Jules Verne

Die Jagd nach dem Meteor


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während John Proth erst den ihm Fremden angesehen hatte, wendete er all seine Aufmerksamkeit jetzt der jungen Dame zu.

      Miß Arcadia Walker war eine reizende Person, und man wird es verzeihen, wenn wir gleich eine Skizze von ihr entwerfen. Ihr Alter: vierundzwanzig Jahre. Augen: blau, etwas hell. Haare: dunkel kastanienbraun. Teint: von einer Frische, die vom Atem der freien Luft nicht verändert wurde. Zähne: tadellos weiß und vollkommen regelmäßig. Größe: etwas über mittel. Haltung: vorzüglich. Bewegungen: von bestechender Geschmeidigkeit und vielleicht etwas nervöser Grazie. In der Amazonentracht, die sie eben trug, folgte sie schmiegsam den Bewegungen ihres Pferdes. das mit dem Seth Stanforts den Boden um die Wette stampfte. Ihre von seinen Handschuhen bedeckten Hände spielten gleichsam mit den Zügeln, und jeder Sachkenner würde in ihr sofort eine gewandte Kunstreiterin vermutet haben. Ihre ganze Erscheinung trug den Stempel echter Vornehmheit und jenes besondere »ich weiß nicht, was« der oberen Klassen der Union, die man recht wohl die amerikanische Aristokratie nennen könnte, wenn diese Bezeichnung nicht gar zu grell gegen die demokratischen Instinkte der Eingebornen der Neuen Welt abstäche.

      Miß Arcadia Walker, eine Dame, gebürtig aus New-Jersey, ohne jede nähere Verwandtschaft, frei in ihrem Tun und Lassen, unabhängig durch ihr Vermögen und etwas abenteuerlustig veranlangt, wie alle jungen Amerikanerinnen, führte ein Leben ganz nach ihrem Geschmacke. Da sie seit mehreren Jahren viel reiste und die wichtigsten Länder Europas besucht hatte, war sie gründlich von allem unterrichtet, was in Paris, London, Berlin oder in Rom geschah und als guter Ton galt. Über das, was sie auf ihren ununterbrochenen Wanderungen gesehen oder gehört hatte, verstand sie obendrein mit den Franzosen, den Engländern, den Deutschen und den Italienern in deren Muttersprache zu plaudern. Sie war eine höchst gebildete Person, unterrichtet von einem gegenwärtig schon von der Erde geschiedenen Lehrer, der sie höchst sorgfältig erzogen hatte. Auch an praktischem Geschäftssinn fehlte es ihr nicht; den bewies sie schon mit der Verwaltung ihres Vermögens, wobei sie ihre Interessen stets recht geschickt wahrzunehmen wußte.

      Was hier von Miß Arcadia Walker gesagt ist, läßt sich »symmetrisch« – ja, das ist das richtige Wort – auch auf Mr. Seth Stanfort anwenden. Dieser stand ebenso unabhängig da, war ebenso reich, liebte ebenso das Reisen und war in der ganzen Welt herumgekommen, nur dadurch unterschied er sich von Arcadia, daß er in seiner Vaterstadt Boston wohnte. Im Winter ein ständiger Besucher der Alten Welt und der Großstädte in dieser, war er hier öfters mit seiner abenteuerlustigen Landsmännin zusammengetroffen. Im Sommer kehrte er nach seiner Heimat zurück und verweilte hier meist in den Seebädern, wo sich dann die Familien der reichen Yankees aufzuhalten pflegen. Auch hier waren Miß Arcadia Walker und er einander wiederholt begegnet.

      Die gleiche Geschmacksrichtung hatte die beiden jungen, lebensfrohen Leute, von denen die neugierigen Adamssöhne und vor allem die Evastöchter sagten, daß sie wie für einander geschaffen wären, mehr und mehr einander genähert. Wie sollten sie auch nicht übereingestimmt haben, bei ihrer gleichen Reiselust, bei dem gleichen Verlangen, dahin zu eilen, wo irgend ein Vorfall im politischen oder militärischen Leben die öffentliche Aufmerksamkeit erregte? Da kann es dem auch nicht wundernehmen, daß Mr. Seth Stanfort und Miß Arcadia Walker auf den Gedanken kamen, ihre Lebensbahnen zu vereinigen, was ja an ihren Gewohnheiten nichts ändern würde. Sie bildeten dann nicht mehr zwei Schiffe, die eines das andere begleiteten, sondern ein einziges, das vorzüglich ausgerüstet, getakelt und geführt war, sich auf allen Meeren der Erde zu bewähren.

