Dagmar Isabell Schmidbauer

Und dann kam das Wasser


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      Während die Kommissarin im Büro auf den vorgeladenen Anwalt der Erbengemeinschaft wartete, klickte sie sich wie eine Besessene durch die Tatortfotos, so als könnte sie, wenn sie nur oft genug hinblicken würde, etwas entdecken, was den Täter offenbarte. Einen Täter, der sich immerhin mit ihr ganz persönlich angelegt hatte.

      Als es an der Tür klopfte, zaghaft, beinah lautlos, stierte die Kommissarin gerade mal wieder auf die Hand mit den tiefen Verletzungen darin. Etwas, das sie einfach nicht verstehen konnte.

      „Ja“, rief sie dementsprechend mürrisch und blickte genervt auf, als eine junge Frau mit blondem Pferdeschwanz und in Uniform den Kopf zu Tür hineinstreckte.

      „Entschuldigen Sie bitte die Störung“, setzte sie an, als sie Franziska entdeckte. Doch dann wanderte ihr Blick zu Hannes, und ein strahlendes Lächeln erhellte ihr Gesicht. „Hallo“, hauchte sie jetzt nur an ihn gewandt und trat näher.

      „Ah, hallo, komm doch rein!“ Hannes sprang auf und zeigte, an Franziska gewandt, auf die Besucherin. „Darf ich vorstellen? Kollegin Hoffmann.“

      „Franziska Steinbacher, freut mich“, entgegnete Franziska tonlos.

      „Ja, mich auch.“ Die junge Frau lächelte ein wenig unsicher. Dann hielt sie den Umschlag in die Höhe, den sie die ganze Zeit hinter dem Rücken gehalten hatte. „Ich hab etwas, was euch vielleicht interessieren könnte.“

      „Komm, Sabrina, setz dich doch!“ Hannes rückte den Besucherstuhl für sie zurecht, und als sie Platz genommen hatte, schaute er ebenfalls auf den Umschlag.

      „Ja, Sabrina, was haben Sie denn für uns?“, fragte Franziska in einem sehr freundlichen Ton – aber leider fiel dieser weder Sabrina noch Hannes auf, die viel zu sehr damit beschäftigt waren, einander mit funkelnden Augen anzustarren.

      „Ich, ähm, hab ein bisschen in meinen Fotoalben gesucht und dann etwas gefunden, was vielleicht interessant sein könnte. Wegen den Beinhuber-Brüdern“, fügte sie für Franziska hinzu.

      Die nickte auffordernd.

      „Ja, also, ich habe hier ein Foto von den Brüdern und ihrer Tante Emmi.“ Sie zog ein Foto aus dem Umschlag und hielt es Hannes entgegen. „Und ich bin auch drauf. Noch ganz klein, siehst du?“

      Hannes lächelte verzückt. „Süß, wirklich.“

      Franziska stand auf und ging zu den beiden hinüber, um ebenfalls einen Blick auf die Aufnahme zu werfen. „Ja, wirklich, sehr süß“, erklärte sie und blickte Hannes mit hochgezogener Braue an, der daraufhin die Augen verdrehte.

      Franziska wandte sich feixend von ihm ab und fragte: „Wer ist denn jetzt wer?“

      „Der große ist Bernhard, der hier Franz, das ist der kleine Christian, und das hier ist Josef“, erklärte die Kollegin Hoffmann. „Ja, und das ist die alte Emmi.“

      „Hm, das ist aber schon ein bisschen her. Haben Sie nicht vielleicht ein Foto, auf dem die Brüder schon erwachsen sind?“, wollte Franziska, inzwischen doch neugierig geworden, wissen.

      „Doch, hab ich.“ Wieder zog Sabrina Hoffmann ein Foto heraus.

      Franziska schnappte es sich sofort, schaute auf die vier Männer und fragte gespannt: „Der hier ist Bernhard, und der Franz. Richtig?“

      Kollegin Hoffmann nickte. „Und das hier ist Josef.“

      „Dann ist das Christian?“, fragte Franziska unsicher, weil der vierte Mann auf dem Bild nicht zu den anderen passen wollte.

      „Nein. Das ist Andreas, aber der gehörte irgendwie auch immer dazu.“

      „Noch ein Beinhuber-Bruder?“

      „Nein. Andi ist, ja, wie soll ich sagen … Er ist nach dem Tod seiner Mutter im Waisenhaus aufgewachsen und war irgendwie immer dabei, wenn wir was unternommen haben.“

      „Schade, mich hätte vor allem Christian interessiert“, stellte die Kommissarin nüchtern fest. „Ich kann ja nach Dienstschluss noch mal schauen, vielleicht finde ich eins von ihm. Wenn ich bis dahin überhaupt noch nach Hause komme. Der Pegel ist mal wieder gestiegen“, fügte sie nachdenklich hinzu.

