Barbara Egert

Wenn die Kindheit Schatten wirft...


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allen Versäumnissen und Problemen geben. Warum aber, wenn etwas schiefläuft, sie an allem Schuld sein soll, ist für die Frauen, die meinen, ihr Bestes gegeben zu haben, natürlich deprimierend. Es wird im Allgemeinen nicht ausreichend beachtet, dass junge Frauen aus diversen Gründen überfordert waren, selbst mit Problemen zu kämpfen hatten und oftmals auch nicht mehr Liebe geben konnten, weil ihre eigene Kindheit durch mangelnde Bemutterung lieb- und freudlos war. Vor allem ältere Generationen, die viel autoritärer erzogen wurden und wo die „schwarze Pädagogik“ gang und gäbe war, haben – leider unreflektiert - das fortgesetzt, was sie selbst erfahren haben, und psychologische Ratgeber waren damals noch eine Seltenheit.

      Völlig unbekannt war die Veranlagung zur Hochsensibilität, und so wurde eine beispielsweise hochsensible Mutter von ihrer eigenen Mutter nicht verstanden und so akzeptiert wie sie war. Die Folge ist, dass sie dann auch nicht mit ihrem hochsensiblen und etwas komplizierten, ja, sogar „zickigen“ Kind umgehen kann. Auch dann, wenn sie es in der Erziehung ihrer Kinder besser machen will als ihre eigene Mutter, es wird nur selten gelingen.

      Eine Mutter ist schnell überfordert: Durch das Kind, durch sich selbst als noch nicht ausgereifter Mensch und durch Spannungen in der Ehe oder wenn sie allein erziehend ist. Wenn zum Zeitpunkt der Geburt die Situation der Eltern - auch unverschuldet - problematisch war (Krankheit, Verlust des Arbeitsplatzes etc.), bedeutet das für das Kind eine schwere spätere Belastung. Hinzu kommt, dass jedes Kind unterschiedliche Bedürfnisse hat, die auch von einer sehr gutwilligen Mutter einfach nicht alle erfüllt werden können. Stellen wir uns eine Mutter vor, die ihr Kind zwar liebt, aber eben auf eine etwas distanzierte und unstete Art. Nun braucht das Kind aber empathische Zuwendung und innige Nähe, es verlangt nach Symbiose. Wer ist "schuld", wenn diese Beziehung scheitert? Warum hat dieses Kind solch eine gegensätzliche Mutter bekommen und vice versa?

      Es ist bekannt, dass jedes Kind seine Eltern anders wahrnimmt, das heißt, das eigene Temperament und die ureigensten Bedürfnisse haben einen großen Einfluss auf eine geglückte oder misslungene Mutterbeziehung. Ich kenne Familien mit mehreren Kindern, und habe selbst noch vier ältere Geschwister, deren Sichtweisen und Schilderungen des mütterlichen Bildes doch weit auseinander gehen. Da wir die Wahrnehmung unserer mutterspezifischen Eigenschaften projizieren, müssen wir also versuchen, dieses subjektive Bild in uns auszublenden oder zu wandeln und eine realistische Sichtweise der mütterlichen Eigenschaften in uns zu aktivieren – nur so hat die reale Mutter eine Chance.

      Viele Mütter fühlen sich andererseits wegen ihrer fehlenden Gefühle dem Kind gegenüber schuldig, denn sie können dem eigenen Anspruch einer selbstlos liebenden Mutter nicht genügen. Eine werdende Mutter ist eben nicht zwangsläufig eine liebende Mutter, und auch nach der Geburt kann sie dieses Gefühl nicht erzwingen. Sie sollte sich aber im Klaren darüber sein, dass das Kind ihre fehlenden Gefühle und Empathie spürt, die in ihm eine gerechte Wut auslösen. So wie die Mutter das Recht hat, ihr Kind – aus welchen Gründen auch immer – abzulehnen, ebenso hat das Kind ein Recht auf seine Wut, abgelehnt oder unerwünscht zu sein, die von der Mutter gesehen und verstanden werden sollte.

      Wie belastend auch immer die Situation der Mutter, der Eltern sein mag: Wer sein Kind misshandelt, schädigt es zutiefst. Eine paradoxe Situation: Man selbst ist schuld, aber noch schuldiger fühlt sich das Kind. Tatsache ist und bleibt: Gewalt an Kindern ist grober Missbrauch und eine Straftat, die durch nichts zu entschuldigen ist.

       Mütter und Töchter

      Wir Töchter tragen die eine Sehnsucht in uns - auch wenn wir sie zeitweilig heftig leugnen -, von unserer Mutter geliebt zu werden. Auch möchten wir in unserer Gesamtheit gemocht und wahrgenommen werden. Wir wünschen uns, dass die Mutter unsere Fehler verständnisvoll akzeptiert oder zumindest toleriert, uns unseren Weg gehen lässt mit all den Umwegen, die dazu gehören. Sie sollte uns die Freiheit lassen, selbstständig zu handeln und zu entscheiden, aber auch immer für uns da sein, wenn wir Schutz und Hilfe brauchen. Kurz: Unser Traum ist die Ideal-Mutter.

