Barbara Egert

Wenn die Kindheit Schatten wirft...


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die spätere Beziehung ihres Sohnes zu Frauen, sie beeinflusst seine intimen Bedürfnisse und wie er später seine Rolle als Vater versteht. Die Welt des Weiblichen, mit der er durch die Mutter in Berührung kommt, umfasst symbolisch: Natur, Hingabe, Gefühle, Vertrauen in das Leben, emotionale Beziehungsfähigkeit, Fürsorge etc.

      Später wird und sollte sich das Verhältnis zu seiner Mutter verändern, da die Symbiose zwischen Mutter und Sohn gelöst werden muss, er sich der Welt des Männlichen zuwenden kann. Hierbei ist der Vater, als erste männliche Bezugsperson, von großer Bedeutung, da er seinem Sohn als Vorbild dient. Falls die Bindung an die Mutter sehr stark ist, sollte im Idealfall der Vater ihn mit seiner männlichen Präsenz aktiv beeinflussen.

      Es hängt vom Wesen der Mutter ab, welche wichtigen inneren Werte sie dem Jungen vermitteln kann: Eine gefühlige Mutter ist die, die ihre Rolle als Frau gerne ausfüllt und sich geliebt fühlt, weil sie sich selbst völlig akzeptiert. Andere Faktoren können die Mutter/Sohn-Beziehung ganz anders beeinflussen: Sie ist ein Denk- oder Empfindungstypus, hält noch an traditionellen Geschlechterrollen fest, verwöhnt ihren Sohn oder erzieht ihn lieber streng. Und: Kann sie das Gleichgewicht zwischen Nähe und Distanz halten (siehe auch das Kapitel „Das Dilemma von Nähe und Distanz“)?

      Bei einer negativen Mutterbindung geben beide ihre Eigenständigkeit und Freiheit auf, und sie bleiben aneinander kleben. Solch eine Bindung ist oft stärker als die Beziehung zur eigenen Ehefrau: Der Mann fühlt sich immer noch vorrangig seiner Mutter verpflichtet, obwohl er eigenständig und getrennt von ihr wohnt. Ihre Gespräche klingen oft so, als seien sie miteinander verheiratet. Ursache ist meist eine Mutter, die ihren Sohn nicht loslässt oder aber ein fehlender Vater (bzw. männliche Bezugsperson), der dem Kind weder Vorbild noch Identifikationsfigur sein konnte.

      Oft heiratet ein Mann mit einem negativen Mutterkomplex erst spät - wenn überhaupt - und dann je nach Mutterbild einen mütterlichen oder dominanten Frauentyp. Er bleibt aber in unbewusster symbiotischer Verbundenheit mit seiner Mutter, die weiterhin sein Leben bestimmt und die Ehe nachhaltig stört. Bekanntlich haben homosexuelle Männer mit starker Mutterbindung ein erstaunliches Einfühlungsvermögen, Sinn für Ästhetik und eine sensible Empfänglichkeit.

      Der Sohn muss sich also - anders als die Tochter - zur Identifikation mit dem Vater von der Mutter lösen. Oftmals bleibt er jedoch durch unbewusste Inhalte an die Mutter gebunden, die die oben beschriebenen Gefahren (Komplexbildung, Identitätsprobleme etc.) mit sich bringen. Die unterschwelligen Emotionen werden in die späteren Partnerschaften des Sohnes übertragen, d.h. er stößt immer wieder auf Frauen, die seinem Bild von Weiblichkeit (seiner Anima) entsprechen. Sicher projizieren wir alle mehr oder weniger, wäre es anders, gäbe es wahrscheinlich weniger Scheidungen. Aber die von einer Mutterbindung geprägten späteren Beziehungen sind für den Sohn, aber mehr noch für die Partnerin, besonders problematisch.

      Wenn der Sohn selektiv einen distanzierten und vielleicht etwas spröden Gefühlsausdruck bei seiner Mutter wahrnimmt - ungeachtet ihrer wirklichen Wesensart -, wird er später in Beziehungen selbst ernsthaft und verschlossen wirken. Diese Ausstrahlung macht eine Kontaktaufnahme nicht ganz einfach, weil sie andere Menschen zögern lässt, auf ihn zuzugehen, woraus der Betreffende folgert, er sei nicht beliebt oder liebenswert. Wenn Gefühle von ihm erwartet werden, flieht er lieber.

       Die Schatteneltern von Frido Mann

      Während ich an diesen Texten arbeite, begegnet mir „zufällig“ die Autobiografie von Frido Mann, dessen Lebensgeschichte ich mit wachsender Fassungslosigkeit las, wird sie doch massiv durch „Schatteneltern“ bestimmt. Wiederum finden wir bestätigt, dass psychische und physische Kindheitsverletzungen in allen sozialen Schichten vorkommen können. Wir erfahren hier, wie sich der Mythos einer hoch neurotischen Familie in Frido Mann fortsetzt.

      Vater Michael, der jüngste Sohn von Katia und Thomas Mann, war zunächst Musiker und lehrte später als Professor für Deutsche Literatur an der Universität von Kalifornien, Berkeley. Während Vater Thomas Mann seinen Sohn Michael „ausgesprochen schlecht behandelt hat“, wurde Frido der Lieblingsenkel des Großvaters, blieb aber der ungeliebte Sohn seines eigenen Vaters. Frido verbrachte seine ersten Lebensjahre in Kalifornien, aber nicht etwa in seinem Elternhaus, sondern er wurde über all die Jahre monatelang zu den Großeltern geschickt.

