Wir waren gezwungen, früh neun Uhr in seinem Zimmer zu erscheinen; wir speisten dort und durften es unter keinem Vorwand verlassen. Den ganzen Tag überhäufte er meinen Bruder und mich mit Schmähungen. Der König nannte mich nur noch die englische Canaille, und mein Bruder hieß der Schuft von einem Fritz. Er zwang uns, Dinge zu essen und zu trinken, die uns widerstanden oder die unsrer Konstitution zuwider waren, was uns manchmal nötigte, in seiner Gegenwart alles von uns zu geben, was wir im Magen hatten. Jeden Tag kam es zu bösen Auftritten, und man konnte nicht aufschauen, ohne irgendeinen Unglücklichen auf eine oder die andere Weise gequält zu sehen. In seiner Ungeduld hielt es der König nicht im Bett aus, er ließ sich in einem Rollstuhl durch das ganze Schloss fahren. Seine beiden Arme waren auf zwei Krücken gestützt. Wir folgten diesem Triumphwagen wie arme Gefangene, die ihres Urteiles harren. Der arme König hatte große Schmerzen und eine schwarze Galle, die sich in sein Blut ergossen hatte war Grund an seiner üblen Laune.
Eines Morgens, da wir zur Begrüßung bei ihm eintraten, schickte er uns weg. „Hinaus mit Ihren verwünschten Kindern!“ fuhr er die Königin an, „ich will allein bleiben.“ Die Königin wollte antworten, allein er gebot ihr zu schweigen und befahl, dass man bei der Königin auftrage. Die Königin war beunruhigt; aber mein Bruder und ich waren beide hocherfreut, denn wir wurden spindeldürr, so wenig hatten wir zu essen. Kaum waren wir aber bei Tische, als einer der Lakaien atemlos hereinlief. „Um Gottes willen, Majestät, kommen Sie“, rief er, „der König will sich erdrosseln.“ Die Königin eilte sehr erschrocken hinzu. Sie fand den König, einen Strick um den Hals und dem Ersticken nahe, wäre sie nicht zu Hilfe gekommen. Er hatte starkes Fieber, und das Blut stieg ihm heftig zu Kopfe; gegen Abend fühlte er sich jedoch etwas besser. Wir waren alle hocherfreut, da wir hofften, seine Verstimmung würde sich jetzt legen; allein es kam anders. Er sagte mittags zur Königin, dass er Briefe aus Ansbach erhalten habe, die ihm mitteilten, dass der junge Markgraf im Mai nach Berlin zu kommen beabsichtige, um meine Schwester zu heiraten, und dass er seinen Hofmeister, Herrn von Bremer, senden würde, um ihr den Verlobungsring zu überreichen. Er fragte meine Schwester, ob sie sich freue und wie sie ihren Hausstand einzurichten gedenke. Meine Schwester hatte sich mit ihm auf den Fuß gestellt, dass sie ihm alles freiheraus sagte, sogar Wahrheiten, ohne dass es ihn erzürnte. Sie gab ihm also mit ihrer üblichen Offenheit zur Antwort, dass sie einen guten und reichlich bestellten Tisch führen würde, „der“, fügte sie hinzu, „besser als der Ihre sein wird; und wenn ich Kinder bekomme, so werde ich sie nicht malträtieren wie Sie, noch sie zwingen, Dinge zu essen, die ihnen widerstehen.“ „Was meinen Sie damit“, fragte der König, „was ist es, das auf meinem Tische fehlt?“ „Es fehlt daran“, sagte sie, „dass man nicht satt wird und dass das wenige nur aus schweren Gemüsen besteht, die wir nicht vertragen können.“ Der König war schon über die erste Antwort aufgebracht, über diese letzte geriet er außer Rand und Band, aber sein ganzer Zorn fiel auf meinen Bruder und mich. Er warf erst einen Teller an den Kopf meines Bruders, der dem Wurfe auswich; dann ließ er einen in meine Richtung fliegen, und ich vermied ihn ebenso. Auf diese ersten Feindseligkeiten folgte nun ein Hagel von Schmähungen. Er wandte sich wider die Königin und warf ihr die schlechte Erziehung ihrer Kinder vor; und zu meinem Bruder gewendet, sagte er: „Sie sollten Ihre Mutter verwünschen, denn sie ist schuld an Ihrer schlechten Disziplin. Ich hatte einen tüchtigen Mann zum Hofmeister und erinnere mich stets einer Geschichte, die er mir in meiner Jugend erzählte: Es war einmal ein Mann in Karthago, der wegen mehrerer Verbrechen zum Tode verurteilt worden war. Auf dem Wege zum Richtplatz verlangte er, mit seiner Mutter zu sprechen. Man ließ sie kommen. Er näherte sich ihr, wie um ihr etwas ins Ohr zu sagen, biss ihr aber dabei mit den Zähnen ein Stück davon ab. ‚Ich behandle dich also‘, sagte er zu ihr, ‚damit du anderen Eltern als Beispiel dienst, die nicht Sorge tragen, ihre Kinder tugendhaft zu erziehen‘. Merken Sie sich dies“, fuhr er, immer zu meinem Bruder gewendet, fort; und da dieser ihm keine Antwort gab, fing er von neuem an, uns zu schmähen, bis er nicht mehr sprechen konnte. Wir erhoben uns von Tische; und da wir an ihm vorbeigehen mussten, schlug er mit seiner Krücke nach mir, aber ich wich zum Glück aus, sonst hätte er mich zu Boden geschlagen. Er verfolgte mich noch eine Zeitlang von seinem Rollstuhl aus, doch die, welche ihn schoben, ließen mir Zeit, in das Zimmer der Königin zu