Carl Bloem

Marokkanisches Tagebuch


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er fest.

      „Stimmt genau!" antwortete ich knapp.

      „Mit wem fährst du?", fragte er.

      „Ich fahre allein gab ich ihm über mein Bier hinweg zurück."

      „Warum?", fragte er erneut.

      „Na, weil ich wenig Geld, sowie keine konkreten Pläne habe und auch nicht weiß, wann ich wieder komme. Das klang für die Meisten wohl wenig verlockend", entgegnete ich und fragte mich langsam, wohin dieses Gespräch wohl führte.

      „Ich will auch nach Marokko", platzte er heraus.

      „Na dann. Viel Spaß!", sagte ich und prostete ihm zu.

      „Ich meine, wir könnten doch zusammen fahren", sagte er nun.

      „Hör zu. Ich hab mein eigenes kleines Geschäft mit Ketten und Tauschwaren. Da reicht das Geld gerade so für einen.“

      „Aber ich habe Geld", monierte er.

      „Wie viel hast du denn?", war ich nun derjenige, der fragte und musterte ihn aufmerksam. Er dachte nach und schaute dabei auf den Boden. Ich kannte ihn vom Sehen. Ein ruhiger Typ. Ich hatte nie gesehen, dass er herum schrie oder irgendwie Ärger machte.

      „Ich hab ein paar Hundert", sagte er. Reicht nicht für den Flug, aber wir könnten uns den Sprit teilen und das Essen.“

      "Na ja, beim Sprit geht die Rechnung auf", dachte ich.

      „Was willst du eigentlich da unten?" fragte ich erneut. "Кennst du jemanden dort?“

      „Nee. Bin noch nie da gewesen, aber ich wollte immer schon nach Marokko.“

      Jetzt dachte ich nach. Für den Sprit bis nach Agadir brauchte ich etwa 500 Mark. Da wäre mir jede Spende willkommen. Aber wer war der Typ? Würden wir klar kommen? Was wäre, wenn nicht? So ein Trip konnte anstrengend werden. Ich war unsicher. Mir gefiel aber die Art, dass er etwas wollte, ohne richtig zu wissen warum.

      „Wie heißt du eigentlich?", fragte ich.

      „Ich bin Mark", antwortete er und gab mir brav die Hand.

      „Alles klar, Mark, ich fahre übermorgen. Pack deinen Krempel und deine Kohle zusammen. Wir starten durch und werden mal sehen, wie weit wir beide zusammen kommen.“

      „Wie cool, wie cool", johlte er.

      „Schreib mir mal deine Nummer auf. Ich ruf dich Freitag früh an und du sagst mir dann, wo ich dich einsammeln soll.“

      „Alles klar. Super", sagte er und kritzelte mir die fünf Zahlen auf einen Bierdeckel.

      Ich nahm die runde Pappe, zahlte mein Bier und ging.

      „Bis übermorgen", rief er mir nach.

      "Ja. Bis übermorgen", dachte ich und stieg die Treppe ins Tageslicht hinauf.

      Am Freitag Morgen brachte ich die restlichen Sachen in meinen Bus. Es war mild an diesem Tag und zur Abwechslung regnete es mal nicht. Meine Mutter gab mir etwas Besteck mit, das einstmals zu ihrer Aussteuer gehört hatte, aber mittlerweile nicht mehr die erste Garnitur war. Ich war dankbar für jedes Stck und packte es mit den alten Töpfen und dem Gaskocher in den kleinen Schrank, der im Großen und Ganzen die Küche sowie den Vorratsraum meines fahrenden Hauses ausmachte. Ich hatte diverse Konserven gebunkert und unter der Matratze, die das ganze Heck des Wagens einnahm, war weiterer Stauraum mit Wasser, eingeschweißtem Brot und meinen paar Habseligkeiten, Kleidungsstücken sowie dem Vorrat an Ketten und T-Shirts, die ich unterwegs zu Geld machen wollte, um die Reise zu finanzieren. Ich hatte mehrere Wochen lang Perlen aus Modelliermasse hergestellt und bei 110 Grad Celsius im Backofen ausgehärtet. Diese Steine stellte ich in acht verschiedenen Farben her und vermischte auch verschiedene Massen, um Marmorierungseffekte zu erzielen. Die fertigen Stücke reihte ich dann ganz nach Geschmack auf Lederschnüre und befestigte einen Karabiner-Verschluss an den losen Enden. Zusätzlich hatte ich einige bereits getragene Band-Shirts aufgetrieben, die mir bei früheren Reisen nach Marokko stets einträgliche Tauschgeschäfte ermöglicht hatten. Deep Purple, Jimi Hendrix, Led Zeppelin und Bob Marley-Sachen waren eine eigene Währung, ebenso gute Live-Mitschnitte der genannten Musiker, besonders wenn diese nicht autorisiert waren und somit einen gewissen individuellen Wert darstellten. Alles war in meinem Laderaum. Vorne unter der Sitzbank hatte ich noch eine umfangreiche Werkzeugkiste und einen weiteren Karton mit Musikkassetten geladen. In meiner Jeans steckten fünfhundert Mark und ich hatte zwei Adressen für Übernachtungen in Paris und Madrid. Ich ging nach oben und wählte Marks Nummer.

