Lucia Bolsani

Vico - Il Conte


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frage ich und würde mir im selben Moment am liebsten für meinen ungläubigen Ton in den Hintern treten. Wir sind ja kein Nonnenkloster hier, obwohl das für mich kaum einen Unterschied machen würde.

      Liliane kichert. »Ich denke nicht, dass dieser Mann sich als junger Liebhaber einer schon etwas in die Jahre gekommenen Sekretärin eignet«, meint sie, und bevor ich widersprechen kann, verrät sie mir endlich, von wem sie spricht: »D’Vergy ist der neue Oberstaatsanwalt.«

      Wie ein Zauberer zieht sie einen sorgfältig gefalteten Zeitungsausschnitt aus ihrer Handtasche und legt ihn vor mir auf den Tisch.

      Ich starre das Foto an. Ein Mann, vielleicht Ende zwanzig, mit akkuratem Kurzhaarschnitt. Keines der dichten schwarzen Haare befindet sich am falschen Platz, unter den leicht gerunzelten Augenbrauen blicken dunkle Augen forschend in die Kamera. Er hat eine gerade Nase und ein energisches Kinn. Natürlich ist er glatt rasiert, und ich könnte wetten, dass der Rest seines Anzuges ebenso perfekt sitzt wie die Krawatte und der Hemdkragen, die man auf dem Foto sieht.

      Schon der Name hat mir nicht gefallen. Der Mann tut es erst recht nicht. »Wer soll der Schönling sein, sein Sohn?«, frage ich. »So einen Fatzke verspeist Carlo Cortone doch zum Frühstück. Der setzt uns womöglich den ganzen Prozess in den Sand.«

      »Immer mit der Ruhe«, beschwichtigt Liliane mich und tippt auf den Artikel neben dem Bild. »Das Foto ist von 2016, da hat er in Hamburg einen aufsehenerregenden Prozess gewonnen: ›Der Staat gegen Sindermann‹, davon hast du bestimmt gehört …«

      Lilianes Worte rauschen an mir vorbei, während ich mich zum x-ten Mal frage, warum zum Teufel Oberstaatsanwalt Dr. Walther sich unbedingt in seiner Badewanne die Pulsadern aufschneiden musste. Ich fürchte, dass es mit seiner Vorliebe zu tun hatte, einmal in der Woche einen Stricher aufzugabeln und einige Stunden mit ihm in einem Hotel zu verbringen. Dieses Wissen gehört, wie auch die Info über Gieseke, zu dem Erbe, das Tosh Silvers mir hinterlassen hat. Die Famiglia schreckt wahrlich nicht vor dem Einsatz von Gewalt zurück. Doch vor allem verfügen sie über einen riesigen Schatz an Informationen, was es ihnen ermöglicht, ihre Gegner wahlweise zu erpressen oder zu bestechen.

      Ein ganzes Potpourri solcher Informationen befindet sich nun auch in einer Hutschachtel unter meinem Bett. Was allerdings nicht bedeutet, dass Carlo Cortone, der Boss der Münchner Famiglia, nicht ebenfalls über dieses Wissen verfügt. Ich frage mich nur, warum er es nicht längst eingesetzt hat, nachdem er schon seit Monaten wegen des Mordes an Tosh Silvers in Untersuchungshaft sitzt. Das macht doch keinen Sinn, oder? Warum hat Carlo so lange damit gewartet, Dr. Walther unter Druck zu setzen? Was zum Teufel ist da vorgefallen, von dem ich nichts weiß?

      »… Sylvie hat mir verraten, dass sogar Hauptkommissar Schneider von D’Vergy beeindruckt war, und das ist ja mal ganz was Neues, dass dieser Schneider sich von irgendwem beeindrucken lässt …«, schnattert Liliane derweil ungerührt weiter.

      Sylvie ist Angestellte in der Staatsanwaltschaft München II und Teil eines Lesezirkels über romantische Literatur, dem auch Liliane angehört. Ich hoffe nur, meine Freundin hat Sylvie im Gegenzug lediglich verraten, dass ich als Testamentsvollstreckerin von Tosh Silvers und als Betreuerin seiner alkoholkranken Mutter tätig bin. Dass ich nebenbei versuche, Carlo Cortone zu Fall zu bringen, und am besten die ganze Famiglia gleich mit, geht niemanden was an.

      »Na und?«, maule ich. »Von diesem Piefke lässt Cortone sich doch nicht die Butter vom Brot nehmen. Dr. Walther hatte jahrelange Erfahrung mit solchen Typen, der hätte sich von Carlo nie und nimmer vorführen lassen.«

      »Das stimmt doch nicht«, wendet Liliane sanft ein. »Dr. Walther ist tot, und ich würde nicht darauf wetten, dass Carlo damit nichts zu tun hat.«

      Da hat sie auch wieder recht. Die Kopfschmerzen werden schlimmer. Ich nehme noch einen großen Schluck von dem Smoothie, aber selbst diese geballte Ladung an Vitaminen kann nichts gegen meinen dröhnenden Schädel ausrichten.

