Lucia Bolsani

Vico - Il Conte


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an. Wobei sie genau wie ich keine Miene verzieht. Erstaunlich. Doch, ich glaube, Silvers hat eine gute Wahl getroffen.

      Aber plötzlich kommt mir ein anderer Gedanke. Was, wenn die Jennings zu Cortones Mannschaft gehört? Immerhin hatten Silvers und Cortone geschäftliche Beziehungen zueinander. Vielleicht verzichtet die Jennings deshalb darauf, sich vor Gericht ein paar meiner Lorbeeren zu stibitzen.

      Eigentlich ganz gut, dass sie sitzt, so verschwindet zumindest ein Teil dieses schrecklichen, bonbonfarbenen Gewandes unter meinem Tisch. Dass ich mir den Rest ansehen muss, reicht mir schon. Wie sie wohl in einem Dirndl aussehen würde? Diese Kurven würden sich doch wunderbar in einem weit ausgeschnittenem … Stopp! Verflucht, D’Vergy! Gehts noch? Dirndl? Seit 72 Stunden wieder in München und schon über Dirndl fantasieren?

      Um mich abzulenken und weil ich sehe, dass sie versucht, ein krampfhaftes Schlucken vor mir zu verbergen, beschließe ich, sie vom Haken zu lassen. Zu sehr darauf konzentriert, nicht zu blinzeln und dabei das Schlucken vergessen - kann passieren.

      »Da wir nun geklärt haben, dass ich nicht der richtige Ansprechpartner für Schöner Wohnen bin und Sie nicht so aussehen, als sollte man Modefragen mit Ihnen diskutieren, warum lassen Sie sich nicht von meinem Assistenten einen Termin geben und überlegen in der Zwischenzeit, wie Sie Ihr Anliegen verständlich vorbringen können?«

      Sie zuckt nicht mal mit der Wimper. »Sie haben Bettina Brandelhuber vorladen lassen.«

      »Und das interessiert Sie, weil …?«, frage ich harmlos.

      »Ich bin Frau Brandelhubers Betreuerin.«

      »Die entsprechende Vollmacht können Sie vorlegen?«

      »Die befindet sich längst in Ihren Unterlagen«, erwidert sie, und ihre Augen funkeln.

      »Oh, das tut mir leid, Frau Jennings. Sieht so aus, als hätte ich mich auf unsere Besprechung nicht ausreichend vorbereitet«, spotte ich.

      Ihre hübschen Augen verengen sich zu schmalen Schlitzen, doch wieder geht sie auf meine höflich vorgebrachte Provokation nicht ein. »Frau Brandelhuber lebt aufgrund ihrer Alkoholkrankheit in einer soziotherapeutischen Einrichtung. An guten Tagen kann sie sich zumindest an den Namen ihres Sohnes erinnern. Ich glaube nicht, dass sie schon begriffen hat, dass er tot ist. Was bitte soll diese Frau Relevantes zum Mord an Tosh Silvers auszusagen haben?«

      »Was relevant ist und was nicht, entscheide ich«, sage ich knapp und lasse für einen Augenblick die Maske des netten Beamten fallen.

      »Lassen Sie die Frau in Ruhe!«, sagt sie trotzig.

      »Frau Jennings, wenn Ihnen ausschließlich daran gelegen wäre, dass ich Frau Brandelhuber nicht behellige, hätten Sie ein Einschreiben mit einem ärztlichen Attest schicken können. Ich verstehe durchaus, dass Sie sehen wollen, mit wem sie es zu tun bekommen, aber Sie sollten das nicht so deutlich zeigen, das schwächt Ihre Position zu sehr«, rate ich ihr wohlwollend. Womit es mir tatsächlich gelingt, sie einen Moment lang sprachlos zu machen. »Aber da sie nun schon mal hier sind … vielleicht verraten Sie mir, wie Sie überhaupt zu diesem Mandat gekommen sind?«

      »Möglicherweise hat es etwas damit zu tun, dass ich mich persönlich für meine Klienten einsetze, und keine popeligen Einschreiben schicke«, entgegnet sie ein wenig zu patzig.

      Aber auf den Mund gefallen ist sie jedenfalls nicht. Gefällt mir. Nach all der Heimlichtuerei und dem Gemauschel um den Suizid meines Vorgängers ist dieses offene Scharmützel mehr als wohltuend. Obwohl es dafür sorgt, dass ich mir Dinge vorstelle, die ich mir besser nicht vorstellen sollte. Ob sie wohl immer so aufmüpfig ist?

      »Nur schade, dass Sie sich nicht für Jasemina Brandelhuber eingesetzt haben, als diese in Cortones Limousine eingestiegen ist.«

      Kaum merklich wandern ihre Augenbrauen kurz zueinander. Hätte ich nicht genau darauf gelauert, im Leben wäre mir das kurze Aufflackern ihrer Wut nicht aufgefallen. Ihre Mimik ist nicht leicht zu lesen. Faszinierend.

