Irene Dorfner

Der Heinrich-Plan


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sagten alle dasselbe aus: Keiner wusste etwas und keiner hatte etwas gesehen. Maximilians Hotelzimmer war durchsucht worden und brachte keinen Hinweis über den Verbleib des Vermissten. Die Verbindungsdaten des Handys wurden überprüft und stellten keinerlei Auffälligkeiten dar. Maximilians Handy war verschwunden und man versuchte, das Handy über mehrere Wochen zu orten, was aber zu keinem Ergebnis führte.

      Leo, Anna und Steinberger fuhren durch eine sehr schöne Wohngegend mit riesigen, teuren Häusern, die vor vielen Jahren errichtet wurden. Leo liebte diese Häuser, die mehr und mehr modernen Häusern weichen mussten. Damals hatte man sich noch mit den Fassaden sehr viel Mühe gegeben. Heute baute man in Leos Augen einfach Betonklötze ohne jeglichen Charme.

      Sie schienen an ihrem Ziel angekommen. Sie passierten ein schmiedeeisernes Tor, das offen stand. Auf einer von Tannen gesäumten, gekiesten Auffahrt fuhren sie bis zu einem riesigen, prunkvollen Haus, vor dem zwei sehr edle Autos standen. Die riesige Garage stand offen und gab den Blick auf weitere Fahrzeuge frei, von denen Leo viele nur aus dem Katalog kannte.

      „Donnerwetter,“ sagte Anna, „schau dir diesen schwarzen Sportwagen an. Ein Traum.“

      „Die von Kellbergs sind eine alt eingesessene Passauer Familie. Sie besitzen hier sehr viele Immobilien und noch mehr Grund. Johannes von Kellberg ist Arzt mit einer eigenen Praxis.“

      „Was für ein Arzt?“, wollte Anna wissen.

      „Schönheitschirurg,“ sagte Steinberger knapp. Anna und Leo sahen sich an und nickten. Ihnen war klar, dass man damit ein Vermögen verdienen konnte.

      Sie klingelten und ein älterer Herr öffnete die Tür. „Guten Tag. Treten Sie ein, die Herrschaften erwarten Sie.“

      „Danke Willi,“ sagte Steinberger.

      Sie traten in ein großzügiges, sehr gemütlich eingerichtetes Zimmer, in dem die Eheleute von Kellberg auf einer cremefarbenen Couch vor einem riesigen Kamin saßen.

      „Das sind Herr und Frau von Kellberg und das sind Herr Schwartz und seine Kollegin Frau Ravelli von der Kriminalpolizei Ulm,“ stellte Steinberger vor. Sie gaben sich die Hand und alle setzten sich in die großzügige Sitzgruppe.

      Johannes von Kellberg war 52 Jahre alt, groß und sehr schlank. Er hatte kurze, braune Haare, einen energischen Mund und schöne blaue Augen, die alles und jeden unaufhörlich musterten. Er strahlte schon allein durch sein Äußeres eine gewisse Überheblichkeit aus, die Leo als sehr arrogant empfand. Frau von Kellberg dagegen war sehr anmutig und man konnte schon dadurch erkennen, wie sie auf dem Sofa saß, dass sie eine sehr gute Erziehung genossen haben musste. Leo hatte noch nie jemanden gesehen, der so aufrecht saß wie sie. Mit ihren 47 Jahren und den schulterlangen blonden Haaren, in denen Leo einige graue Haare entdeckte, war sie zwar keine Schönheit. Aber sie strahlte etwas aus, das er sehr mochte und ihm auf Anhieb sympathisch war. Im Laufe der Jahre hatte er eine Menschenkenntnis entwickelt, auf die er sich fast immer verlassen konnte. Manchmal ertappte er sich dabei, dass er Menschen abschätzte und sofort beurteilte, ob sie ihm sympathisch waren oder nicht, was eine dumme Angewohnheit von ihm war.

      Die Eheleute von Kellberg sahen Leo fragend an. Er musste sich mehrmals räuspern, da es ihm auch nach all den Jahren immer noch sehr schwerfiel, Todesnachrichten zu überbringen. Auch das war außer der Pathologie etwas, an das er sich niemals gewöhnen würde.

      „Herr und Frau von Kellberg. Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass wir Ihren Sohn Maximilian tot aufgefunden haben. Mein aufrichtiges Beileid.“

      Die von Kellbergs fassten sich an den Händen.

      „Das wissen wir bereits,“ sagte Johannes von Kellberg ungeduldig. „Unser Freund Albert teilte uns den Tod Maximilians bereits mit. Wir wurden auch schon in Kenntnis gesetzt, dass unser Sohn ermordet wurde. Was wir nicht wissen, sind die Details des Mordes an unserem Sohn.“ Leo war sauer. Albert Steinberger hatte ihm verschwiegen, dass die Eheleute von Kellberg bereits über den Tod ihres Sohnes informiert wurden. Hatten sie nicht vereinbart, dass sie das gemeinsam machen wollten? Leo warf Steinberger einen wütenden Blick zu, der diesem auswich. Diesen Steinberger würde er sich später zur Brust nehmen!