      Die kulturellen Klischees, wie eine Mutter zu sein hat, ändern sich kaum. Sie entsprechen auch heute noch mehr oder weniger den Erwartungen der meisten Töchter. Aber auch die Mutter-Ideologie erlegt den Müttern auf, vor lauter Liebe und Fürsorge nur noch glücklich in das Antlitz des geliebten Kindes zu blicken, ob es sie schon seit Stunden nachts wach hält, selten gehorcht oder wie eine Nervensäge schreit. Dass diese idealisierten Erwartungen kaum zu erfüllen sind, auch nicht von der besten aller Mütter, begreifen die verletzten Töchter eventuell erst spät, manchmal zu spät, und dann sind die Kluft und Abneigung bereits unüberbrückbar.

      Wenn Mütter den Forderungen ihrer Töchter „Sei die Mutter, die ich brauche, nicht die Mutter, die Du bist“ nachkämen, dann gäbe es sicherlich kaum Schwierigkeiten in ihren Beziehungen, aber auch weniger Chancen zum Wachstum – für beide. Die Klagen der Töchter beginnen meistens mit: „Wenn sie doch nur…..... wäre/hätte“, und dann folgen unendlich viele Wünsche, die sich je nach Alter der Töchter ändern und immer noch und immer wieder die Hoffnung beinhalten, dass ihr Verhältnis zu ihrer Mutter doch liebevoller oder endlich so vollkommen werden möge, wie sie sich diese einmalige Beziehung gedacht hatten.

      Heutzutage ist das Verhältnis zwischen Müttern und Töchtern weitaus lebendiger und offener, als wir es von unseren Großmüttern zu unseren Müttern kennen, aber Tatsache war und ist, dass die Mutter eine Autorität für die Tochter ist und zum Leidwesen der Tochter noch allzu lange all-mächtig bleibt, wodurch sie einen enormen Druck ausüben kann. Aber auch viele Mütter können sich nicht von ihren Töchtern lösen, da helfen auch die Pubertät der Tochter und alle Bemühungen, sich so schrecklich wie eben möglich zu verhalten, nicht. Als ich mit 16 Jahren in meine Juliette-Gréco-Phase kam, nur noch schwarz gewandet herumlief, lautstark französische Chansons hörte und hustend versuchte, Gauloise zu paffen, konnte nur mein Vater ein Machtwort sprechen, meine Mutter war für mich nicht mehr maßgeblich.

      Der in der Pubertät notwendige Ablösungsprozess kann zwar von der Tochter mehr oder weniger vollzogen worden sein, aber die Mutter hält weiter fest, und dann beginnen die nervenden Kämpfe und Probleme, die bis zu einer endgültigen äußeren Trennung führen können. Die innere Trennung, so scheint es jedenfalls, ist kaum möglich, denn die Emotionen, die noch nach Jahren ausbrechen, wenn das Gespräch auf Mutter oder Tochter kommt, bezeugen die Intensität der inneren Bindung.

      In einer Untersuchung, in der 60 Frauen befragt wurden: “Wolltest Du werden wie Deine Mutter oder ganz anders?“ antworteten 58 Frauen eindeutig: „Anders, ganz anders, bloß nicht wie meine Mutter“. Bei manchen Frauen zeigt sich diese Ablehnung dann in etwas ab-wegigem Verhalten, das ihrem eigenen Naturell gar nicht entspricht. Sie lebten nun das exakte Gegenteil ihrer Mutter und damit gegen ihr eigenes Wesen. Diese Oppositionshaltung kann sich in sehr vielen Eigentümlichkeiten und Eigenarten zeigen, jedoch ist eines sicher, solange sich die Tochter so konträr verhält, hat die Mutter sie noch fest im Griff.

      Wir mussten als Kinder glauben, dass unsere Mutter vollkommen und immer für uns da ist, weil wir damals von ihr abhängig waren und sie eben die Welt, das Leben schlechthin für uns bedeutete. Sogar misshandelte oder abgelehnte Kinder rufen und sehnen sich immer noch nach ihrer Mutter, weil der tiefe Wunsch oder die Illusion, eine liebende Mutter gehabt zu haben, übergroß und (über-) lebenswichtig ist.

      „Es ist besser, wenn wir als Kinder so früh wie möglich lernen, dass Mutter uns zwar liebt, aber nicht ausschließlich.“ Und: „Der Mythos, dass Mütter ihre Kinder immer lieben, ist so beherrschend, dass selbst eine Tochter, die zu einem gewissen Zeitpunkt zugeben muss, dass sie ihre Mutter nicht mag, nichts als positive Empfindungen gegenüber ihren Kindern äußern wird.“ (Nancy Friday: Wie meine Mutter)

      Abgesehen von den drastischen missbräuchlichen Verhaltensweisen der Mütter erscheinen viele Beziehungen zwischen Töchtern und Müttern nicht durchweg schlecht oder problematisch, bei genauerem Hinsehen jedoch sind sie aber eben doch ziemlich kompliziert und von zuweilen chaotischer Struktur. Die emotionale Bindung zwischen Müttern und Töchtern ist sehr stark, und Mutterliebe und Mutterhass liegen manchmal nahe beieinander. Nur kann man über letzteres nicht