Dirk Meinhard

Sonnenkaiser


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Umgebung aus der Höhe des Turms hätte an anderer Stelle eine Sensation sein können. Vom Energiepark aus bot sich leider nur die Eintönigkeit von Geröll, Sand, spärlicher Vegetation und großen Türmen mit sich daran drehenden Propellern, dazu die schier endlosen Linien der schwarzblau glänzenden Photovoltaikpaneele. Möglicherweise hätten Menschen mit Höhenangst seinem Aussichtspunkt etwas mehr Nervenkitzel abgewinnen können. Rob langweilte sich eher, während er in der Hitze des frühen Abends schwitzend das Ende seiner Schicht herbeisehnte. Ein Blick auf die Commwatch an seinem Handgelenk mahnte ihn, noch etwas Geduld aufbringen zu müssen. Bis sich seine Ablösung durch das Innere des Turms, das dank der ausgezeichneten klimatischen Lage einer Hochleistungssauna gleichkam, über zahlreiche Leitersprossen bis zum Wachraum hochkämpfen würde, musste Rob noch eine Stunde ausharren und sich langsam in seiner kaum kühleren Position ausdörren lassen. Er schnalzte mit der trockenen Zunge, die sich nur widerwillig vom Gaumen löste, und leckte über seine Zähne, zwischen denen sich ein paar Sandkörner gesammelt hatten. Instinktiv versuchte er, sie auszuspucken. Mit bedingtem Erfolg.

      Eine Drohne näherte sich leise summend in gemächlichem Tempo von Norden dem Turm. Das knapp einen Meter durchmessende graue Fluggerät hatte die Form eines vierblättrigen Kleeblatts, in dessen Blättern sich kleine Rotoren bewegten, die für den Auftrieb und Geschwindigkeit sorgten. In der Mitte des Quadrokopters befand sich seine Ausrüstung. Akkus, GPS-Antenne, Kameras mit Nachtsichtfähigkeiten, Mikrofone und die Flugsteuerung. Die Drohne folgte ihrem programmierten Kurs, wiederholte bis zur Erschöpfung ihrer Akkus ihre Flugroute, die in Koordination mit den anderen über dem Energiepark fliegenden Drohnen für eine vollständige zeitliche und räumliche Überwachung sorgte. Am Ende ihrer Energiereserven würde sie zur Ladestation zurückkehren und durch eine andere Drohne abgelöst werden.

      Rob schaute dem Fluggerät nach, das ein Stück hinter dem Turm seine Flugrichtung um neunzig Grad änderte und Richtung Küste weiter schwebte. Er fluchte leise, wischte sich mit einer Hand über die Stirn und tupfte den schweißnassen Handrücken an seiner Hose ab. Es war, als wenn der Wind sich nach der harten Arbeit an den Flügeln der Windanlagen weigerte, auch noch durch den Wachraum zu ziehen. Mehr als eine laue Brise verirrte sich nie hinein.

      Langsam nahm Rob seine nächste Runde entlang der Sichtschlitze auf, um sich ein wenig zu bewegen, auch wenn das in der durchgeschwitzten Uniform kein angenehmer Zeitvertreib war. Aber nur auf dem hohen Hocker, der einzigen Sitzgelegenheit hier oben, die Zeit abzuwarten, während ihm das Wasser am Körper entlang lief, gefiel ihm noch weniger.

      Seit einem halben Jahr saß er hier fest und verbrachte zu verschiedenen Tageszeiten täglich mehrere Stunden auf diesem Turm, um gegen Bezahlung seine Zeit totzuschlagen. Warum hatte er nur nach Antritt seines Jobs bei GlobSecure laut Hier gerufen, als man ihm eine Ausbildung zum Scharfschützen anbot, statt ein Panzerfahrzeug fahren zu wollen. Immerhin hätte das den eines klimatisierten Arbeitsplatzes gehabt.

      Die Tagschichten im Wachraum in dieser Höhe bei optimalem marokkanischem Sommerwetter bewiesen immerhin Robs hervorragenden Gesundheitszustand. Während er die Gesellschaft vorbeikommender Fluggeräte, die intensive Nähe seines Gewehrs und die recht knappen Unterhaltungen per Headset mit Leuten aus der Überwachungszentrale des Energieparks genoss, saßen die Fahrzeugbesatzungen in den gut temperierten Unterkünften und genossen ihre Bereitschaftszeiten bei kalten Getränken. Er fluchte leise und unflätig.

      Auf dem Turm hatte Rob pro Fünfstunden-Schicht fünf Literflaschen Wasser, angereichert mit Elektrolyten, in einer elektrischen Kühlbox, deren Akku vor den Temperaturen hier oben spätestens am Nachmittag kapitulierte. Dann schmeckte jeder Schluck aus der Flasche nach irgendetwas zwischen frischer Kamelpisse und verschwitzten Socken nach einer Wachschicht. Er verwünschte seinen starren Blick auf das Gehalt, das man ihm für den Scharfschützenjob in Aussicht gestellt hatte. Es war ein bemerkenswerter Aufschlag auf die übliche Entlohnung gewesen. Hätte ihm jemand vorher erzählt, was der eigentliche Grund für diesen Unterschied war, hätte er wohl sofort dankend abgelehnt.

