Dagmar Isabell Schmidbauer

Und dann kam das Wasser


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aber Natalia musste tun, was ihr vorbestimmt war.

      Inzwischen stand das ganze Örtl unter Wasser. Der Inn traf die Donau jetzt auf dem Platzl, im Hirschwirtsgaßl und im Klosterwinkel. Selbst bei den Nonnen in Niedernburg war Land unter, und als Dank dafür, dass er dabei geholfen hatte, die Heizung auszubauen und in Sicherheit zu bringen, hatten sie ihn zum Essen eingeladen und ein Nachtlager für ihn errichtet. Das Essen bei den Nonnen war wirklich gut. Nur Zigaretten hatten sie eben keine. Dafür meinten sie, er solle ein Bad nehmen und mal seine Sachen wechseln. So ein Quatsch. Er war doch eh gleich wieder draußen. Aber dann hatte die Oberin sich vor ihn gestellt, die Arme in die Hüften gestemmt und gesagt: „Jetzt wird gebadet!“ Fehlte nur noch ein ‚Basta!‘. Doch darauf hatte er nicht gewartet. Bevor sie seiner habhaft werden konnte, war er entschlüpft und zu seiner Zille gelaufen.

      Was dachten sich diese frommen Weiber eigentlich? Glaubten sie, er habe nichts Besseres zu tun, als ein heißes Bad zu nehmen? Ein richtiger Mann war bei einer solchen Katastrophe im Einsatz. Feuerwehr, THW, Wasserwacht und die Krankenhilfsdienste brauchten jeden Mann, jedes Boot, jede zupackende Hand. Alte und Kranke mussten versorgt, Einkäufe ausgeliefert, Menschen zur Arbeit und abends wieder nach Hause gebracht werden. Hochwasser war keine Idylle. Hochwasser war ein einziger Kampf gegen die Naturgewalten.

      Das Wasser habe schon fast elf Meter erreicht, hatte es heute Morgen geheißen und es stieg unaufhaltsam weiter. Wer, außer ihm, sollte da auf den Toten aufpassen?

      Als er das Platzl vor dem Waisenhaus erreichte, stattete er der Statue des heiligen Johannes von Nepomuk einen Besuch ab, um zu sehen, ob der Brückenheilige vielleicht schon zu trinken begann. Das war auch so eine Geschichte, die ihm seine Mutter oft erzählt hatte. Als er dann aber vor dem Heiligen Haltmachte, war er froh darüber, dass das Wasser noch nicht einmal bis zu dessen Bauch reichte. Nicht auszudenken, wie es im Örtl aussehen würde, wenn das Wasser noch höher stieg.

      Derart beruhigt lenkte er seine Zille um die inzwischen vom Wasser verschlungenen Holzstege herum und ruderte dann bis zu dem zugenagelten Fenster von der Beinhuber Emmi ihrem Lager. Das Wasser stand jetzt knapp unter dem Fensterbrett. Jetzt wäre es ein Leichtes, es aufzudrücken und hineinzuschlüpfen. Nur, mit der Zille konnte er nicht hinein, dafür war das Fenster zu schmal und drinnen war alles zu eng, und schwimmen wollte er nun wirklich nicht. Das Wasser hatte gerade mal sechs Grad. Zumindest hatten das die Gaffer und Hochwassertouristen erzählt, die nur noch aus sicherer Entfernung auf die ihnen entgegenkommenden Bäche, die in die Gassen der Altstadt drangen, glotzten.

      Vorsichtig blickte er sich nach allen Seiten um. Doch so wie es aussah, war er gerade ganz allein mit seiner Zille. Dabei hieß es doch immer, der Täter komme an den Ort des Verbrechens zurück. Nur, was sollte er hier machen? Rausholen konnte der den ja genauso wenig wie die von der Polizei. Interessant wäre ja nur zu wissen, warum der Täter den erst eingepackt und dann doch nicht mitgenommen hatte.

      Er drückte sich von der Wand ab und ruderte langsam bis zum Hauseck, von wo aus er in Richtung Ortsspitze blickte. Es sah aus, als ständen die Häuser direkt im Fluss. Nur der Landungssteg schwamm noch im Wasser, wie von Geisterhand an seinem Platz festgehalten. Die Ladentür und die Schaufenster mit dem eingedrückten Glas lagen jetzt ebenfalls unter der Wasserlinie, und irgendwo dahinter schwamm der Tote in seiner Mülltüte herum. Bei diesem Gedanken begann er sich dann doch zu gruseln. Für nichts und niemand würde er da noch einmal reingehen. Nicht mal für eine ganze Stange Zigaretten.

      An manchen Tagen saß Oberstleutnant Strebmann in seiner Wohnung und dachte zurück an seine erste Liebe. Er hatte sie bei einem dieser Volksfeste, die es in jeder Stadt gab, kennengelernt und ihr mit seinen Schießkünsten zu imponieren versucht. Er war damals Anfang zwanzig gewesen und sie so schüchtern, wie ein Mädchen nur sein konnte. In den folgenden Wochen hatte er ihr ganz altmodisch den Hof gemacht, sich in ihrer Nähe schwindelig vor Glück und Leidenschaft gefühlt, auch wenn es nie zum Äußersten gekommen war. Allein in seinem Zimmer hatte er sich vorgestellt, sie zu küssen und zu umarmen und irgendwann auch mit ihr zu schlafen, und hatte sich doch stets damit begnügt, froh darüber zu sein, dass er sie überhaupt kennen durfte. Zusammen kam er mit Röschen, wie er sie im Stillen nannte, auch, weil er nicht wusste, wie sie wirklich hieß, nie, und Jahre später heiratete er dann eine andere Frau. Eine, die das Herz im Himmel und den Kopf auf der Erde hatte. Louise.