      Denn wenn ich nicht verdammt gut aufpasse, dann bin ich die Nächste, die Carlo ins Visier nimmt. Sollte die Famiglia jemals Wind von dem Inhalt meiner Hutschachtel bekommen, wird mein Leben keinen Pfifferling mehr wert sein. Da könnten mir auch Marco und Hugo nicht mehr helfen, Toshs ehemalige Leibwächter, die mir seit seinem Tod nicht mehr von der Seite weichen.

      Doch damit will ich Liliane nicht belasten. Die Papiere, die Tosh mir hinterlassen hat, bleiben mein Geheimnis.

      »Wir brauchen mehr Informationen über diesen Adonis«, sage ich zu Liliane. »Ich will nicht riskieren, dass der womöglich anfängt, die Ermittlungen neu aufzurollen.« Carlo Cortone soll endlich für Toshs Tod bezahlen!

      »Na ja, Sylvie wird …«, sagt Liliane, doch ich winke ab.

      »Klatsch reicht nicht. Glaubst du, Carlo hockt derweil gemütlich in seiner Zelle und guckt sich alle Folgen Game of Thrones an? Wenn er wirklich dafür gesorgt hat, dass Dr. Walther sich umbringt, dann wird er diesen Schnösel erst recht nicht in Ruhe lassen. Nein, Marco soll sich mal umhören.«

      Marco ist nicht nur mein Bodyguard, er sieht auch so aus: Groß, dunkles, kurzes Haar, breite Brust und Oberarme, die dicker sind als meine Schenkel. Trotzdem ist er der Einzige von uns, der es schafft, in der Lieblingskneipe der Bullen von der Mordkommission ein Bier zu trinken, ohne dass er irgendjemandem auffällt. Keinen Plan, wie er das macht.

      Liliane nickt zustimmend. »Gute Idee. Sylvie soll trotzdem die Augen offen halten.«

      Ich nicke. Warum nicht? Wenn alle Stricke reißen, kann ich mich immer noch an diesen feinen Pinkel heranmachen. Wie man so einen Snob knackt, weiß ich. Ein Wissen, das ausgerechnet Carlo Cortone vor ein paar Jahren um einige Aspekte erweitert hat.

      Aber das gehört ebenfalls zu den Dingen, die besser nie jemand erfahren wird. Und daran denken will ich schon gleich gar nicht.

      Kapitel 3

      München-Grünwald, 13. Oktober 2019, vormittags

      Ich bin wieder in den riesigen Bungalow eingezogen, in dem ich meine Jugend verbracht habe. Da mein Vater derzeit durch Abwesenheit glänzt, habe ich den monströsen Tisch im Esszimmer für die Aktenberge requiriert und mich das ganze Wochenende durch jede einzelne Seite gequält. Inzwischen frage ich mich ernsthaft, ob die im Kommissariat 4/13 mich verarschen wollen. Der Kram ist doch das Papier nicht wert, auf dem er ausgedruckt wurde.

      Mein Handy reißt mich aus diesen unerfreulichen Gedanken.

      »D’Vergy«, melde ich mich kurz angebunden, immerhin haben wir Sonntag.

      »Dir auch einen schönen guten Tag, Vico.«

      »Dad!« Ich kneife mir mit zwei Fingern in den Nasenrücken. »Entschuldige bitte. Aber …«

      »Du arbeitest«, sagt er vorwurfsvoll.

      »Ich bin noch keine Woche hier«, erkläre ich. »Ich muss mich in die offenen Fälle einarbeiten.«

      Ich rechne es meinem Dad hoch an, dass er nicht erwähnt, dass mir schon seit Längerem ständig ein guter Grund einfällt, um am Wochenende über irgendwelchen Akten zu brüten.

      »Wird Zeit, dass in München ein bisschen Leben in die Bude kommt, damit dich jemand auf andere Gedanken bringt«, meint er.

      »Und ich hatte schon befürchtet, du würdest Italien gar nicht mehr den Rücken kehren und mich allein hier sitzen lassen«, sage ich lächelnd.

      »Du glaubst gar nicht, wie mich das nervt, dass ich ausgerechnet dann hier festhänge, wenn du endlich nach Hause kommst. Aber jetzt habe ich doch noch eine Vertretung für unseren Verwalter gefunden. Was muss der Idiot sich auch mitten in der Weinlese ein Bein brechen?«

      »Tut mir leid, dass ich nicht runterkommen konnte«, sage ich zerknirscht. »Aber einer der Fälle ist eine einzige Katastrophe.«

      »Papperlapapp, das bekomme ich grade noch allein hin. Sobald der Vertrag unterzeichnet ist,