      Es war also kein Prozeß, keine Verhandlung, keine Ordnung einer streitigen Angelegenheit, die Seth Stanfort und Miß Arcadia Walker veranlaßte. vor dem Richter dieser Stadt zu erscheinen. Nein; nach Erledigung der gesetzlichen Formalitäten bei den zuständigen Behörden in Massachusetts und in New-Jersey hatten sie für den 12. März zur schon erwähnten Zeit – zehn Uhr sieben Minuten – ihr Zusammentreffen in Whaston verabredet, um hier den Bund einzugehen, womit man, wie die Leute sagen, den wichtigsten Schritt im Leben tut. Nachdem die Vorstellung des Mr. Seth Stanfort und der Miß Arcadia Walker in der angeführten Weise erfolgt war, hatte John Proth den Fremden und die diesen begleitende Dame nur noch zu fragen, aus welchem Grunde sie vor ihm erschienen.

      »Seth Stanfort wünscht der Ehemann der Miß Arcadia Walker zu werden, erklärte der eine.

      – Und Miß Arcadia Walker wünscht die Ehefrau des Mister Seth Stanfort zu werden,« setzte die andere hinzu.

      Der Beamte verneigte sich höflich mit den Worten:

      »Ich stehe zu Ihrer Verfügung, Mister Stanfort, und ebenso zur Ihrigen, Miß Arcadia Walker.«

      Jetzt machten die beiden jungen Leute eine graziöse Verbeugung.

      »Wann wäre es Ihnen genehm den Trauungsakt zu vollziehen? fuhr John Proth fort.

      – Gleich auf der Stelle... wenn Sie keine andere Abhaltung haben, antwortete Seth Stanfort.

      – Denn wir verlassen Whaston, sobald ich Mistreß Stanfort geworden bin,« erklärte Miß Arcadia Walker.

      Der Richter Proth verriet durch seine Haltung, wie sehr er und mit ihm die ganze Stadt bedauere, daß das schöne junge Paar, das augenblicklich die Stadt mit seiner Gegenwart beehrte, nicht länger innerhalb der Mauern Whastons zu weilen gedenke. Dann fügte er hinzu:

      »Ich stehe vollständig zu Ihren Diensten,« und damit wich er einige Schritte zurück, um den Zutritt zum Hause freizugeben.

      Mr. Seth Stanfort hielt ihn jedoch durch einen Wink zurück.

      »Ist es notwendig, fragte er, daß Miß Arcadia Walker und ich vom Pferde absteigen?«

      John Proth dachte einen Augenblick nach.

      »O, keineswegs, versicherte er. Man kann sich ebensogut zu Pferde wie zu Fuß trauen lassen.«

      Es dürfte wohl schwierig sein, irgendwo, selbst in dem so originellen Amerika, einen gefälligeren, entgegenkommenderen Beamten zu finden.

      »Gestatten Sie nur noch eine Frage, fuhr John Proth fort. Sind auch schon alle gesetzlich vorgeschriebenen Formalitäten erledigt?

      – Ja gewiß,« versicherte Seth Stanfort.

      Damit übergab er dem Richter zwei große Kuverts mit den Erlaubnisscheinen, die nach Entrichtung der betreffenden Gebühren von den Gerichtsschreibereien in Boston und in Trenton ausgefertigt waren.

      John Proth nahm die Papiere in Empfang, setzte seine Brille mit goldenem Gestell auf und durchlas aufmerksam die offiziellen und durch einen Stempel der Behörde beglaubigten Schriftstücke.

      »Die Papiere sind in Ordnung, sagte er, und ich bin also bereit, Ihnen den Trauschein auszustellen.«

      Niemand wird sich wohl darüber wundern, daß die zu immer größerer Zahl angewachsenen Neugierigen sich um das Paar drängten, wie ebensoviele Zeugen einer feierlichen Verbindung, die unter Umständen vor sich ging, welche in jedem andern Lande als ganz außergewöhnlich erscheinen würden. Das genierte aber die beiden Verlobten nicht, ja es mißfiel ihnen nicht einmal.

      John Proth trat wieder auf die ersten Stufen seiner Freitreppe zurück und sagte mit lauter, für alle verständlicher Stimme:

      »Mister Seth Stanfort, es ist also Ihr ernster Wille, Miß Arcadia Walker zur Frau zu nehmen?

      – Ja.

      – Und Sie, Miß Arcadia Walker, sind ebenso gewillt, den Mister Seth Stanfort zum Manne zu nehmen?

      – Ja.«

      Der Beamte sammelte sich einige Sekunden, dann verkündete er so ernsthaft, wie ein Photograph im Augenblicke der Objektivöffnung »Jetzt recht ruhig und freundlich!« sagt, mit nachdrücklicher Betonung:

      »Im Namen des Gesetzes erkläre ich Sie, Mister Seth Stanfort aus Boston, und Sie, Miß Arcadia Walker aus Trenton, hiermit für ehelich verbunden!«

      Die beiden jungen Gatten näherten sich ihm und ergriffen seine Hand. wie um den eben vollzogenen Akt noch zu besiegeln.

      Gleichzeitig