Carl Bloem

Marokkanisches Tagebuch


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und hatte sich breit schlagen lassen, mich für eine Nacht zu beherbergen. Als ich ihr dann vor ein paar Tagen telefonisch noch einen zweiten Schlafgänger angekündigt hatte, wäre sie am liebsten von ihrem Angebot zurück getreten, aber ich hielt das Telefonat kurz, so dass sie keine Zeit hatte ihre Meinung zu ändern. Im Grunde genommen freute sie sich darauf Geschichten aus der Heimat zu hören, war sich aber nicht ganz sicher, ob ihr spanischer Verlobter zwei langhaarige Rumtreiber in seiner Wohnung haben wollte.

      Wir trafen gegen zehn Uhr abends in der Calle Sedano sdwestlich des Casa de Campo ein. Die Wohnung befand sich in einem Haus mit roten Ziegeln in einem weitläufigen Wohnviertel. Meine Gelenke knackten, als ich mich aus dem Auto quälte und selbst Mark, der nicht oft gefahren war, fühlte sich gerädert von dieser langen Tour.

      Der Empfang in Apartment 4b war nicht gerade überschwänglich, aber wir bekamen etwas Wein zur Paella und der Abend kam langsam in Fahrt. Wir köpften noch eine weitere Flasche Wein und ich unterhielt die Gruppe mit Geschichten aus Münster, die Jutta für ihren Verlobten fleißig dolmetschte. Oft stand ich dabei auf, um neben dem Esstisch dann vorzuführen, wie es etwa ausgesehen haben musste, als ich mit meinen damaligen Kollegen Andre auf seiner Schwalbe, auf der Flucht vor der Polizei, einige Treppen hinunter gefahren war. Das löste die Stimmung und nach der dritten Flasche Wein wurden die Geschichten auch gar nicht mehr übersetzt. Jeder versuchte nur noch besonders körperbetont die Dynamik erlebter Abenteuer im bestmöglichen Sprachgemisch aus Deutsch, Englisch und Spanisch in Szene zu setzen. Ich stürzte mehrfach und als ich irgendwann nicht mehr konnte, blieb ich einfach erschöpft an Ort und Stelle liegen. Jutta brachte mir eine Decke und ich schlief sofort ein.

      In der Nacht wurde ich plötzlich wach. Ich hörte Marks Atem von der anderen Seite des Raumes. Ansonsten war es still. Der Mond schien durch das Fenster und eine frische Brise erfüllte den Raum. Die Decke war weggerutscht und ich fror. Während ich mich wieder zudeckte, dachte ich darüber nach, warum uns die Polizei eigentlich damals verfolgt hatte, aber es wollte mir partout nicht mehr einfallen. Ich erinnerte mich aber an eine andere Geschichte mit der Polizei und warum es damals in Münster immer so viele Beamte gegeben hatte, die einem das Leben schwer machen wollten:

      In der Stadt an der Aa hatte damals die Polizeischule Hochkonjunktur und die Anwärter mussten die Routine des Polizeidienstes auch bei Tätigkeiten wie der allgemeinen Verkehrskontrolle erlernen. Nun waren so viele junge Leute in der Ausbildung zum Polizeivollzugsbeamten, dass man in manchen Nächten auf den Ringstraßen, die die Innenstadt von Münster fast vollständig einschlossen, gleich mehrfach kontrolliert werden konnte. Wenn man mit einem Einsatzfahrzeug des Deutschen Roten Kreuzes unterwegs war, wurde man in der Regel durch gewunken, aber der Eifer und der Enthusiasmus mancher junger Bewerber war einfach bahnbrechend. Andre und ich liehen uns gerne die Fahrzeuge für Spritztouren zu Diskotheken und in einer dieser Nächte, wenn man es am wenigsten brauchte, trafen wir dann auf einen besonders dienstbeflissenen jungen Mann, dessen Aufsicht gerade wohl ein Nickerchen im Polizeiwagen verrichtete.

      „Kann ich mal Ihren Führerschein und die Fahrzeug-Papiere sehen?", fragte er, nachdem er uns ordnungsgemäß aus dem Verkehr herausgefischt hatte.

      „Hören Sie, Mann, wir sind im Einsatz. Sie sehen doch, dass ist ein Dienstwagen und wir müssen dringend zu einer Patientin", sagte ich, während ich mit der Hand durch das offene Fenster auf das große und leuchtend rote Symbol der Fahrertür klopfte.

      „Ja, das verstehe ich, aber ich muss wirklich darauf bestehen", setzte er mir entgegen.

      „Nein, ich glaube, sie verstehen nicht. In der Pötterhoek liegt eine alte Dame im Nachthemd auf ihren kalten Küchenfliesen und wartet auf uns", sagte ich mit Nachdruck.

      „Sie wollen also sagen, dass dies eine Dienstfahrt ist und ich sie durchlassen soll, weil ein Notfall vorliegt. Ist das so richtig?", stellte er fest.

