Lucia Bolsani

Vico - Il Conte


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es ihr gestattet wurde. Die Quittung haben sie prompt erhalten, die Frau erlitt einen Nervenzusammenbruch und musste von ihren beiden Begleitern hinausgetragen werden.«

      »Wer ist sie?«

      »Sie sagte, sie sei die Betreuerin der Mutter des Opfers, Margit … nein, warten Sie …«

      »Mayra Jennings«, seufze ich.

      »Sie kennen sich bereits.«

      »Allerdings«, entgegne ich grantig. Obwohl es keinen Grund zur Verärgerung gibt, immerhin habe ich eine neue Spur. Aber … keine Ahnung, es passt mir einfach nicht, dass sie Silvers so nah stand.

      »Am besten, Sie fragen diese Frau nach Silvers’ sexuellen Präferenzen«, schlägt Dr. Theissen vor.

      Nachdem die Gerichtsmedizinerin mir bereits gesagt hat, dass sie sich nicht an Spekulationen beteiligt, verzichte ich auf den Hinweis, dass Mayra Jennings meiner Ansicht nach alles andere als eine Domina ist, die ihre Partner mit einem Messer attackiert. »Das werde ich. Verlassen Sie sich darauf«, sage ich stattdessen und verabschiede mich von Dr. Theissen.

      Obwohl das sicher der angenehmste Besuch im Institut für Rechtsmedizin war, den ich je hatte und wahrscheinlich auch haben werde, könnte ich nicht dafür garantieren, dass ich Schneider nicht den Hals umdrehe, liefe er mir jetzt über den Weg. Himmel, ich sollte mich dringend nach einem Trainingspartner umsehen. Die morgendlichen Joggingrunden reichen nicht aus. Wenn das so weitergeht, verliere ich noch irgendwann die Beherrschung.

      Es wäre verflucht noch mal Schneiders Aufgabe gewesen, die Sache mit dem unvollständigen Bericht aufzudecken. Ich habe ihn doch angewiesen, sich sämtliche Ermittlungen noch einmal ins Gedächtnis zu rufen. Hier geht es doch nicht um einen kleinen Kratzer, der nicht im Obduktionsbericht stand, sondern um jahrelange Misshandlungsspuren, so was muss doch irgendwem auffallen, wenn davon plötzlich nicht mehr die Rede ist.

      Vor allem, weil das noch einmal ein ganz anderes Licht auf diesen Fall wirft. Sollte Silvers tatsächlich unter einem Trauma gelitten haben, das bis zu seinem Tod sein Sexualleben beeinträchtigt hat, dann gibt es mehrere neue Spuren. Es könnte sein, dass Silvers sich an seinem früheren Peiniger rächen wollte, dabei jedoch an den Falschen geraten ist. Oder er hatte kein glückliches Händchen bei der Wahl seiner Intimpartner.

      Zu der Zyankalikapsel passen diese Überlegungen zwar nicht, und was davon auf Carlo Cortone zutreffen könnte, weiß ich ebenso wenig, schließlich hat es bisher niemand für nötig gehalten, auch unkonventionelle Ermittlungsansätze zu verfolgen. Verflucht noch mal, so ein elendes Chaos! Bei der ersten Frage könnte mir vielleicht Silvers’ Mutter helfen, bei der zweiten womöglich diese Anwältin.

      Immer wieder lande ich bei Mayra Jennings. Anstatt darüber nachzudenken, weshalb mich das derart ärgert, nehme ich mein Smartphone zur Hand und rufe meinen Assistenten an. Der meiner Ansicht nach unverhältnismäßig lange braucht, um die Telefonnummer der Dame herauszusuchen. Ich schnauze ihn ungehalten an, was lediglich zur Folge hat, dass der junge Mann beim Durchgeben der Nummer so stottert, dass ich ihn kaum noch verstehe.

      Ich atme tief durch und entschuldige mich für meinen rüden Ton, was ihn ein wenig zu beruhigen scheint. Gut. Ich lege auf und wähle die Nummer der Anwältin. Allerdings sollte sich mein Assistent auf Dauer wirklich ein dickeres Fell zulegen, wenn er mit mir zusammenarbeiten will.

      Was auch für Mayra Jennings gilt, will es mir scheinen, denn ich habe gerade mal meinen Namen genannt, als sie mich auch schon anmotzt: »Was ist denn nun schon wieder?!«

      Wieso steht die Frau eigentlich so unter Strom? Dass sie trauert, sollte ihr Verhältnis zu Silvers weit enger gewesen sein, als es eine Beziehung zu einem Mandanten sein sollte, ist verständlich. Aber das ist es ja nicht allein. Mayra Jennings erinnert mich an eine tickende Zeitbombe, die jederzeit hochgehen kann.

