Lucia Bolsani

Vico - Il Conte


Скачать книгу

Blitze toben durch meinen ganzen Schädel, zerstören jeden klaren Gedanken. Ich brülle wie ein Stier. Blutiger Nebel liegt vor meinen Augen, halb blind schieße ich mehrmals auf den Angreifer.

      Wie ein nasser Sack fällt sein kleiner Körper aus dem Schrank und kracht zu Boden. Ich schieße erneut, feuere die letzte Kugel aus dem Magazin auf die leblose Gestalt. Eine neue, weit heftigere Schmerzwelle packt mich, schüttelt mich durch. Immer noch brüllend lasse ich die Pistole fallen. Das warme Blut, das über mein Gesicht läuft, macht mich wahnsinnig. Ich stolpere über den fadenscheinigen Teppich im Kinderzimmer, stoße wüste Verwünschungen aus und stürme hinaus in die Nacht. In wilder Raserei schleudere ich den Benzinkanister in den Flur und werfe ein brennendes Streichholz hinterher.

      Ich habe keinen Nerv, den Brand sorgfältig zu legen, kann nur an die klaffende Wunde in meinem Gesicht und diese wahnsinnigen Schmerzen denken. Die Haut muss in Fetzen an meiner Wange herabhängen. Ich presse meine Hände auf den schmerzhaft pulsierenden Schnitt, fühle warmes, feuchtes Fleisch, wo glatte Haut sein sollte, klebriges Blut quillt mir durch die Finger. Figlio di puttana! Ich hoffe, dieser kleine Scheißer brennt in der Hölle!

      Ein Flackern entsteht im Haus, das rasch zu einem ordentlichen Feuer anwächst. Schwer atmend stütze ich mich auf den Knien ab, wische mir die blutigen Hände an der Jeans ab. Nach und nach ergreifen die Flammen von der ganzen Hütte Besitz, fressen sich immer schneller durch das Holz. Nichts rührt sich mehr da drin, nichts außer dem Flackern des Feuers. Der stechende Schmerz verwandelt sich in ein fieses Pochen, während das Blut nur noch zäh aus der Wunde in meinen Kragen tropft. Cazzo! Aber der Auftrag ist erledigt. Und ich werde den Teufel tun und irgendwem verraten, dass es der elende Wicht war, der mich verwundet hat. Da werde ich ja zum Gespött der ganzen Famiglia.

      Wenn ich erst in diesem München angekommen bin, wird es nicht lange dauern, bis ich dem Padre dort bewiesen habe, dass ich der beste Mann für den Posten des Capo Crimine bin. Und dann wird es keiner mehr wagen, mich zu fragen, wie das passiert ist.

      Kapitel 1

      München-Maxvorstadt, 08. Oktober 2019, nachmittags

      »Schenken Sie mir doch einen Augenblick Ihrer kostbaren Zeit«, bitte ich Hauptkommissar Schneider, nachdem wir an meinem neuen Arbeitsplatz angekommen sind.

      Während der Fahrt vom Bahnhof hierher hat Schneider keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass er eigentlich etwas Besseres zu tun hätte, als den Chauffeur für seinen neuen Oberstaatsanwalt zu spielen. Mein Gepäck durfte ich selbst tragen und im Auto hat der Kommissar kaum die Zähne auseinanderbekommen. Nun gut. Auf solche Artigkeiten kann ich im beruflichen Umfeld ohne Weiteres verzichten, zumal vielen Menschen der Unterschied zwischen respektvoll und kriecherisch nicht so ganz klar ist.

      Ich ahne ja, was Schneider denkt: Ich bin zu jung für diese Position, meine klassischen italienischen Gesichtszüge würden eher in ein Modemagazin als in einen bayrischen Gerichtssaal passen, und mein teurer Anzug sollte nach der langen Reise wenigstens den Anstand besitzen, ein wenig verknittert auszusehen. Zu allem Überfluss haben sie einem Münchner einen Oberstaatsanwalt vor die Nase gesetzt, der in Hamburg etliche Erfolge feiern durfte. Ein Fischkopf und ein Lackaffe also.

      Alles in meinem Leben ist hart erkämpft, oder ich musste verdammt teuer dafür bezahlen. Aber das geht den Kommissar nichts an. Allerdings muss ich darauf bestehen, dass er seine Arbeit ordentlich erledigt. Was ich ihm nun mitzuteilen gedenke. Die Haudegen von der Kripo brauchen gar nicht erst auf den Gedanken zu kommen, dass sie sich bei mir irgendwas herausnehmen können.

      Ich betrete mein neues Büro und frage mich im selben Moment, ob ich nicht nur einmal quer durch Deutschland gereist bin, sondern aus Versehen gleich noch eine Zeitreise in die Vierzigerjahre unternommen habe: Schwere, dunkle Eichenmöbel dominieren den Raum, die gerahmten Ölgemälde an den Wänden zeigen Berge, Wälder und Wild. Mit Mühe unterdrücke ich ein Schaudern. Davon bekommt man ja Albträume. Aber um die Einrichtung werde ich mich später kümmern.