      Zurück von der ersten Europareise 1947 bringen die Eltern ihn wieder bei den Großeltern unter, weil sie auf eine lange Konzertreise gehen. Dieses Abschiebungsmuster setzt sich in Amerika fort, bis Frido 1949 in die Schweiz umgesiedelt wird, dort bei den Großeltern mütterlicherseits wohnt und seine Eltern für ihn „kaum mehr erreichbar“ sind. Aber dann erscheinen die Eltern doch mal wieder und mieten sogar ein Haus am Wolfgangsee; die Familie (der 2 Jahre jüngere Bruder Toni teilt das Schicksal von Frido) ist für einige Zeit vereint. Als die Eltern wieder auf Konzerttournee gehen, wird sich eine junge Hausangestellte um die Kinder kümmern.

      Ende September 1952 steht eine 2-jährige Weltreise der Eltern an, und die Kinder werden in einem Internat in Bern untergebracht: „Nimmt denn das nie ein Ende? Diese ständige Fremdbestimmung, dieses unaufhörliche Hin-und-her-Geschubse? Panische Angst vor dem Alleingelassenwerden und dem Alleinsein.“ (Alle Zitate aus „Achterbahn“ von Frido Mann) Nein, es nimmt kein Ende. Die Eltern wollen 1955 für immer nach Amerika zurückgehen, und es wird beschlossen, dass Frido in das Haus seiner inzwischen verwitweten Großmutter Katia zieht und in Zürich das Gymnasium besuchen soll. Seine Eltern sind für ihn außer „in einer dünnen Briefkorrespondenz“ nicht zu erreichen. Zwei Jahre vor seinem Abitur darf er mit Toni seine Eltern in Amerika besuchen. Zum Abschied, der ihm sehr schwerfällt, fragt er seine Mutter, warum er nicht in Amerika auf die Schule gehen könne. Seine Mutter antwortet ihm („ohne rot zu werden“), dass man diese Entscheidung nur zu seinem Wohl gefällt habe, da die Schulausbildung in Europa viel besser sei (siehe Kapitel „Doublebinds“). Es dauert nunmehr 18 Jahre, bis Frido einen Besuch bei seinen Eltern in Kalifornien erkämpfen kann.

      Und wie erlebte Frido seine Eltern? Es ist bekannt, dass Michael Mann sehr schwierig war, ein zu Wutanfällen und unberechenbaren, extremen Stimmungsschwankungen neigender Mann: „Er leidet sehr deutlich unter seiner eigenen Zerrissenheit und darunter, sich selbst so wenig unter Kontrolle zu haben.“ Im Gegensatz zur Mutter hat der Vater jedoch auch freundliche Wesenszüge: „So unberechenbar sich mein Vater als nervös überspannter Wüterich aufführen kann, so überraschend zugewandt, liebevoll und lebendig humorvoll kann er sein.“ Die Mutter ist zwar berechenbarer als der Vater, er schildert sie aber als unterkühlt und desinteressiert: „Ihre Beziehung zu uns Kindern besteht hauptsächlich darin, uns zu verwalten…Aber an etwas anderes kann ich mich eigentlich nicht erinnern: an irgendeine körperliche Berührung von ihr.“

      Als Fridos erste Liebesbeziehung (1962) zerbricht, stürzt er in eine tiefe Krise: „Dicht am Abgrund von Todessehnsucht überfällt mich zeitweilig die Angst, den Verstand zu verlieren.“ Er gewinnt den Kampf gegen seine selbst zerstörerischen Kräfte. Nach einem Musikstudium an der Zürcher Musikhochschule mit Abschluss an der Accademia Santa Cecilia in Rom studiert und promoviert er (nach erfolgter Konversion) in katholischer Theologie. Dann folgt ein Psychologiestudium, das er mit einem Diplom abschließt, und schließlich arbeitet er als Klinischer Psychologe an einem Psychiatrischen Krankenhaus. Sein beruflicher Lebensweg hat noch viele Stationen, die ich hier aussparen möchte.

      Frido war geschlagen mit dem schwierigen Wesen eines Macht ausübenden und dominierenden Vaters, der ihn in seinen kreativen (Musikstudium) und religiösen (Theologiestudium) Bestrebungen nicht unterstützte, im Gegenteil: er wollte seinen Willen durchsetzen. Wechselbäder bestimmten diese Beziehung: Der abweisende und abwesende Vater, der kritisierte und dem Kind wenig Selbstvertrauen gab, aber auch der liebevolle, musische Vater, der ihm in der Jugend den Zugang zur Musik öffnete und ihn später diese nicht studieren lassen wollte. Der enttäuschende, physisch und psychisch abwesende Vater, der ihm keine Identifikationsmöglichkeit bot und Frido nicht in seiner werdenden Persönlichkeit stärkte. Es ist aber auch der Vater mit einem großen kreativen Potenzial, das er in diesem Falle an seinen Sohn weitergegeben hat.

      Seine