      »Es gab nichts, was ich hätte tun können.«

      »Natürlich.« Ich nicke verstehend, auch wenn ihr an meinem Verständnis wahrscheinlich herzlich wenig gelegen ist.

      Wir verfallen wieder in unser anfängliches Blickduell. Wirklich bedauerlich, dass ich keine Zeit habe, dieses Spiel den ganzen Tag lang fortzusetzen. Aber ich habe erfahren, was ich wissen wollte: Mayra Jennings war dabei, als Jasemina in den Wagen eingestiegen ist, und sie weiß oder ahnt, dass Cortone drin saß. Recht wahrscheinlich also, dass sie uns anonym darüber in Kenntnis gesetzt hat.

      Dann arbeitet sie eher nicht für Cortone, was ich recht erfreulich finde. Alles andere kann warten, mein nächster Termin leider nicht. »Wenn das dann alles wäre, Frau Jennings …« Ich wedle mit einer Hand, als sei sie eine lästige Fliege, die ich aus dem Büro scheuchen möchte.

      Entrüstet schnaubt sie durch die Nase, steht aber auf und bewegt sich zur Tür. Wie wäre es mit einem »Vielen Dank für Ihre Zeit, Herr D’Vergy?«, denke ich amüsiert. Schließlich ist sie unangemeldet hereingeplatzt. So lasse ich sie nicht davonkommen. »Wäre es nicht angebracht, meine Möbel wieder an ihren angestammten Platz zu stellen, egal, wie sehr sie Ihnen missfallen?«

      Sie hält mitten in der Bewegung inne und dreht sich demonstrativ langsam um. »Es wäre höflich, Ihren Besuchern eine Sitzgelegenheit anzubieten.«

      »Die Höflichkeit ist das Bestreben, anderen gefallen zu wollen«, zitiere ich Baron de Montesquieu, einen der Lieblingsphilosophen meines Vaters. »Ich habe nicht das Bedürfnis, anderen zu gefallen, und Sie auch nicht, sonst würden Sie andere Farben tragen.«

      »Höflichkeit ist Klugheit, folglich ist Unhöflichkeit Dummheit«, schießt sie sofort zurück, wirft den Kopf in den Nacken und rauscht aus meinem Büro.

      »Rot würde Ihnen stehen«, rate ich ihr unbeeindruckt, dann fällt auch schon die Tür hinter ihr ins Schloss.

      Jetzt muss ich mein Grinsen nicht mehr verbergen. Die Frau zitiert Schopenhauer, ist das zu fassen! Das nächste Mal können wir auf das Blickduell verzichten, und stattdessen versuchen, uns mit Aphorismen zu überbieten. Wobei die Anwältin keine Chance haben dürfte. Wer mit Conte Fernando D’Vergy unter einem Dach aufgewachsen ist, sollte in der Lage sein, ein ganzes Dinnergespräch ausschließlich mit wortgetreuen philosophischen Zitaten zu bestreiten. Und ich wäre doch sehr erstaunt, wenn in anderen Häusern tagtäglich eine ähnlich illustre Gesellschaft zu Gast wäre wie in dem meines Vaters.

      Ich freue mich wirklich auf den Moment, an dem sie wiederkommen wird. Wiederkommen wird sie. Schließlich hat sie im Gegensatz zu mir keine einzige Antwort auf ihre Fragen erhalten, weder auf die, die sie gestellt hat, noch auf die, die sie eigentlich beantwortet haben wollte. Und bis es so weit ist, werde ich daran arbeiten, meine Fantasien über sie in den Griff zu bekommen. Wie es sich für einen Oberstaatsanwalt gehört.

      Kapitel 6

      München-Waldfriedhof, 16. Oktober 2019, abends

      »Blöder, arroganter, snobistischer, geleckter Lackaffe! Unhöfliches, dämliches, machtgeiles Arschloch!«

      Mir ist es egal, ob mich die Leute, die mir entgegenkommen, schockiert ansehen. Die mussten sich ja auch nicht gerade mit diesem dämlichen D’Vergy herumschlagen.

      »Zum Waldfriedhof!«, herrsche ich Hugo an, als er mir schweigend die Tür zu seinem potthässlichen Geländewagen aufhält.

      Es versetzt mir einen Stich, wenn ich daran denke, wie grandios ich mich mit Hugo kabbeln konnte, als Tosh noch lebte. Doch jetzt wird immer deutlicher, dass ich nicht die Einzige bin, die sich niemals von Toshs Tod erholen wird. Hugo lächelt nie, verfolgt jede meiner Bewegungen mit blutunterlaufenen Augen und macht Marco zur Sau, falls er glaubt, dieser habe die Aufgabe, auf mich aufzupassen, nicht hundertfünfzigprozentig erfüllt.

      Marco ist viel zu gutmütig, um ernsthaft böse auf Hugo zu sein, auch er