Ana Marna

Wandlerin


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zerriss mit seinem Klingeln die Stille.

      Der Wolf lauschte ein paar Sekunden und stieß dann ein zufriedenes Brummen aus.

      „Interstate 70, Kansas“, meinte er dann. „Da ist sie gerade gesehen worden. Gib Gas, Wandler. Im Moment scheint sie zu Fuß unterwegs zu sein. Das schenkt uns ein wenig Zeit.“

      Erdil atmete erleichtert aus. Kansas war zwar noch weit entfernt, doch zumindest kannten sie jetzt die Richtung.

      „Sie ist besser geworden“, kam es nach einiger Zeit von Mort Byers. „Zielgerichteter.“

      Henry brummte nur, aber Erdil sah sich kurz nach dem Riesen um. Mort Byers war wohl der größte Wolf, der je geboren worden war, und Erdil wusste, dass dieser Krieger eine besondere Gabe in sich trug. Er konnte Magie riechen.

      „Hast du Hexenmagie bemerkt?“, fragte er.

      Mort schüttelte den Kopf. „Nein. Nur Wandler und Wolf.“

      So weit war Erdil auch schon gewesen, aber er war trotzdem erleichtert. Gegen Magie anzutreten, war noch eine ganz andere Nummer als gegen Körperkraft.

      „Sie ist wirklich außergewöhnlich stark und schnell“, meinte er schließlich. „Und in ihrer Wohnung waren einige Trainingsgeräte. Sie hat sich fit gehalten. Aber sie ist keine Kämpferin.“

      „Du sagtest, sie hatte Angst.“ Das kam von Henry.

      Erdil nickte. „Ja. Das war eindeutig zu riechen. Doch ich vermute, es war nicht ihre erste Auseinandersetzung. Sie wusste genau, wohin sie zielen musste.“

      „Und sie hat nicht durchgezogen“, behauptete Leo.

      „Bist du dir sicher?“ Erdil war skeptisch.

      „Verdammt sicher! Es ging zwar alles sehr schnell, aber sowohl bei mir als auch bei dir hat sie den Tritt abgebremst. Sonst wären wir nicht so schnell wieder aufgestanden.“

      „Na super“, murmelte Erdil. Aber wenn er sich den ganzen Vorgang noch einmal vor Augen führte, musste er Leo recht geben.

      „Also zumindest scheint sie keine Killerin zu sein“, grinste Henry. „Das hört sich doch schon mal gut an. Vielleicht streichelt sie euch beim nächsten Mal.“

      Erdil versuchte, den Spott zu überhören. Eine Schlägerei im Inneren eines SUVs war vermutlich keine gute Idee. Dass es irgendwann zu einer kommen würde, davon konnte man wohl ausgehen. Dieser Henry schien es geradezu herauszufordern.

      Vier Stunden später fuhren sie auf den Rastplatz, an dem Karina Wells zum letzten Mal gesichtet worden war. Die Wölfe stiegen sofort aus und hoben die Köpfe. Dann joggten sie unisono los.

      Erdil seufzte ergeben. Es war wohl zu viel verlangt, Erklärungen zu erwarten.

      „Bleib an ihnen dran“, wies er Leo an und beobachtete wie die Ranger immer schneller wurden und dann ins Gelände abbogen.

      „Mist“, fluchte Leo. „Soll ich ...“

      „Nein, bleib auf der Straße und behalte die grobe Richtung bei. Die werden sich schon melden, wenn sich was ändert.“

       Ein Verbündeter

      

      

       Colorado

      Vier Tage war sie jetzt auf der Flucht und obwohl sie seit dem Zusammenstoß auf dem Parkplatz keinen Verfolger hatte ausmachen können, war Karina immer noch unter Hochspannung.

      Die Nächte hatte sie vorzugsweise draußen verbracht. In der Nähe von Menschen herrschten zu viele Gerüche, als dass sie rechtzeitig ihre Verfolger gewittert hätte. Das Wetter war zu ihrem Glück warm und trocken genug.