      »Wenn Sie mich bitte über den Stand der Ermittlung bezüglich des Todes von Dr. Walther informieren würden«, sage ich höflich zu Schneider, nachdem ich den ersten Schreck überwunden habe.

      Der breitschultrige Mann plumpst unaufgefordert in den monströsen Besucherstuhl, der ärgerlicherweise vor meinem neuen Schreibtisch steht, und legt seinen linken Fuß mitsamt ausgelatschtem Cowboystiefel lässig auf den rechten Oberschenkel. Sein Blick schweift aus dem Fenster, so als hätte er mich nicht gehört.

      Ich nehme auf einem knarzenden Ledersessel hinter dem Schreibtisch Platz. »Herr Schneider? Was können Sie mir über den Suizid meines Vorgängers sagen?«, frage ich unverändert freundlich.

      »Nichts.«

      Aha. Aber ich kann auch anders. Ich nehme einen schmalen Hefter aus meiner Aktentasche.

      »Sie sollen ein guter Ermittler sein. Aber wenn das hier«, ich werfe die Mappe, die außer ein paar hässlichen Fotos gerade mal eine lächerliche Berichtseite enthält, so schwungvoll auf den Tisch, dass sie direkt auf der anderen Seite wieder zu Boden segelt, »ein Hinweis darauf ist, wie sorgfältig Sie arbeiten, frage ich mich schon, wie der leitende Oberstaatsanwalt zu dieser Einschätzung Ihrer Fähigkeiten gekommen ist.«

      Keiner von uns macht Anstalten, den dünnen Ordner aufzuheben. Schneider starrt mich unter seinen buschigen Augenbrauen verdrossen an.

      »Haben Sie irgendeine Erklärung für diese Schlamperei?«

      »Herr D’Vergy, die Obduktion hat eindeutig ergeben …«, fängt der Kommissar an.

      Ich unterbreche ihn sofort. »Der Bericht der Gerichtsmedizin ist bereits zehn Tage alt. Außerdem wird eine Obduktion nie belegen können, dass mein Vorgänger nicht dazu gezwungen wurde, sich die Pulsadern aufzuschneiden.« Wenn der Kommissar sich so benimmt, als müsse man ihm seinen Job erklären, bitte schön, dann tue ich das eben, und da sind mir die fast zwanzig Jahre Berufserfahrung, die er mir voraushat, scheißegal. Ich lehne mich zurück und lege die Fingerspitzen aneinander. »Sie haben keinen Abschiedsbrief. Keine Hinweise auf finanzielle oder berufliche Probleme. Niemanden, dem wenigstens eine depressive Verstimmung aufgefallen ist. Alles, was Sie haben, ist ein anonymer Anrufer, der pikante Details aus Dr. Walthers Privatleben zu kennen glaubt. Was Sie aber scheinbar nicht weiter untersucht haben.«

      »Es reicht doch, dass sich die ganze Behörde das Maul über den früheren Oberstaatsanwalt zerreißt«, erklärt Schneider grantig. »Hätten wir auch noch seine Familie mit diesen Gerüchten behelligen sollen? Dr. Walther ist freiwillig aus dem Leben geschieden, um genau das zu verhindern. Denken Sie doch an die Angehörigen!«

      Ah ja. Alles schön unter den Teppich kehren. So was habe ich ja gefressen. »Offenbar haben Sie ihre Zeit nicht mit gewissenhafter Arbeit vergeudet. Dann hätten Sie diese wenigstens nutzen können, um herauszufinden, dass es nicht zu meinen Angewohnheiten gehört, schmutzige Wäsche in der Öffentlichkeit zu waschen«, entgegne ich eisig.

      Schneiders Kiefermuskeln treten hervor, aber ich bin noch nicht fertig.

      »Ist Ihnen nie der Gedanke gekommen, dass der anonyme Anrufer Dr. Walther ganz gezielt verunglimpft hat, um ihn in den Tod zu treiben? Aber warum? Ging es um Dr. Walther persönlich oder um Dr. Walther in seiner Eigenschaft als Oberstaatsanwalt? Ich werde sicher nicht ruhen, bis ich eine Antwort auf diese Fragen bekommen habe, ganz gleich, ob an den anonymen Anschuldigungen etwas dran ist oder nicht.«

      »Selbst wenn da etwas dran wäre, dann heißt das ja noch lange nicht, dass Dr. Walther sich strafbar gemacht hat«, entgegnet Schneider stur.

      »Ist etwas dran?«, frage ich direkt. Ich beobachte, wie sich der Adamsapfel des Kommissars rasch auf- und abbewegt. Sein Gesichtsausdruck verrät nichts. Aber er zögert mit einer Antwort. Zu lange. Das reicht mir.

      Offensichtlich müsste er mir direkt ins Gesicht lügen, wenn er Nein sagt, und ich bin einigermaßen erleichtert, dass er das nicht tut.

      »Im