danach gefragt, warum sie sich nicht zusammen mit Sabrina für die Feier fertig machte, doch sie war ihr ausgewichen.
Ohne ein weiteres Wort raffte Mira ihre Sachen zusammen, schnappte sich sowohl Rucksack als auch Schminkkoffer und verließ schnellen Schrittes das Einfamilienhaus.
Endlich konnte sie ihren Tränen freien Lauf lassen, was allerdings dazu führte, dass sie von ihrer Umgebung kaum noch etwas wahrnahm. Instinktiv schlug sie den Weg zum Stadtpark ein.
Diesen durchquerte sie immer, weil er die beste Abkürzung zwischen ihrem und Susannes Zuhause bildete. Doch noch wollte sie nicht heim, nicht in ihrem derzeitigen Zustand. Deshalb steuerte sie eine Parkbank an, die versteckt in einer Ecke am Ententeich stand. Auf dieser ließ sie sich nieder, schlug die Hände vor das Gesicht und schluchzte. Warum musste ihr so etwas passieren? Sie konnte Susanne die verletzenden Worte kurz vor ihrem Rausschmiss nicht verzeihen, dafür hatten diese sie viel zu tief getroffen. Für Mira war ihre Freundschaft beendet. Ein solches Verhalten musste sie sich nun wirklich nicht gefallen lassen. Lieber bleib sie allein, als von einer angeblichen Freundin so beleidigt zu werden. Unter Freundschaft verstand sie etwas vollkommen anderes. Erst in diesem Moment fiel ihr auf, dass Susanne immer nur nahm, aber nie etwas zurückgab. Keinen einzigen Gefallen hatte sie Mira bisher getan. Immer hatte sie ihr irgendwelche Ausflüchte entgegengebracht.
Auf einmal spürte Mira etwas Feuchtes an ihrem Arm und zuckte zusammen. Sie nahm die Hände vom Gesicht und blinzelte, um besser sehen zu können.
Vor ihr stand ein Schäferhund, der den Kopf zur Seite legte.
»Na, wer bist denn du?«, fragte sie mit belegter Stimme.
Der Hund bellte kurz auf.
»Du bist ja ein ganz Lieber. Aber sag mal, du bist doch sicherlich nicht allein unterwegs, oder? Wo ist denn dein Herrchen oder Frauchen, hm?«
Wieder bellte der Hund einmal.
In dem Moment hörte sie jemanden rufen. »Booser, wo steckst du? Booser! Komm sofort hierher!«
Bellend rannte Booser um den Busch hinter der Bank herum.
»Da bist du. Einfach weglaufen, also wirklich. Hey, Moment, was ist denn los? Wo willst du hin? Warte! Bleib hier! Booser!«
Kurz darauf kam der Hund auch schon wieder um die Ecke geschossen. Dicht hinter ihm folgte niemand anderes als Marcel.
Mira riss die Augen weit auf und brachte keinen Ton heraus. Das konnte doch nicht wahr sein! Ausgerechnet ihm musste sie in diesem fürchterlichen Zustand begegnen. Der Abend wurde ja immer besser!
»Oh, hi! Ich hoffe, mein Hund hat dich nicht belästigt. Er ist sonst nicht so, wirklich. Aber keine Angst, er tut niemandem was zuleide. Booser, komm sofort hierher!«
Doch Booser dachte nicht daran. Stattdessen setzte er sich direkt vor Mira ins Gras und blickte sie erneut mit schiefem Kopf an. Er winselte leise.
Marcel grinste verlegen und kratzte sich am Hinterkopf. »Okay, normalerweise hört er allerdings auch deutlich besser. Booser, du Schlingel! Sorry!«
Mira schüttelte den Kopf. »Er belästigt mich nicht. Alles gut.« Sie wischte sich über die Augen, obwohl sie damit ihre Wimperntusche sicherlich noch mehr verschmierte. Immer stärkerer Groll auf Susanne wuchs in ihr.
Marcel betrachtete sie genauer. »Hey, was hast du denn? Ist etwas passiert? Du bist ja völlig fertig.« Seine braunen Wuschelhaare bewegten sich in dem leichten Wind. Mit seinen eisblauen Augen sah er sie mitleidig an.
Mira war sich nicht sicher, ob sie ihm von Susanne erzählen sollte. Sie konnte gerade keinen klaren Gedanken fassen. Ihr Herz klopfte so laut, dass Mira schon befürchtete, Marcel könnte es hören.
Booser legte Mira eine Vorderpfote auf das Knie und blickte sie mit seinen treuen Hundeaugen an.