entfliehen, das sehr entfernt lag. Ich kam halbtot vor Schrecken und so zitternd dort an, dass ich auf einem Stuhl zusammenbrach, unfähig, mich auf den Füßen zu halten. Die Königin war mir gefolgt und tat alles, um mich zu trösten und mich zu bewegen, zum König zurückzukehren. Die Teller und Krücken hatten mich so erschreckt, dass ich mich recht schwer entschloss, ihr zu willfahren. Wir gingen jedoch in das Zimmer des Königs zurück und trafen ihn in ruhiger Unterhaltung mit seinen Offizieren. Ich blieb nicht lange, weil mir schlecht wurde; und ich verfügte mich wieder in das Gemach der Königin, wo ich zweimal in Ohnmacht fiel. Ich blieb eine Weile dort. Die Kammerfrau der Königin, die mich aufmerksam beobachtet hatte, rief: „Mein Gott! Hoheit, was fehlt Ihnen? Sie sehen furchtbar aus!“ „Ich weiß nicht“, sagte ich, „aber ich fühle mich recht elend.“ Sie brachte mir einen Spiegel, und ich war sehr erstaunt, Gesicht und Hals voll roter Flecken zu finden; ich schrieb es der gehabten Aufregung zu und achtete nicht darauf. Aber sobald ich in das Zimmer des Königs zurückkehrte, verschwand diese Röte wieder, und ich fiel abermals in Ohnmacht. Es kam daher, dass ich eine ganze Flucht von ungeheizten Zimmern passieren musste, in denen eine schreckliche Kälte herrschte. Nachts wurde ich von einem heftigen Fieber befallen und fühlte mich tags darauf so krank, dass ich mich bei der Königin entschuldigen ließ. Aber sie ließ mir sagen, dass ich tot oder lebendig zu ihr kommen müsse. Ich ließ ihr antworten, dass ich einen Ausschlag habe und unmöglich erscheinen könne. Doch ließ sie wieder denselben Befehl an mich ergehen. So schleppte man mich denn nach ihrem Zimmer, wo ich von einer Schwäche in die andere fiel; und in diesem Zustand wurde ich vor den König geführt.
Da meine Schwester mich so krank sah und mich für sterbend hielt, machte sie den König, der meiner nicht geachtet hatte, darauf aufmerksam. „Was fehlt Ihnen?“ sagte er; „Sie sehen ganz verändert aus, aber ich werde Sie bald kurieren!“ Und er ließ mir zugleich einen großen Becher voll alten sehr starken Rheinweins geben, den er mich auszutrinken zwang. Kaum hatte ich ihn geleert, als mein Fieber zunahm und ich zu phantasieren anfing. Die Königin sah wohl, dass ich weggebracht werden musste; man trug mich in mein Zimmer und legte mich mitsamt meinem Kopfputz zu Bett, da ich strengen Befehl hatte, abends wieder zu erscheinen. Aber es währte nicht lange, bis mein Zustand sich arg verschlimmerte. Dr. Stahl, den man rufen ließ, hielt meine Krankheit für ein hitziges Fieber und gab mir mehrere Medikamente, die mein Übel nur noch steigerten. Ich verbrachte diesen und den folgenden Tag in fortwährendem Delirium. Sobald ich wieder zu mir kam, machte ich mich auf den Tod gefasst. In solch kurzen Zwischenräumen ersehnte ich ihn sogar; und wenn ich Fräulein von Sonsfeld und meine gute Mermann weinend an meinem Bette sah, suchte ich sie zu trösten, indem ich ihnen sagte, dass ich von der Welt losgelöst sei und den Frieden finden würde, den mir niemand mehr rauben könnte. „Ich bin schuld“, sagte ich, „an allem Kummer, den die Königin und mein Bruder zu leiden haben. Wenn ich sterben soll, so sagen Sie dem König, ich hätte ihn stets geliebt und geachtet; ich hätte mir nichts gegen ihn vorzuwerfen, so dass ich hoffte, er würde mich vor meinem Tode segnen. Sagen Sie, dass ich ihn flehentlich bitte, mit der Königin und mit meinem Bruder besser umzugehen und alle Zwietracht und Feindseligkeit mit mir zu begraben. Dies ist mein einziger Wunsch und das einzige, was mich in meinem jetzigen Zustand noch bekümmert.“ Ich schwebte vierundzwanzig Stunden zwischen Leben und Tod, worauf sich die Blattern bei mir zeigten. Der König hatte sich, seitdem ich erkrankt war, nicht nach mir erkundigen lassen. Als er aber vernahm, dass ich die Blattern hatte, schickte er seinen Chirurgen Holtzendorff zu mir, um zu hören, wie es mit mir stand. Dieser rohe Mensch richtete mir die härtesten Dinge vonseiten des Königs aus und fügte selbst welche hinzu. Ich war so krank, dass ich nicht darauf achtete. Doch bestätigte er dem König, was diesem von meinem Zustand berichtet war. Seine Sorge, meine Schwester könnte von dem ansteckenden Übel befallen werden, ließ ihn alle erdenklichen Vorkehrungen treffen, aber auf eine Weise, die recht hart für mich war. Ich wurde alsbald wie eine Staatsgefangene behandelt; man versiegelte alle Zugänge nach meinem Zimmer und ließ nur von einer einzigen Seite den Zutritt frei. Die Königin wie ihr ganzer Hausstand erhielten strengen Befehl, nicht zu mir zu gehen, desgleichen mein Bruder. Ich blieb allein mit meiner Hofmeisterin und der armen Mermann, die in andern Umständen war und mich Tag und Nacht mit beispielloser