      Am liebsten hätte sie jeglichen Kontakt mit Menschen gemieden. Wenn es tatsächlich wieder zu einer Konfrontation kommen sollte, war nicht ausgeschlossen, dass auch Unschuldige zu Schaden kamen. Und das wollte sie auf jeden Fall vermeiden. Doch da war das leidige Problem mit der Verpflegung. Solange sie nicht in direkter Gefahr war, schien es sinnvoll, ihre Vorräte zu sparen. Also nutzte sie jede passende Möglichkeit, um sich mit Kalorien vollzustopfen.

      Auch jetzt saß sie in einem kleinen Restaurant am Stadtrand und verputzte bereits ihr drittes Steak. Die fassungslosen Blicke der Bedienung ignorierte sie. Sie hatte schnell bemerkt, dass ihr Körper seit der Wandlung deutlich mehr Kalorien verlangte als vorher. Ihr Stoffwechsel war offenbar sehr hoch und körperliche Anstrengung verstärkte das noch. Normalerweise konnte sie das kaschieren, indem sie ständig kleine Mahlzeiten zu sich nahm. Doch im Moment war sie froh, wenn sie zweimal am Tag die Gelegenheit zum Essen fand. Also hielt sie sich nicht zurück und hoffte, dass ihr Essverhalten sie nicht verriet.

      Der Geruch war so plötzlich hinter ihr, dass sie erstarrte. Bevor sie reagieren konnte, schob sich eine Gestalt in ihr Blickfeld und setzte sich ihr gegenüber.

      Karina blinzelte. Sie war sich sicher, den Mann vor ihr noch nie gesehen zu haben. Angst kroch in ihr hoch, doch bevor sie aufspringen konnte, hob er die Hand und lächelte sie freundlich an.

      „Bleib. Ich tu dir nichts.“

      Etwas in seiner Stimme ließ sie zögern. Er klang tatsächlich nicht bedrohlich. Misstrauisch betrachtete sie ihr Gegenüber.

      Der Mann war hochgewachsen, wenn auch nicht viel größer als sie, und schlank. Aber seine Körperspannung verriet, dass er sich zumindest fit hielt. Blaue Augen musterten sie neugierig und Karina musste zugeben, dass dieser Mann verflixt gut aussah. Die blonden Haare waren ordentlich kurz geschnitten und sein Kinn glattrasiert. Gekleidet war er in eine Stoffhose und ein kurzärmeliges, weißes Hemd. Insgesamt wirkte er sehr gepflegt. Und bei weitem nicht so gefährlich wie ihre beiden Verfolger.

      Doch er roch nach Asche.

      „Was willst du?“, fragte sie schließlich und versucht, ihrer Stimme einen ruhigen Klang zu geben.

      „Dich kennenlernen.“

      „Ähm, und warum?“

      Er lachte leise.

      „Nun, kannst du es dir nicht denken? Du bist wie ich. Zum Teil jedenfalls. Und das ist – nun, sagen wir mal, sehr ungewöhnlich.“

      Sie schluckte nervös. „Und warum ist das so – ungewöhnlich?“

      Er beugte sich vor und fixierte sie mit ernstem Blick.

      „Weil du eine Frau bist. Wandler sind normalerweise männlich.“

      „Oh.“ War das so? Sie wusste es nicht und das war schlimm genug. „Und – was meinst du mit Wandler?“

      Jetzt schien er überrascht zu sein.

      „Du kennst den Begriff tatsächlich nicht?“

      Sie schüttelte langsam den Kopf.

      Er lehnte sich zurück und wirkte nachdenklich.

      „Hm, du weißt wohl wirklich nicht viel über uns.“

      „Ich weiß gar nichts“, gab sie zu.

      „Tja, und das ist das Problem, nicht wahr? Deshalb lässt Hunter dich jagen.“

      „Woher weißt du das? Wer ist Hunter?“

      Wieder lächelte er.

      „Ich kann es dir gerne erklären. Aber ungern hier. Es gibt viel zu viele neugierige Ohren. Aber eines kann ich dir versichern. Ich gehöre nicht zu Hunter. Und ich bin überhaupt nicht damit einverstanden, wie er dich jagen lässt.“

      Das hörte sich zunächst gut an. Doch konnte sie diesem Fremden trauen?

      „Wie