obgleich ihr Herr sie nicht hören konnte. Hätte er sie hören können, so wäre übrigens ihr Redestrom auch so gut wie umsonst gewesen.
Außer Atem vom schnellen Steigen betrat Mr. Dean Forsyth sein Observatorium. Es war jetzt ein südwestlicher Wind aufgesprungen, der die Wolken mehr nach Osten hin trieb. Eine große aufgeklärte Stelle ließ schon bis zum Zenith den ganzen Teil des Himmels übersehen, wo das Meteor wahrgenommen worden war. Das Zimmer war jetzt von den Sonnenstrahlen hell erleuchtet.
»Nun, fragte Mr. Dean Forsyth, was gibt es?
– O, die Sonne ist da, antwortete Omikron, doch nicht für lange Zeit, denn von Westen ziehen schon wieder neue Wolken heran.
– Da ist keine Minute zu verlieren!« rief Dean Forsyth, der schon sein Fernrohr einstellte, während der Diener dasselbe mit dem Teleskop tat.
Etwa vierzig Minuten saßen sie eifrigst beschäftigt vor ihren Instrumenten. Geduldig und doch mit fieberhafter Hast drehten sie deren Stellschrauben, um sie immer in der gewünschten Richtung zu halten.
Und mit welch peinlicher Aufmerksamkeit durchsuchten sie alle Ecken und Winkel des eben sichtbaren Teiles des Himmelsgewölbes! Unter so und soviel gerader Aufsteigung und so und soviel seitlicher Abweichung war ihnen die Feuerkugel – offenbar auf geradestem Wege nach dem Zenith von Whaston – zuerst erschienen.
Jetzt war davon nichts, nichts zu entdecken! Nur die ganze wolkenfreie Fläche des Himmels, die doch für Meteore einen so prächtigen Promenadenplatz bildete! Kein leuchtendes Pünktchen in dieser Richtung! Keine Spur von einem Asteroiden!
»Nichts... gar nichts! sagte Mr. Dean Forsyth, während er sich über die Augen wischte, die von dem angestrengten Sehen mit Blut überfüllt waren.
– Nichts!« stammelte auch Omikron wie ein mitleidiges Echo.
Zu weiteren Beobachtungen war es jetzt schon zu spät. Heranziehende Wolken hatten den Himmel aufs neue bedeckt. Eine nochmalige Aufklärung war für heute wohl nicht zu erwarten. Sehr bald bildeten die Dunstballen nur noch eine einzige schmutziggraue Masse und sandten nachher einen feinen Regen herab. Da blieb nun, zum großen Kummer des Herrn und des Dieners, nichts weiter übrig, als auf jede Beobachtung zu verzichten.
»Und doch, sagte Omikron, sind wir dessen ganz sicher, daß wir ihn gesehen haben!
– Und ob wir dessen sicher sind!« rief Mr. Dean Forsyth, die Arme drohend zum Himmel erhebend.
Und in einem Tone, worin sich Unruhe und Eifersucht mischten, setzte er hinzu:
»Wir sind wohl unsrer Sacke ganz sicher; andre können ihn aber ebensogut wie wir bemerkt haben... wenn wir nicht doch nur die einzigen gewesen sind. Es fehlte nur noch, daß er ihn ebenfalls entdeckt hätte... er... dieser Sydney Hudelson!«
Drittes Kapitel
Worin von dem Doktor Sydney Hudelson, seiner Gattin Mrs. Flora Hudelson, sowie von Miß Jenny und Miß Loo, den beiden Töchtern der Genannten, die Rede ist.
»Wenn ihn der Intrigant, der Forsyth, nur nicht auch bemerkt hat! Nur der nicht?« So drückte sich am Morgen des 21. März der Doktor Sydney Hudelson in einem Selbstgespräch in der Einsamkeit seiner Arbeitsstube aus.
Der Mann war eigentlich Arzt; und wenn er in Whaston kaum als solcher tätig war, lag das daran, daß er es vorzog, seine Zeit und seine Intelligenz den weitschichtigsten und schwierigsten Problemen zu widmen. Ein Busenfreund Dean Forsyths, war er doch gleichzeitig dessen Rival. Von der gleichen Leidenschaft erfüllt, hatte er, wie jener, für nichts andres Sinn als für die Unendlichkeit des Himmels, ganz wie sein Freund scheute er keine Mühe, die astronomischen Rätsel des Universums zu entziffern.
Der Doktor Hudelson besaß ein hübsches Vermögen, das zum Teil von ihm selbst, zum Teil von Mrs. Hudelson, einer gebornen Flora Clarish, herrührte. Verständig verwaltet, genügte es, die Zukunft der Ehegatten und ihrer beiden Töchter Jenny und Loo, die jetzt die eine achtzehn, die andre vierzehn Jahre alt waren, voraussichtlich zu sichern. Was den Doktor selbst betrifft, würde man bezüglich seines Alters schöngeistig ausgedrückt zu sagen haben, daß bereits der Schnee von siebenundvierzig Wintern auf seinem Haupte schimmerte. Dieses schöne Bild wäre nur hier unpassend, weil der Doktor Hudelson so kahl war, daß er mit keinem Messer, keiner Schere eines Figaro etwas zu schaffen hatte.