      „Wir fanden Ihren Sohn am Samstag auf der Schwäbischen Alb. Ich habe Fotos mitgebracht. Wenn Sie sich die bitte ansehen würden?“

      Mit zittrigen Händen nahm Frau von Kellberg die Fotos und sie und ihr Mann sahen sich eins nach dem anderen an. Frau von Kellberg liefen Tränen übers Gesicht und sie strich mit einem Finger sanft über jedes einzelne Foto. „Ja, das ist mein Junge.“ Auch Herr von Kellberg nickte.

      „Was um Himmels Willen ist passiert?“

      „Das wissen wir noch nicht. Wir stehen mit unseren Ermittlungen noch ganz am Anfang.“

      „Wer hat ihn gefunden?“

      „Das war ich quasi selbst. Während einer Wanderung auf der Schwäbischen Alb wurde Maximilian gefunden. Er wurde mitten im Gelände abgelegt.“

      „Was hatte Maximilian auf der Schwäbischen Alb verloren? Wie ist er umgekommen? Warum hat er sterben müssen? Wir vermissen unseren Jungen seit Juni, das ist über drei Monate her. Was hat er in der Zwischenzeit gemacht? Wieso trägt er nur Shorts?“ Die Fragen sprudelten nur so aus Frau von Kellberg heraus. Jetzt wurde es für Leo wirklich unangenehm, denn er musste die beiden mit den Details konfrontieren. Er konnte sich dem nicht entziehen, er war dazu verpflichtet, den Eltern die Wahrheit zu sagen. Er atmete tief durch, räusperte sich und war bemüht, so ruhig wie möglich die Fakten vorzutragen:

      „Die Autopsie hat ergeben, dass Ihr Sohn in Salzwasser ertrunken ist.“

      „Ein Badeunfall auf der Schwäbischen Alb? Erzählen Sie keinen Blödsinn! Dort gibt es kein Salzwasser!“, rief Herr von Kellberg.

      „Das ist richtig. Es wurde Salzwasser nachgewiesen, daran besteht kein Zweifel. Es handelt sich nicht um einen Badeunfall. Die Spuren am Körper Ihres Sohnes weisen darauf hin, dass er ertränkt wurde.“ Leo entschied, jetzt mit der ganzen Wahrheit rauszurücken. „Wir konnten Sand an den Zehen und unter den Zehennägeln sicherstellen, die der Nord- oder Ostsee zugewiesen werden konnten. Darüber hinaus wurde eindeutig festgestellt, dass Ihr Sohn eingefroren wurde und kürzlich erst auf der Schwäbischen Alb abgelegt wurde. Er trägt dieselben Badeshorts wie am Tag seines Verschwindens. Deshalb liegt es nahe, dass Ihr Sohn noch am Tag seines Verschwindens auf Sylt getötet wurde.“

      Ungläubig starrten ihn die Eheleute von Kellberg an. Für einen Moment war es still in dem riesigen Wohnzimmer, man hörte nur das Ticken der uralten Wanduhr.

      „Was erzählen Sie denn da? Das gibt doch keinen Sinn. Mein Junge wurde eingefroren, nachdem er in Salzwasser ertränkt wurde? Dann, nach drei Monaten, hat ihn jemand auf die Schwäbische Alb gebracht? Ich kann das alles nicht verstehen. Wer tut denn so etwas?“ Frau von Kellberg sah Leo mit flehendem Blick an. Sie erwartete von ihm eine Erklärung, die er ihr nicht geben konnte; zumindest noch nicht.

      „Die Fakten sind leider so. Bitte glauben Sie mir, dass es mir sehr schwer fällt, Ihnen die Details zu nennen. Für uns ist das auch alles merkwürdig und ergibt keinen Sinn. Fest steht, dass Maximilian ermordet wurde. Sind Sie beide in der Lage, uns einige Fragen zu beantworten?“

      „Selbstverständlich. Wir werden alles tun, um Ihnen zu helfen, darauf können Sie sich verlassen. Entschuldigen Sie bitte meinen Gefühlsausbruch. Bitte, fragen Sie.“

      „Vielen Dank, Frau von Kellberg. Ich weiß, dass ich Ihnen sehr viel abverlange, aber ich bin auf jede Hilfe angewiesen. Wann haben Sie Ihren Sohn zuletzt gesehen?“

      „Als er abreiste, also am Morgen des 10. Juni, habe ich ihn zum letzten Mal gesehen. Er hat mich angerufen, als er auf Sylt landete, das war am späten Abend des gleichen Tages. Das war das letzte Mal, dass ich mit meinem Sohn gesprochen habe.“ Sie weinte leise in ihr Taschentuch.

      „Und Sie, Herr von Kellberg?“

      „Als Maximilian in Urlaub fuhr, war ich nicht zu Hause. Ich war bei einem Seminar in London und wusste nicht einmal, dass Maximilian nach Sylt wollte. Ich habe ihn zuletzt vor meiner