      „Besser hätte ich das nicht sagen können, Herr Wachtmeister", antwortete ich und wollte gerade das Fenster wieder hochkurbeln, da ja eigentlich alles gesagt war, als ich Andre's Hand an meinem Arm spürte und er mich anwies, mein Gekurbel einzustellen.

      „Was gibt es denn jetzt noch?", fragte ich mittlerweile etwas ungehalten.

      „Also, erstens bin ich kein Wachtmeister, sondern Polizeianwärter und zweitens möchte ich gerne wissen, wenn dies eine Dienstfahrt ist, was machen dann die beiden Damen mit ihren Fahrrädern hinten im Wagen?"

      Es entstand eine klitzekleine Pause.

      „Mensch, das ist doch wohl klar. Die Damen hatten einen Platten draußen auf der Hammer Straße und da konnten wir die Beiden doch nicht stehen lassen, oder?, antwortete ich und drehte mich zu den zwei Mädchen um, die fleißig nickten und Ja, Herr Wachtmeister, genau so war das", während Andre angestrengt aus dem Beifahrerfenster schaute und um Fassung rang.

      Die Spannung in der Luft knisterte. Der junge Fast-Polizist suchte nach weiteren Routine-Sätzen und improvisierte gedanklich an einer neuen Eröffnung herum. Ich konnte geradezu sehen, wie es hinter seiner Stirn knirschte. Er hätte mich wahrscheinlich gerne durch das halb geöffnete Fenster gezerrt, war sich aber wohl nicht sicher, ob das so irgendwo in seinen Dienstvorschriften stand.

      Ich musste mir ehrlicherweise eingestehen, dass ich mit meinem Latein am Ende war und erwartete seine nächste Frage, während ich gedanklich die Menge des getrunkenen Biers rekapitulierte und ebenfalls in meinem Kopf den Kippenvorrat für den bevorstehenden Dienstwachenaufenthalt prüfte.

      „Ach, Andreas, lass die fahren, die sind vom Roten Kreuz", kam eine Stimme aus dem Hintergrund. Im Halbdunkel sah ich einen altgedienten Beamten heran torkeln, hob die linke Hand zum Gruß, während ich mit der Rechten den ersten Gang einlegte und mit extrem geschmeidigen Schleifpunkt den Wagen ins Rollen brachte.

      „Ich, ne, aber Horst, die Vorschrift hörte ich noch", wechselte aber zügig in den Zweiten und beschleunigte nun mit gebotener Eile. Andre fing an zu johlen und die Tränen flossen über seine Wangen, während er von Lachkrämpfen geschüttelt wurde. Die Mädchen stimmten ein und auch meine Anspannung ließ nach, aber lachen konnte ich nicht. Meine gespielte Entrüstung hatte so von mir Besitz ergriffen, dass mir nicht nach Lachen zumute war.

      Jetzt, da ich auf dem Rücken lag und weit weg vom Hohenzollernring in Münster war, musste ich grinsen und zog mir die Decke zurecht.

      „Manchmal muss man einfach nur Sahne haben dachte ich, drehte mich auf die Seite und schlief wieder ein.

      Am Morgen weckte mich geschäftiges Treiben aus der Küche und ich sah rüber zu Mark, der sich ebenfalls gerade die Augen rieb.

      „Guten Morgen, Jutta, wie geht's euch?", sagte ich und steckte den Kopf durch die Küchentür.

      „Alles gut und bei euch?", antwortete sie.

      „Passt schon. Passt schon", sagte ich noch etwas müde.

      „Hör zu, mein Lieber, wir haben es gestern vielleicht vergessen zu sagen, aber wir müssen heute früh los und Fredo's Eltern besuchen. Ich habe euch zwei kleine Fresspakete für unterwegs fertig gemacht. Packt ihr zusammen, ja?“

      „Äh, ja klar. Sind schon weg. Kein Problem und danke nochmal“ brachte ich heraus und verabschiedete mich von der Vorstellung eines ausgiebigen Frühstücks und einer Dusche. Mark nahm die Neuigkeit gelassener auf, rollte seinen Schlafsack zusammen und grinste mich müde an.

      „Also, ich bin fertig. Kann losgehen.“

      Wir sagten Jutta und Alfredo Lebewohl, stiegen die Stufen hinab und traten ins Freie. Das Leben erwachte langsam auf den Straßen und auf dem Weg zum Auto kauften wir an einem kleinen Laden einen Liter Milch. Am Wagen machten wir uns dann erst einmal über das Frühstück her und verputzten die geschenkten Lebensmittel restlos. Die letzten Krümel spülten wir mit der Milch herunter und drehten uns danach unsere Zigaretten, während die Sonne zwischen den Häusern langsam empor kletterte.

      „Ich brauche dringend eine Dusche“, sagte ich zu Mark und kratzte mir den Hinterkopf, wie um meine Aussage zu untermauern.

      „Ja. Duschen wäre ein Fest. Aber wo?“, fragte er.

      „Na