      Die Hochzeitsfeier war schlicht, und die Flitterwochen entfielen, weil er am nächsten Tag zum Einsatz musste. In ihrer jungen Ehe schrieb sie ihm zahllose Briefe, die ewig unterwegs waren, und versuchte die Angst vor dem Tag, an dem er vielleicht nicht zurückkam, aus dem Alltag zu verbannen. Wenn er gerade nicht im Ausland war, wechselten sie alle naslang den Wohnort, die Freunde, die Bekannten und die Bäckerin an der Ecke.

      Irgendwann wurden die Briefe seltener, und als Louise das Schreiben ganz einstellte, wunderte er sich zwar, dachte aber auch, dass das eben der Lauf der Dinge sei, und zerbrach sich nicht weiter den Kopf.

      Als er eines Tages die Wohnung betrat, war Louise ausgezogen. Sie habe jetzt einen anderen Mann, schrieb sie ihm in ihrem kurzen Abschiedsbrief, und bat ihn, sie zu vergessen. Sie könne das alles einfach nicht mehr ertragen. Sie wolle nicht mehr jeden Tag Angst um ihn haben.

      Erst hatte er geweint, zum ersten Mal in seinem Leben. Dann hatte er versucht sie zurückzugewinnen, indem er ihr sagte, was für ein Waschlappen der Neue doch sei und warum sie ausgerechnet mit so jemandem leben wollte. Aber dann war ihm klar geworden, dass sie sich genau nach so einem Mann gesehnt hatte. Sie wollte nicht mehr im Schatten eines Helden stehen, sie wollte einen Mann, der auch mal verlieren konnte, einen, neben dem sie selbst groß war. Und ihm, dem Helden, dem Draufgänger, dem Mann, der alles im Griff hatte und der weder Tod noch Teufel fürchtete, blieb nichts anderes übrig, als sich zu fügen. So viele Schlachten hatte er geschlagen, jetzt nagte die größte Niederlage an ihm. Er war zu Hause, und Louise war weg.

      Doch dann hatte es das Schicksal noch einmal gut mit ihm gemeint und ihn sein Röschen wiedertreffen lassen. Nicht, dass sie es wirklich war, nein, das nicht, aber sie sah aus wie sie, und sie benahm sich genauso schüchtern, und weil er auch dieses Mal ihren Namen nicht wusste, nannte er sie für sich erneut :Röschen.

      Schon bald war die Frau mit den wunderbaren Rundungen, dem mädchenhaften Gang und dem gütigen Gesicht seine heimliche Liebe. Ständig lauschte er auf ihre Schritte, folgte ihrem Weg und malte sich aus, wie es wäre, wenn er sich ihr endlich offenbaren würde.

      Bei ihrer ersten Begegnung hatte er sich schon in sie verliebt, und da es keine andere Frau in seinem Leben gab, für die er schwärmen konnte, tat er es künftig für Röschen. Allein in seiner Wohnung wünschte er sich, mit ihr zusammen zu sein, und wenn sie im Hausflur an ihm vorbeieilte, nahm er sich vor, sie beim nächsten Mal zu fragen, ob sie nicht mit ihm essen oder gar ausgehen wolle.

      An diesem Tag hatte er, was sonst nie vorkam, verschlafen, weil er am Abend zuvor zu lange die Katastrophenberichte im Fernsehen verfolgt hatte. Ausgerechnet heute, schimpfte er sich, verzichtete auf das Frühstück, überprüfte seinen kleinen Koffer, zog seine Uniform an und rief ein Taxi. Einmal im Jahr nahm er an einer Wehrübung für Reservisten teil, und diese eine Übung begann heute.

      Als er die Treppe hinuntergehen wollte, kam ihm Röschen entgegen, und als er sie sah, war die Welt eine andere. Trotz der Eile und des drängenden Hupens des Taxifahrers stellte er den Koffer ab und ließ sie vorbei. Sie sah so müde aus an diesem Morgen. Ihre Schritte waren schwer, und sie brauchte auf einmal Platz für zwei auf dem Gang, warum er sich ganz an die Wand drückte. Und als sie an ihm vorbeiging, grußlos wie immer, da sah er ein geheimnisvolles Leuchten in ihren Augen. Es war wie ein Versprechen, er wusste nur nicht, ob es gut oder schlecht war.

      „Einen wunderschönen guten Morgen“, grüßte er und schlug im Eifer des Gefechts die Hacken zusammen. Und tatsächlich sah es so aus, als würde sie ihn anlächeln und ihm vorsichtig zunicken.

      Beschwingt eilte er mit seinem Koffer die Treppen hinunter und stieg in sein wartendes