Bettina Huchler

Wer zuletzt lacht ...


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ich vorbeikommen, gar kein Problem. Wann soll ich bei dir sein?«

      »Am besten so um vier. In Ordnung?«

      Mira verzog das Gesicht. »Ich kann erst gegen fünf. Du weißt doch, meine Filialleiterin im Supermarkt lässt mich nicht eher gehen. Nicht mal, wenn ich schon alle Regale aufgefüllt habe.«

      Verärgert schüttelte Susanne den Kopf. »Ich kann echt immer noch nicht begreifen, warum du dir das antust. Ich an deiner Stelle hätte schon längst das Handtuch geschmissen.« Sie lachte laut auf. »Nein, Quatsch. Ich hätte mit diesem Blödsinn erst gar nicht angefangen.«

      Mira seufzte. Diese Diskussion hatte sie mit Susanne schon unzählige Male geführt. Es war für Mira aber nun mal ein schönes Gefühl, sich durch die Arbeit im Supermarkt ihr Taschengeld aufbessern zu können. Außerdem machte sie den Job noch nicht so lange. Sie hatte dort erst vor zwei Monaten angefangen. Aufgeben kam für sie nicht infrage. Warum auch? Ihr machte die Arbeit Spaß und die Kollegen waren allesamt sehr nett.

      »Also gut, fünf Uhr geht auch – gerade noch so, also sei bitte pünktlich, ja?«, lenkte Susanne ein. Sie holte ihr Handy und eine Haarbürste aus ihrer Tasche. »Warte mal, wir müssen noch ein Foto für Instagram machen. Schließlich haben wir den letzten Tag des Schuljahres soeben erfolgreich hinter uns gebracht.«

      Sie richtete sich die Haare, packte die Bürste weg und legte Mira einen Arm um die Schulter. Beide lächelten in die Frontkamera, als der Selbstauslöser, den Susanne eingestellt hatte, seinen Dienst verrichtete.

      Sofort prüfte Susanne, ob das Foto was geworden war. Sie verzog das Gesicht. »Nein, das geht so nicht. Wie liegen meine Haare denn schon wieder?« Sie zog die Haarbürste erneut aus ihrer Tasche, um ihre Frisur in die richtige Form zu bringen. Dabei besah sie sich durch die Frontkamera des Handys. »So, jetzt. Versuchen wir es einfach noch einmal.«

      Mira kannte das schon von Susanne. Selten war diese mit dem ersten Foto zufrieden. Oftmals wurde die Prozedur mehrmals wiederholt.

      Susanne wiegte den Kopf hin und her, während sie das Foto betrachtete. »Na ja, könnte besser sein, aber ist okay.« Mit ein paar Klicks hatte sie das Bild gepostet und steckte das Handy wieder ein.

      Vor dem Schultor verabschiedeten sich die Freundinnen voneinander. Susanne rauschte eiligen Schrittes davon, während Mira in Richtung Fahrradständer blickte.

      Da war er wieder: der wohl bestaussehendste Junge der ganzen Schule. Viel wusste Mira allerdings nicht über ihn. Er hieß Marcel und ging in die Klassenstufe über ihr. Schon oft hatte sie ihn heimlich während der Hofpausen von Weitem beobachtet. Ihn anzusprechen traute sie sich allerdings nicht. Obwohl sie ihn noch nie mit einem Mädchen zusammen gesehen hatte, konnte sie sich gut vorstellen, dass er eine Freundin hatte. So süß wie er war, hatte Mira bei ihm sicherlich nicht die geringste Chance.

      Genauso wie Susanne trug Marcel ausschließlich Markenklamotten. Solche Kleidung konnten sich Miras Eltern nicht leisten. Dafür verdienten sie nicht genug. Das war auch der Grund, warum sie dieses Jahr nicht wegfuhren. Drei Wochen am Stück waren sie sowieso noch nie weggewesen. Ein wenig beneidete Mira Susanne schon dafür, dass ihre Familie sich so viel leisten konnte. Aber war Geld wirklich alles? Wenn Mira genauer darüber nachdachte, war sie glücklich und es fehlte ihr an nichts.

      Markenklamotten interessierten sie nicht im Geringsten. Auch günstigere Kleidung konnte durchaus gut aussehen. Es kam eben immer auf die Kombination an. Klar musste sie deshalb den ein oder anderen fiesen Kommentar ihrer Mitschüler über sich ergehen lassen. Die meisten trugen überwiegend Markenklamotten – und wer das nicht tat, war ein schlechter Mensch. Zumindest kam es Mira hin und wieder so vor. War das vielleicht der Grund, warum Susanne ihre einzige Freundin war? Claudia und Laura waren für sie lediglich Klassenkameradinnen. Aber ganz ehrlich, es war ihr egal. Sie brauchte nicht viele Menschen um sich herum, sie hatte lieber welche, die es ehrlich mit ihr meinten. Noch wichtiger war für sie, dass sie mit sich selbst zufrieden war. Und genau das war sie.