Die unausgesprochen bestehende astronomische Rivalität zwischen Sydney Hudelson und Dean Forsyth störte auch einigermaßen das gegenseitige Verhältnis ihrer beiden, sonst so freundschaftlich verbundenen Familien. Die beiden Männer stritten übrigens nicht um den oder jenen Planeten oder Fixstern, denn die Gestirne des Himmels, deren erste Entdecker meist unbekannt sind, sind ja sozusagen Gemeingut der ganzen Welt, es kam aber nicht so selten vor, daß ihre meteorologischen oder astronomischen Beobachtungen zum Gegenstand eines lebhaften Meinungsaustausches wurden, der zuweilen sogar fast in Streitigkeiten ausartete.
Was solche Zwistigkeiten noch hätte verschlimmern, sogar selbst hervorrufen und zu beklagenswerten Auftritten führen können, wäre eine Frau Forsyth gewesen. Zum Glücke existierte eine solche Dame aber nicht, da der, der sie hätte geehelicht haben müssen, Junggeselle geblieben und überhaupt niemals auf den Gedanken gekommen war, sich zu verheiraten. Es gab also keine Frau Dean Forsyth, die unter dem Vorwand der Versöhnung die Sachen hätte verschlimmern können, und folglich war alle Aussicht vorhanden, daß kleine Zerwürfnisse zwischen den beiden Astronomen bald eine friedliche Beilegung finden könnten.
Freilich gab es anderseits eine Mrs. Flora Hudelson. Das war aber eine vortreffliche Frau, eine vortreffliche Mutter und ebenso eine vortreffliche Hausfrau, dazu eine höchst friedliche Natur, unfähig jeder übeln Nachrede über andre, eine Frau, die nicht unter Lästerungen frühstückte und unter Verleumdungen zu Mittag aß, wie so viele Damen der höheren Stände in den verschiedenen Gesellschaften der Alten und der Neuen Welt.
Noch mehr: Dieses Musterbild von Ehegattin bemühte sich auch ernstlich, ihren Herrn und Gemahl zu besänftigen, wenn dieser mit vor Erregung rotem Kopfe von einer Auseinandersetzung mit seinem intimen Freunde Forsyth nach Laufe kam. Außerdem fand es Mrs. Hudelson ganz natürlich, daß ihr Mann sich mit Astronomie beschäftigte und daß er in den Tiefen des Firmaments lebte, sobald er von da nur herniederstieg, wenn sie ihn darum ersuchte. Weit entfernt, es Mitz gleich zu tun, die ihren Herrn geradezu plagte, belästigte sie ihren Gatten in keiner Weise. Sie ertrug es, daß er zur Essenszeit auf sich warten ließ. Sie schmollte nicht, auch wenn er sehr spät zu Tisch kam, sondern bemühte sich vielmehr, die Speisen in bestem Zustand für ihn zu erhalten. Sie respektierte seine Zugeknöpftheit, wenn er in Gedanken war. Sie beunruhigte wohl auch sich selbst wegen seiner Arbeiten und das gute Herz diktierte ihr aufmunternde Worte, wenn der Astronom sich in unbegrenzte Fernen so weit verirrte, daß er den Rückgang nicht wieder fand.
Kurz: Das war eine Frau, wie wir sie allen Männern wünschen, vorzüglich wenn diese Astronomen sind. Leider gibt es solche Musterfrauen gewöhnlich nur in Romanen.
Jenny, ihre älteste Tochter, versprach in die Fußstapfen der Mutter zu treten und denselben Lebensweg wie diese einzuhalten. Offenbar war Francis Gordon, der zukünftige Gatte Jenny Hudelsons, bestimmt, einer der glücklichsten Ehemänner zu werden. Ohne die amerikanischen Damen herabsetzen zu wollen, muß man doch sagen, daß es Mühe kosten würde, in ganz Amerika ein reizenderes, anziehenderes, mehr mit allen guten menschlichen Eigenschaften ausgestattetes junges Mädchen als Jenny Hudelson zu finden. Sie war eine liebenswürdige Blondine mit blauen Augen, frischem Teint, hübschen Händen, niedlichen Füßchen und von schlanker Gestalt, und von Natur mit ebensoviel Grazie wie Bescheidenheit, mit ebensoviel Güte wie Verstand beschenkt. Francis Gordon schätzte sie auch nicht weniger, als sie diesen. Mr. Dean Forsyths Neffe erfreute sich überdies der Hochachtung der Familie Hudelson, einer gegenseitigen Wertschätzung, die bald in Gestalt eines – gern angenommenen – Heiratsantrages zutage trat. Die beiden jungen Leute paßten ja so gut zueinander. Jenny würde mit ihren vortrefflichen Eigenschaften das Glück in den neuen Hausstand mitbringen. Francis Gordon würde von dem ihm einst zufallenden Vermögen des Onkels schon jetzt reichlich bedacht werden. Doch ziehen wir einen Schleier über diese