Anna Katharine Green

Engel und Teufel


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dass er derselbe Mann war. Junge Leute, wie Mr. Frederick, lassen sich nicht durch schöne Grübchen allein fangen; die wollen auch Bargeld haben.“

      „Oder wenigstens ein Mädchen aus feiner Familie. Sie hat keines von beiden. Aber wie schön sie ist! Ich kenne manche reiche und vornehme junge Leute, die froh wären, sie zu nehmen, wie sie ist“

      „Schön!“ rief der magere Musiker und rümpfte die Nase, „ich möchte wissen, wo sie schön ist? Im Gegenteil: ich finde, sie hat ein sehr alltägliches Gesicht.“

      „Oho!“ riefen die anderen, protestierend und der Violinenspieler fügte hinzu:

      „Weshalb reißen sich dann alle jungen Leute um sie?“

      „Sie hat keinen einzigen regelmäßigen Zug im Gesicht!“

      „Was hat das mit dem Eindruck zu tun, den ihre Person macht?“

      „Ich kann sie nicht leiden!“

      Ein Gelächter folgte diesen Worten.

      „Das wird sie wohl ungeheuer grämen, Sweetwater. Der junge Mr. Sutherland kann sie umso besser leiden und daran ist ihr jedenfalls mehr gelegen. Und ich behaupte, er wird sie auch heiraten! Er kann gar nicht anders. Sie ist imstande, den Teufel zu verhexen, dass er sie heirate, wenn sie es sich in den Kopf setzte, ihn zum Mann zu haben.“

      „Der würde jedenfalls besser zu ihr passen“, brummte Sweetwater. „Was indes Mr. Frederick betrifft -.“

      „Ssssst! Es kommt jemand aus dem Haus, - das ist sie!“

      Alle schauten nach der Haustüre, unter der eine graziöse, weiß gekleidete Figur erschienen war, die nach der Stelle schaute, wo die Musiker standen.

      Hinter ihr brannten noch die Lichter in der Halle und scharf hob sich ihre reizende Gestalt von dem hellen Hintergrunde ab.

      „Wer ist dort?“ fragte sie im flüsternden Tone.

      Die Frage blieb unbeantwortet, denn im selben Augenblicke wurden eilige Schritte vernehmbar und laute, unverständliche Rufe drangen herauf zum Hügel.

      Immer näher kamen die Schreier. Die Musiker gingen zurück, dem Hause zu, einer derselben sogar bis zur Türe, wo noch immer die weiße Gestalt stand.

      „Mord! Mord!“ klang es nun deutlich in aller Ohren.

      Kaum hatte die junge Dame dies gehört, als sie schnell die Türe schloss und sich zurückzog, zum großen Erstaunen des Musikers, der wusste, dass sie die neugierigste junge Dame im ganzen Städtchen war.

      „Mord! Mord!“

      Ein schrecklicher und in diesem gottesfürchtigen Städtchen nie zuvor gehörter Schrei. Immer mehr Menschen kamen den Hügel herauf.

      „Mrs. Webb ist ermordet worden! Mit einem Messer! Erstochen! Wo ist Mr. Sutherland?“

      Mrs. Webb! Als die Musiker den Namen dieser allseitig geliebten und verehrten Frau hörten, fuhren sie zusammen! Unmöglich!

      Mrs. Webb! Unglaublich! Sie gingen zum Hause zurück und riefen nach Mr. Sutherland.

      „Es kann nicht sein! Nicht Mrs. Webb! Wer wäre so verrucht oder herzlos, sie zu ermorden?!“

      „Das weiß Gott allein“, rief eine Stimme von der Straße her. „Aber dass sie tot ist, haben wir gesehen.“

      „Dann hat es ihr Mann getan“, rief einer. „Ich hab schon immer gesagt, dass er eines Tages seinen besten Freund umbringt. Ein Mensch, wie der, gehört ins Narrenhaus und nicht -.“

      Das Übrige verlor sich in unverständlichem Gemurmel. Eine Hand hatte sich dem Sprecher auf den Mund gelegt, in demselben Augenblicke, als Mr. Sutherland auf der Veranda erschien.