Marcel trat näher und tätschelte seinem vierbeinigen Freund den Kopf. »Schau, Booser möchte auch wissen, was mit dir los ist und wie wir dir helfen können.«
Mira stockte abermals der Atem, als sich Marcel neben sie setzte. Sie hatte nichts zu verlieren. Deshalb erzählte sie ihm in groben Zügen, was sie so sehr aufwühlte. Sie versuchte auszublenden, dass es ausgerechnet Marcel war, dem sie ihr Herz ausschüttete. Nie hätte sie für möglich gehalten, dass sie jemals ganz normal und ohne Stottern mit ihm reden konnte – schon gar nicht über ein solches Thema. Aber erstaunlicherweise funktionierte es.
Marcel war ein guter Zuhörer. Nicht einmal unterbrach er ihren Redeschwall und anschließend schwieg er einen Moment nachdenklich. »Das klingt wirklich nicht schön.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Ich habe heute leider keine Zeit mehr, weil ich verabredet bin. Das, was diese Sabine mit dir gemacht hat, ist alles andere als nett.«
Sie schmunzelte. »Susanne. Sie heißt Susanne. Und ich bin übrigens Mira.«
»Von mir aus heißt sie Susanne. Hi, Mira. Ich bin Marcel.«
Verlegen blickte sie zu Boden. »Ich weiß. Du gehst auch auf das Goethegymnasium.«
Nun weiteten sich Marcels Augen. »Du kennst mich? Warum wusste ich dann bis eben noch nicht, wer du bist?«
Mira zuckte mit den Schultern. »Kennen ist vielleicht zu viel gesagt. Ich habe nur mal mitbekommen, wie dich jemand mit deinem Namen angesprochen hat, als ich gerade in der Nähe war. Mehr nicht.« Dass sie ihn oftmals auf dem Schulhof heimlich beobachtete, verschwieg sie ihm wohlweißlich.
Es schien, als hätte Marcel erleichtert aufgeatmet. Aber sie konnte sich auch geirrt haben.
»Pass auf, wir treffen uns morgen Nachmittag gegen drei Uhr wieder hier. Vielleicht fällt mir bis dahin etwas wegen dieser Sandra ein.«
»Namen sind nicht wirklich deine Stärke, was?«
»Ich merke mir grundsätzlich nur Namen, die sich zu merken lohnen. Deinen zum Beispiel, Mira.«
Ihr Herz stolperte. Seine unbeschwerte Art besserte ihre Laune ungemein. Außerdem wurde er ihr dadurch noch viel sympathischer. Dennoch irritierte sie eine Sache. »Weshalb möchtest du dir eigentlich etwas wegen Susanne einfallen lassen? Immerhin kennst du mich doch gar nicht.«
»Dafür, dass wir tatsächlich auf dieselbe Schule gehen, finde ich es ehrlich gesagt sogar sehr schade, dass du mir nicht schon vorher aufgefallen bist. Aber davon einmal abgesehen, gefällt mir nicht, was deine angebliche Freundin die ganze Zeit mit dir abgezogen hat. So sollte man nicht miteinander umgehen. Freunde ziehen am selben Strang und nicht an zwei verschiedenen Enden.«
Etwas betrübt beobachtete Mira den Sonnenuntergang über dem Ententeich. »Im Endeffekt bin ich ja selbst daran schuld. Ich hätte mich schon viel früher von ihr abwenden sollen. Aber dann wäre ich wieder ganz allein.« Eine einsame Träne kullerte über ihre Wange, was sie aber nicht bemerkte.
Ruckartig stand Marcel auf, sodass nicht nur Mira zusammenzuckte, sondern auch Booser. »Sag doch so was nicht. Klar, du hättest ihr schon längst den Rücken zukehren sollen. Aber es ist verdammt noch mal nicht deine Schuld, ganz sicher nicht. Ich kann mir vorstellen, wie diese Stefanie tickt. Erst einen auf freundlich machen und wenn sie bekommen hat, was sie wollte, holt sie das sprichwörtliche Messer raus und rammt es dir zwischen die Rippen.«
Mittlerweile glaubte Mira, Marcel verwendete absichtlich andere Namen für Susanne, und musste schmunzeln. Dass er so außer sich war, irritierte sie dennoch sehr.
Erneut sah der Junge auf seine Uhr. »Sorry, nun muss ich wirklich los, sonst komme ich zu spät. Treffen uns morgen um fünfzehn Uhr hier?«
Mira konnte nur nicken, und sah Marcel und Booser hinterher. Sie blieb noch eine Weile sitzen, ehe sie sich ebenfalls auf den Heimweg begab.
Es beschäftigte sie, dass Marcel ihr, in welcher Hinsicht auch immer, helfen wollte, obwohl er sie überhaupt nicht kannte. Sie hoffte sehr, dass er es im Gegensatz zu Susanne ehrlich mit ihr meinte. Trotz aller Schwärmerei für ihn würde sie auf der Hut sein.
Als Mira die Tür ihres kleinen Reihenhauses aufschloss,