      »Glauben Sie wirklich, ich hätte nichts Besseres zu tun, als Ihre lächerlichen Anfragen zu beantworten?«, faucht sie, kaum dass ich Frau Brandelhuber auch nur erwähnt habe. »Ich habe Ihnen doch mehr als deutlich gesagt, dass meine Mandantin nicht vernehmungsfähig ist, da müssen Sie sich jetzt halt ein bisschen gedulden mit dem Attest, wenigstens das sollten Sie doch hinbekommen.«

      Ich halte mein Handy ein Stück von meinem Ohr weg, zum einen, weil Mayra Jennings sich mal wieder keiner normalen Lautstärke bedient, doch vor allem vor Verblüffung. Okay, meinen Assistenten habe ich grundlos angeschnauzt, mea culpa und so weiter, ich gelobe ja Besserung, aber ich bin mir ganz sicher, dass ich der Anwältin mein Anliegen vernünftig und höflich vorgetragen habe. Seltsam.

      »Frau Jennings«, beginne ich sanft. »Ich wollte mich lediglich erkundigen, ob …« Weiter komme ich nicht.

      »Reden Sie nicht mit mir wie mit einem Kleinkind!«, schimpft sie. »In welche Richtung ermitteln Sie da überhaupt? Tosh Silvers’ Mörder kriegen Sie nicht mit freundlichen Worten dran, und eine alkoholkranke Frau kann Ihnen da auch nicht helfen. Cortone ist es, den Sie in die Zange nehmen sollten. Bekommen Sie das auf die Reihe, oder soll ich Ihnen auf die Sprünge helfen?«

      Jetzt wird sie unverschämt. Ich denke allerdings gar nicht daran, mich von ihr provozieren zu lassen. »Mayra Jennings«, sage ich dunkel und eine Oktave tiefer als zuvor. »Jetzt holen Sie erst einmal ganz tief Luft, verstanden?«

      Eigentlich rechne ich mit einer neuen Schimpftirade und habe schon so halb beschlossen, beim nächsten Mal Kommissar Schneider mit ihr reden zu lassen, vielleicht kommt der besser mit ihr klar – doch dann ist es tatsächlich still am anderen Ende der Leitung. Atmet sie wirklich durch? Interessant.

      »Frau Jennings«, sage ich ruhig, aber streng. »Nicht Sie müssen dafür sorgen, dass Silvers’ Mörder verurteilt wird, darum kümmere ich mich. Lassen Sie los. Es ist schwer, aber Sie werden sich besser fühlen.«

      »Ähm …«, kommt es ein wenig unsicher aus dem Hörer.

      »Sie brauchen nicht darauf zu antworten. Versuchen Sie einfach, mal eine Pause zu machen.«

      Dann lege ich auf.

      Reichlich verspätet wird mir klar, dass mich dieses Telefonat keinen Schritt weitergebracht hat. Wie konnte das denn passieren? Ich will Mayra Jennings wirklich nicht absichtlich ärgern. Aber womöglich bleibt mir nichts anderes übrig, wenn ich an die Informationen kommen will, die sie mir vorenthält.

      Aber andererseits – sie hat auf mich reagiert. Oder? Unsinn. Die Idee, Schneider mit ihr sprechen zu lassen, verwerfe ich dennoch. Obwohl mir das vermutlich einigen Ärger ersparen würde, aber in diesem Augenblick ist mir das völlig egal.

      Kapitel 8

      München-Laim, 18. Oktober 2019, abends

      Ich atme immer noch tief ein und aus, als mir auffällt, dass die Verbindung längst tot ist. D’Vergy hat einfach aufgelegt. Ich lasse den Telefonhörer fallen, als hätte ich mich daran verbrannt.

      Blödmann!

      Was war das eigentlich gerade? Was hat dieser selbstgefällige Scheißkerl mit mir gemacht? Hypnose durchs Telefon? Arschloch!

      Na gut, ich war vielleicht nicht superhöflich, aber was ruft der auch in so einem bescheuerten Moment an? Meine kleinen Schweinereien gegen die Famiglia kann ich leider nur dann einfädeln, wenn Liliane Feierabend gemacht hat und meine Leibwächter vor der Glotze hocken, weil ich die beiden da wirklich nicht mit hineinziehen will. Wenn ich dann endlich loslege, kann ich kein blödes Gelaber eines neunmalklugen Oberstaatsanwalts brauchen.

      Arroganter Wichtigtuer! Atmen? Pah!

      Okay, es hat gutgetan. Früher habe selbst gerne zu diesem Mittel gegriffen, um mich vor einem schwierigen Gespräch zu beruhigen. Aber seit Tosh tot ist, schmerzt jeder Atemzug. Alle Atemtechniken, die ich kenne, sind für die Katz.

      »Darum kümmere ich mich«, hat D’Vergy gesagt, und einen wundervollen Moment lang gebe ich mich der Vorstellung hin, dass ich wirklich alles dem