich hierher gekommen? Wie hatte das eigentlich alles angefangen?

      Südwärts

      Es war April. Der Regen klatschte gegen die Scheiben meines Wagens und die beiden Wischblätter fuhren hektisch wie ein aufgescheuchter Vogelschwarm durch mein Blickfeld. Die Straßen glänzten und in der Fahrerkabine von meinem Bus machte sich Musik breit. Im durchgehenden Armaturenbrett meines T2 steckte ein Kassettenradio, dass mit einer angemessenen Anzahl Lautsprecher verbunden war. Ich hatte ein Magnetband eingeschoben und aus den Boxen drang ein vertrautes Gitarrenspiel.

      Der Wagen war grün, ein sattes laubfroschgrün. Es war der Pritschenwagen von Volkswagen, der hinten keine Seitenfenster besaß. Lediglich in die Heckklappe war eine Scheibe eingelassen. Das Modell war zwanzig Zentimeter länger als sein Vorgänger, hatte 50 PS Leistung und eine pneumatische Scheibenwaschanlage. Aber weniger um die technischen Details rankten sich die Mythen bei diesen Wagen. Der Bulli war der Inbegriff für ein Leben auf der Straße.

      I'm gonna find a home on wheels, hatten The Who gesungen und taten es noch. Die Wagen dienten Bands für ihre Live-Touren und Fans für die Besuche der Konzerte. Gerade in den USA hatte es Ende der 60er und in den 70ern einen riesigen Hype um den Wagen gegeben. Wer in Woodstock nicht nass geworden war, hatte bestimmt einen Bus dabei gehabt. Die Leute lebten in diesen Bussen, zeugten wahrscheinlich einigen Nachwuchs darin und brachten mitunter auch den ein oder anderen Sprössling dort zur Welt. Viele Menschen verbanden mit diesen Autos ein ganz bestimmtes Gefühl, malten die Wagen bunt an und schmückten sie mit viel sinnstiftendem Interieur. Mein Bus hatte fast zwanzig Jahre lang einem Händler der International Harvester Company für Landmaschinen in Münster gehört. In dieser Zeit hatte der Wagen zunächst einmal viele Orte des Münsterlandes bereist. Sein nächster Besitzer baute ihn für längere Touren um, die er aber niemals machte und aus einer monetären Verlegenheit heraus, kam dieser Wagen bereits ein Jahr später zu mir. Bislang hatte der Bus noch keine Geschichte, aber ich war mir sicher, dass das nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen sollte.

      Der Bus war 4.5 Meter lang, 1.7 Meter breit und fast zwei Meter hoch. Er konnte eine Tonne Nutzlast dazu laden, was meines Erachtens erheblich war. Ich war mir nicht sicher, ob mein ganzes Leben zusammen genommen so viel wog. Wenn ich alles, was ich besaß in den Wagen stopfen würde, mich selbst dazu und auch noch vollgetankt hätte, kamen mir doch Zweifel, dass es eine Tonne Gewicht ausmachen würde. Nicht, dass dies eine ernst gemeinte Überlegung war, aber ich rechnete eben gerne.

      Ich fuhr durch die Stadt und machte einige letzte Besorgungen vor meiner Reise in den Süden. Auf dem Rückweg hielt ich an meiner Stammkneipe an, um ein Bier zu trinken. Es wird das letzte deutsche Bier für eine lange Zeit werden, dachte ich bei mir und trank langsam, während ich meine Augen durch das Lokal gleiten ließ. Die üblichen Gesichter erwiderten meinen Blick und ein Kerl in einer Wildlederjacke mit