      „Ja, tun Sie das, das wäre wirklich hilfreich“, erklärte Franziska und lächelte sie aufmunternd an.

      „Wenn du nicht mehr in deine Wohnung darfst, wo kommt du dann unter?“, hakte Hannes, mit mehr Interesse an der Kollegin als an den Fotos, nach.

      „Dann zieh ich ins Notquartier. Die Stadt hat inzwischen einige eingerichtet. Ich kann es mir aussuchen: Dreiländerhalle oder Jahnturnhalle. Aber ich glaube, ich nehme die Dreiländerhalle − wobei, dort sind ja auch die ganzen auswärtigen Hilfskräfte untergekommen …“

      „Also, wenn du Hilfe brauchst, dann melde dich“, bot Hannes an und erntete dafür einen weiteren skeptischen Seitenblick von Franziska.

      „Blöde Situation“, gab sie zu, nachdem Sabrina den Raum verlassen hatte, blickte auf ihr Handy und fluchte lauter als nötig: „Verdammt! Jetzt ist es schon zehn Uhr durch, und Rechtsanwalt Mooslechner ist immer noch nicht aufgetaucht.“

      Hannes grinste. „Was hast du eigentlich gegen die Kollegin Hoffmann?“

      „Sabrina?“, entgegnete Franziska spöttisch.

      „Ja, so heißt sie.“

      „Nichts. Ich hab nur was dagegen, dass wir einen Zeugen vorladen und der einfach nicht kommt.“ Franziska stöhnte. „Nein, stimmt nicht. Ich hab vor allem was dagegen, eine Leiche zu haben und doch irgendwie auch nicht. Und da das schon so nervig ist, wüsste ich wenigstens gern, ob Mutter Beinhuber uns die Wahrheit gesagt hat, ob das mit dem Erbe wirklich so gestimmt hat, ob der Christian ein Netter war oder einer, der über Leichen ging, ob es am Ende jemanden gab, der Interesse an dem Haus hatte und, und, und. Und stattdessen kommt das Fräulein Sabrina und zeigt uns Kinderfotos.“ Franziska lächelte bitter. „Süße Kinderfotos.“

      „Hey, bei euch ist ja 'ne Bombenstimmung“, unterbrach Kollege Obermüller, der sich ohne anzuklopfen ins Zimmer geschoben hatte, Franziskas Gekeife.

      „Ah, gut, dass du kommst. Sag mal, Obermüller, hat sich unser Zeuge Viktor Mooslechner bei dir gemeldet?“

      Matthias Obermüller war ein Schrank von einem Mann, sehr verlässlich, aber auch für jeden Ratsch und Tratsch zu haben. Gemeinsam mit Ludwig Gruber unterstützte er das Team der Passauer Mordkommission bei kniffligen Fällen. Als akribische Ermittler waren die beiden unschlagbar, was Franziska nur zu gern ausnutzte.

      „Nee, tut mir leid, den Namen höre ich zum ersten Mal. Aber da ihr anscheinend die Einzigen seid, die bei dem Sauwetter hier rumsitzen und sich Gedanken über einen Zeugen machen, den sie nicht befragen können, hätte ich ein wenig Abwechslung für euch.“

      Als Natalia die Wohnung erst einmal verlassen hatte und mit kleinen unauffälligen Schritten immer mehr Distanz zwischen sich und ihr Martyrium brachte, fühlte sie sich zunehmend erleichtert. Sie hatte einen Entschluss gefasst und ihren Weg gefunden.

      In ihrem Inneren trug sie heute ein Licht und eine Wärme, die sie noch nie gespürt hatte und die sie unempfänglich für alles um sie herum machte. So achtete sie nicht auf die vielen Menschen, die mit schreckgeweiteten Augen auf das blickten, was einmal ihr Zuhause gewesen war, oder die, die mit Schirmen und Kameras ausgerüstet auf der Jagd nach den besten, den ungeheuerlichsten Fotos unterwegs waren. Natalia hielt den Blick gesenkt, das Gebet zur Jungfrau Maria im Herzen.

      Auf der langen Reise nach Passau hatte sie oft von schönen Sachen geträumt, die sie sich kaufen wollte, sobald sie ihr erstes Geld verdient hatte. Doch jetzt, Monate später, war es nicht mehr wichtig, welches Kleid oder welchen Mantel sie trug. Und auch der Regen, der schon wieder in Sturzbächen vom Himmel fiel, störte