      Nur hin und wieder schlichen sich ein paar Zweifel in ihre Gedanken. Wie zum Beispiel eben, als Susanne sie wegen ihrer nicht ganz idealen Figur gemustert hatte. In solchen Situationen fragte sie sich manchmal, ob sie nicht doch mal eine Diät machen sollte. Andererseits fand sie sich nicht wirklich zu dick. Außerdem aß sie viel zu gern.

      Da waren ihre Gedanken also wieder beim Thema Styling und Ernährung angekommen. Sie musste daran denken, dass sie Susanne später ein paar Stylingtipps geben sollte. Doch wenn diese von Tipps sprach, war das nicht damit gemeint. Denn es war bei Weitem mehr als lediglich ein bisschen Hilfestellung, die Mira ihr gab. Meistens stylte sie ihre Freundin komplett und half ihr sogar bei der Zusammenstellung der Klamotten für die jeweilige Feier. Susanne hatte dafür kein Händchen. Im Alltag klappte das erstaunlich gut, aber sobald sie auf eine Party gehen wollte, sah sie häufig aus wie ein schräger Papagei. Sie hatte einfach noch nicht begriffen, dass oftmals weniger mehr war. Allerdings legte Susanne großen Wert darauf aufzufallen – um jeden Preis.

      Aber im Endeffekt half Mira ihrer Klassenkameradin gern. Es war für sie eine gute Übung, denn sie wollte später unbedingt Kosmetikerin oder Maskenbildnerin werden. So genau hatte sie sich nicht festgelegt, schließlich hatte sie auch noch ein wenig Zeit. Es war faszinierend, wie etwas Schminke, eine andere Frisur und die dazu passende Kleidung aus einem Menschen einen völlig neuen Typ machen konnten.

      Sie selbst schminkte sich für die Schule nur dezent. Die Wimpern tuschte sie täglich und hin und wieder legte sie ein wenig Lipgloss auf. Wenn sie Lust und Zeit hatte, kam noch ein Lidstrich dazu. Es hieß doch immer, dass die Augen der Spiegel der menschlichen Seele waren, also durften diese auch entsprechend betont werden. Wenn sie Langeweile hatte, experimentierte sie zu Hause gern mit ihrem kleinen Schminkkoffer herum, den sie vor drei Monaten von ihren Eltern zum Geburtstag bekommen hatte. Darüber hatte sie sich wahnsinnig gefreut. Eine solche Auswahl an Produkten hatte sie noch nie zuvor gehabt.

      »Hey, Marcel, sehen wir uns heute Abend auf der Party?« Von dem Rufen eines Jungen wurde Mira zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit aus einem ihrer vielen Tagträume gerissen.

      Sie stand noch immer am Schultor und starrte in Richtung der Fahrradständer, wo sich Marcel mit seinen Kumpels unterhielt.

      Er drehte sich auf einmal um und blickte zu ihr.

      Schnell nahm Mira ihre Schultasche vom Rücken und kramte darin herum. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Hatte er bemerkt, dass sie ihn angestarrt hatte? Hoffentlich nicht.

      »Klar werde ich da sein. Was denkst du denn? Schließlich muss man den Ferienbeginn feiern, oder?«, antwortete Marcel.

      Die Jungs verabschiedeten sich voneinander und Marcel schwang sich auf sein Fahrrad und fuhr los.

      Endlich konnte Mira aufatmen, doch ihr Herzschlag beruhigte sich nur allmählich. Es wurde Zeit, dass sie sich auf den Heimweg machte. Dabei überlegte sie, ob ihr Schwarm am Abend wohl auf derselben Party sein würde wie Susanne.

      Eine winzige Hoffnung keimte in Mira auf – wie eigentlich jedes Mal, wenn sie Susanne beim Styling half. Mira würde ihr auch heute wieder die Frage stellen, die ihr fast genauso starkes Herzklopfen bescherte wie Marcels Anblick. Vielleicht würde Susanne diesmal zustimmen und sie endlich einmal mit auf eine Party nehmen. Irgendwann musste sich ihre Hilfe doch auch mal für sie bezahlt machen, oder?

      Kapitel 2

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      Bei der Arbeit im Supermarkt war Mira so unkonzentriert wie nie zuvor.

      »Was ist heute nur mit dir los? So kenne ich dich gar nicht.«

      Mira zuckte zusammen und hätte beinahe die Palette Pudding fallen gelassen, mit der sie wohl schon mehrere Minuten in Gedanken versunken vor dem Kühlregal gestanden hatte. Sie hatte die Filialleiterin nicht kommen sehen. Mira entschloss sich dazu, einfach die Wahrheit zu sagen. Denn was brachte es ihr, nach irgendeiner Ausrede zu suchen und diese vermutlich auch noch unglaubwürdig stammelnd vorzubringen?