      Für andere höher qualifizierte Jobs hatte man Rob nur bedingt geeignet befunden. Hubschrauberpilot hätte ihm auch gefallen. Die Sicherheitsbesatzung des Energieparks verfügte über zwei bewaffnete Maschinen. Leider entsprach das Ergebnis seines medizinischen Eignungstests nicht seinem Wunsch, hin und wieder mal in die Luft aufzusteigen, obwohl er bereits Hubschrauber geflogen war. Aber das hatte er bei der Einstellung für sich behalten und über eine vierjährige Phase seines Lebens elegant lügen müssen. Aussteigerzeit, Weltenbummler, Findungsphase. Es erschien ihm klüger, über diese Jahre als Soldat in einer burmesischen Söldnerarmee, die zweite Hälfte der Zeit als Hubschrauberpilot, zu schweigen. Die kriegerischen Auseinandersetzungen mit der chinesischen Armee waren damals in grausamen Gemetzeln ausgeartet. Es war besser, diese Zeit nicht zu erwähnen. Einen Pilotenschein hatte er auch nicht vorzuweisen. Offizielle Prüfungen waren bei Söldnern unüblich, ebenso wie ausgefeilte Eignungstests.

      Damit kam er aus Sicht der Führungsebene auch für die Bedienung der Kampfdrohnen nicht in Frage. Die GlobSecure-Mannschaft verfügte über vier Stück, die wie geschrumpfte Hubschrauber aussahen und mit Maschinengewehren und je acht Raketen ausgestattet waren. Bedient wurden diese Drohnen von Piloten im Kontrollzentrum, für die jeder Einsatz so sicher war wie ein Ego-Shooter auf einem Computer. Eine im Einsatz verlorene Drohne entsprach einem virtuellen Spielerleben, eine beruhigende Vorstellung für Piloten, die sich auch den Luxus gönnen konnten, Höhenangst zu haben und eine Brille tragen zu müssen. Zusätzlich standen auf dem Flugfeld zwei Jetkopter, die richtige Piloten benötigten. Die beiden Maschinen besaßen kleine Strahltriebwerke für höhere Fluggeschwindigkeiten und als Bewaffnung ebenfalls Maschinengewehre und lasergesteuerte Raketen. Immerhin gehörte Rob nicht mehr zum reinen Fußvolk, das auf dem Gelände patrouillierte und sich die Beine an den Zufahrten platt stand, um in der sengenden Hitze ein- und ausfahrende Fahrzeuge zu kontrollieren.

      Nun erwartete man also von ihm, dass er nicht nur sein eigenes Scharfschützengewehr, ein rückstoßarmes Heckler & Koch MSG 94, regelmäßig säuberte und pflegte, sondern auch, wenn es erforderlich war, Menschen tötete. Nicht nur, indem er den Lauf ungefähr in die Richtung eines Gegners hielt, abdrückte und hoffte, nur die Kugeln der anderen würden treffen. Seine Aufgabe war es, sich im Ernstfall einzelne Ziele auszusuchen, ihren Kopf oder Oberkörper anzuvisieren, abzudrücken und ihnen durch das Zielfernrohr für einen Moment beim möglichst schnellen Sterben zuzuschauen.

      Rob beendete seine Runde am Hocker, griff zu seinem Fernglas und beobachtete die Straße. Das Fernglas hatte eine Funkverbindung zur Zentrale und lieferte nach Bedarf seine Bilder dorthin. Anders herum erhielten die Wachleute auf den Türmen, die in mehreren hundert Metern Abstand entlang der Befestigungsanlagen aufgestellt waren, Bildinformationen der Drohnen über die Zentrale auf einen Touchscreen im Wachturm. Der Bildschirm neben Robs Standplatz zeigte jedoch nur das, was er auch selbst sehen konnte, Sand und Geröll. Eigentlich hätte man erwarten können, einer Anlage in dieser dünn besiedelten kargen Gegend drohe keine besondere Gefahr, wenn man von den klimabedingten Risiken absah.

      In den kleinen Siedlungen im Umland lebten überwiegend Menschen, die hauptsächlich damit beschäftigt waren, ihren Lebensunterhalt mit Viehzucht zu verdienen, friedliche Menschen, die sich über das dank des Energieparks stabile Stromnetz freuten, weil es ihr Leben einfacher machte. Aber das Gelände befand sich auf Höhe des unteren Endes der Ausläufer des Atlasgebirges, das den größten Teil Marokkos einnahm. Und damit bot dieser Bereich des Landes geländegängigen Fahrzeugen gute Voraussetzungen, um von der algerischen Grenze oder der Westsahara bis zur marokkanischen Küste vorzudringen. Der afrikanische Kontinent befand sich zu einem großen Teil in der Hand von radikalen Kräften, die die Kooperation der marokkanischen und algerischen Regierung mit Europa aufs Äußerste ablehnten und kontinuierlich versuchten, ihre Anhängerschaft in diesen Ländern zu vergrößern. Tarfaya am südlichen Ende Marokkos war seit Jahren ein Stützpunkt militanter Gruppen, die von dort aus immer wieder in das Land vordrangen und sich dabei bis zum gut dreihundert Kilometer entfernten Sidi Ifni vorwagten. Das war allerdings nicht der einzige Weg für schwerbewaffnete Einheiten bis zum am weitesten südlich gelegenen Energiepark, den das Unternehmen DesertEnergy im Land aufbaute und betrieb.

      Seit der massiven Ausweitung des solaren Energiegewinnungsprogrammes kam es immer wieder zu Übergriffen verschiedener militärischer