      Der dort stand, war ein schöner Mann, mit ausdrucksvollen Zügen, aus denen Freundlichkeit und Würde gleich mächtig sprachen. Kein Mann in weitem Umkreise - ich hätte fast gesagt: keine Frau - ward mehr geliebt und mehr geachtet, als er.

      Nur auf einen Menschen vermochte er keinen Einfluss auszuüben - was jedermann weit und breit wusste - auf seinen einzigen Sohn Frederick.

      Schmerz und Bestürzung lagen auf des Mannes Zügen.

      „Was schreit Ihr da?“ fragte er. „Agatha Webb? Ist Agatha Webb etwas zugestoßen?“

      „Sie ward ermordet!“ riefen mehrere Stimmen zugleich. „Wir kommen eben von ihrem Haus. Die ganze Stadt ist auf den Beinen. Man sagt, ihr Mann habe es getan.“

      „Nein, nein!“ sagte Mr. Sutherland, mehr zu sich selbst als zu den Umstehenden. Philemon Webb mag sich vielleicht selbst umbringen, aber nicht Agatha.“

      „Es war ihr Geld -.“

      Er richtete sich auf und rief den Erregten zu:

      „Wartet! Ich gehe mit Euch!“

      „Wo ist Frederick?“ fragte er die Diener, die ihn umstanden.

      Niemand wusste es.

      „Bringt ihn hierher. Er soll mit mir in die Stadt gehen.“

      „Er ist dort drüben im Wald“, rief eine Stimme von der Straße her.

      „Im Wald?“ wiederholte der Vater, aufs höchste erstaunt.

      „Jawohl. Wir haben ihn hingehen sehen. Sollen wir ihn rufen?“

      „Nein, danke. Ich kann schon ohne ihn fertig werden.“

      Dann ergriff er seinen Hut und wollte eben gehen, als sich eine Hand auf seinen Arm legte und eine wohlbekannte Stimme ihm zuflüsterte:

      „Darf ich mitgehen? Ich werde Ihnen nicht beschwerlich fallen.“

      Es war die junge Dame, die wir vorhin beobachtet hatten. Der alte Mann zog die Stirn in Falten und antwortete ernst:

      „Eine Mordstätte ist kein Platz für junge Damen.“

      Die so Angeredete blieb unbewegt.

      „Ich denke, ich gehe doch“, sagte sie. „Ich kann mich ganz unbemerkt unter die Leute mischen.“

      Er antwortete nicht mehr. Miss Page war zwar eine Angestellte in seinem Hause und wurde für ihre Leistungen bezahlt, doch seit langem versuchte niemand, ihr zu widersprechen.

      Sie hatte seit ihrem ersten Erscheinen unter der Türe das weiße Ballkleid mit einem einfachen, dunkleren vertauscht und schloss sich so dem alten Herrn an, der wortlos der Menge folgte.

      Nach und nach verließen auch die Dienstboten das Haus, als letzter Jerry, der die Lichter ausblies und, nachdem er die Fronttüre geschlossen hatte, sich den Neugierigen anschloss.

      Den Nebeneingang aber hatte er offen stehen lassen und durch diesen trat, sobald die Tritte der Fortgehenden in der Ferne verhallt waren, ein bleicher junger Mann: es war Sweetwater, der Musiker, der die Schönheit Miss Pages in Frage gestellt hatte.

      02. Im Dunkel der Nacht.

      Sutherlandtown ist eine kleine Hafenstadt, die aus nur einer Hauptstraße und, davon abzweigend, vielen Nebenstraßen besteht. Die Hauptstraße zieht sich geradeswegs vom Hügel bis zur Werft.

      Oben, an der Ecke der „Hillside Lane“ steht das Webb-Haus, dessen Vordereingang nach der Hauptstraße zu liegt. Das Haus war leicht zu finden; war es doch das einzige, in dem noch Licht brannte, ganz abgesehen von den Gruppen aufgeregter Menschen, die es umstanden. Als Mr. Sutherland ankam, grüßte ihn ein beifälliges Gemurmel. Die Menge trat zur Seite und gab den Eingang des Hauses frei.

      Eben wollte er eintreten, als ihn jemand am Arme zupfte und sagte:

      „Schauen Sie in die Höhe!“

      Er tat so und sah den leblosen Körper einer Frau halb aus dem Fenster des zweiten Stockes hängen.

      „Wer ist das?“ rief er. „Das ist nicht