      Zwei Stunden später waren wir bereits auf der Straße südwärts und das gutmütige Rattern von meinem Bus linderte die Ungeduld, die mich jedes Mal vor einer Abfahrt quälte. Der Regen kam natürlich wieder und begleitete uns durch Eifel und Ardennen. Bei Sedan ließ der Regen etwas nach und kurz hinter Reims hörte er dann ganz auf. Mark erzählte mir Geschichten von gemeinsamen Bekannten und rollte in regelmäßigen Abständen Zigaretten für uns. Im Kassettenschacht steckte das Tape einer Peel Session von The Disposable Heroes of Hiphoprisy und der Sound harmonierte exzellent mit den Fahrgeräuschen des Wagens. Die große Ladefläche erzeugte einen Hall, der die Stimmen der Rapper optimal vom Beat-Motorgeräusch-Gemisch abgrenzte. Ich war zufrieden. Endlich lief es wieder und die Vibrationen des Lenkrades genoss ich wie eine Reflexzonen-Massage für die Hände. Meine Mutter hatte mich noch einmal gedrückt und war dann schnell wieder im Haus verschwunden. Sie mochte es nicht, wenn ich auf Reisen ging. Oder besser gesagt: Sie mochte es nicht, wie ich auf Reisen ging. Immer zu wenig Kohle und nur vage Pläne und Ziele. Das lag ihr nicht. Sie nahm mir das Versprechen ab, regelmäßig zu essen und ich log so gut ich konnte, um sie zu beruhigen. Meinen Vater hatte ich bereits am Abend vorher verabschiedet. Ihn kümmerte es weniger, ob ich genügend aß. Er wusste, dass sich die Natur schon darum kümmern würde. Ihn plagten eher andere Sorgen. Einen Satz gab er mir auf jede Reise mit: Junge, du kannst alles machen, du darfst dich nur nicht erwischen lassen. Damit war einfach alles gesagt. Ich umarmte ihn und ging in mein Zimmer. Am nächsten Morgen, als ich erwachte, war er bereits auf der Arbeit. Er ging jeden Morgen um sieben Uhr aus dem Haus, seit fast dreißig Jahren und ich habe nie gehört, dass er sich je darüber beklagt hatte.

      Ein Sonnenstrahl traf mich und ich schreckte aus meinen Gedanken hoch. Bis Paris war es nicht mehr weit und ich dachte nach, wie ich zur Rue de Saitouge kommen würde. Ich war lange nicht mehr dort gewesen und sehr froh, dass meine Freundin Katy uns beide für eine Nacht aufnahm. Sie hatte mir eine recht gute Wegbeschreibung vom Place de la Republique aus gegeben, aber letztendlich, als ich in der kleinen Einbahnstraße vor ihrem Haus stand, war ich dennoch verwundert, wie gut das mal wieder geklappt hatte. Paris war immer eine Herausforderung, wenn man aus einer deutschen Kleinstadt kam und ein normales und geregeltes Verkehrsaufkommen gewohnt war.

      Wir verbrachten den Abend mit ein paar Freunden bei schwerem Rotwein und streunten nachts noch ein wenig durch den 3. Bezirk und über den großen Platz. Rund um die Statue der Marianne mit ihrem Olivenzweig war immer mächtig was los.

      Gegen drei Uhr früh kamen wir zurück in die Wohnung. Wir hatten alle Schlagseite und ich verzog mich alsbald in meine Ecke. Als ich am nächsten Morgen auf dem Holzfußboden wach wurde, fühlte es sich an, als hätte ein schöner, großer, roter Doppeldeckerbus in meinem Kopf geparkt.

      Ich schaffte eine halbe Schale Müsli, eine Banane und dann waren wir auch schon wieder auf der Straße. Wir hatten einen langen Tag vor uns, denn Jutta, unsere Gastgeberin in Madrid, hatte mir gesagt, dass wir nur am Wochenende bei ihr pennen könnten und bis Madrid war es noch ein ganzes Stück. Also trat ich das Pedal durch und steckte mir eine Zigarette an.

      Auf Orleans folgte Tours und nach Poitiers kam Bordeaux. Wir fuhren bei herrlichstem Frühlingswetter durch die Gascogne und überquerten die spanische Grenze hinter Biarritz. Es war eine Schande so an diesen schönen Orten vorbeizurasen, aber wir hatten keine Wahl. Das Geld war knapp und Touristen gab es um diese Jahreszeit noch zu wenige, um hier den Handel ernsthaft zu eröffnen. Wir passierten den trockenen Hafen Gasteiz und gerade hier, in der Hauptstadt der baskischen Provinz hätte ich gerne einen Moment verweilt, aber es war schon später Nachmittag an diesem Samstag und wir hatten noch gut vier Stunden Fahrt