Barbara Egert

Wenn die Kindheit Schatten wirft...


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Weise miteinander verbunden, denn durch diese primäre Beziehung bildet sich das Ich-Gefühl, die Identität einer Tochter, einer Frau, ihr Selbst-Verständnis von Gefühlen und der Bedeutung, eine Frau zu sein, was den weiblichen Körper und die Sexualität mit einschließt. Was wir von unserer Mutter erwarten und erhoffen, ist von jener kaum zu erfüllen, aber sie ist nun mal der einzige Mensch, an den wir all unsere Wünsche richten können, und außerdem sind wir in der Kindheit davon überzeugt, dass sie alles kann, wenn sie nur will.

      Bei einer Tochter äußert sich ein negativer Mutterkomplex unter anderem darin, dass sie um keinen Preis wie ihre Mutter sein will, alles – nur nicht wie die Mutter. „Das Verblüffende an diesem Phänomen ist die Tiefe der Angst und der eingewurzelte Glaube an die negative Macht der Mutter, die für so groß gehalten wird, dass, wenn die Tochter auch nur im geringsten wie ihre Mutter ist, diese Macht sich wieder einstellt und auf andere die gleiche Wirkung hat, wie sie auf die Tochter hatte – so glaubt die Tochter jedenfalls.“ (Kathie Carlson: Nicht wie meine Mutter)

      Ihr Unbewusstes ist vergiftet durch die verinnerlichten Eigenschaften der Mutter, die eine ungewollte Bindung erzeugen und sie oft genug in dunkle Tiefen ziehen. Das ist auch einer der Gründe, warum Töchter sehr früh heiraten. Sie realisieren allerdings nicht, dass damit die Mutterbindung nicht gelöst, die Fixierung an sie nicht gelöscht wird. Ein negativer Mutterkomplex kann später durch eine Episode, das Verhalten eines anderen Menschen oder einen Traum etc. aktiviert werden. Alle mit diesem Komplex verbundenen verschütteten Emotionen überfallen sie und lassen sie so heftig reagieren, dass sie selbst und ihr Umfeld erschrocken sind. Und sie dachten, sie hätten die Mutterproblematik überstanden…Weit gefehlt, sie war nur eine Zeit lang nicht präsent.

      Wir sind so emotional und verstrickt in alte Gefühlsmuster, dass wir unsere Mutter und Kindheit nur schwer mit einer gewissen Distanz betrachten können. Wir werden eher selektiv die schwierigen Eigenschaften unserer Mutter wahrnehmen. Die negativen Gefühle setzen sich in uns fest, und all die liebenswerteren Wesenszüge werden ins Unbewusste verbannt. Wenn der Archetypus der Großen (schrecklichen) Mutter in sie projiziert wurde, dann sind diese Projektionen sehr langlebig und nur mit größten Schwierigkeiten aufzulösen. In Gesprächen über unsere Mutter heißt es dann meistens: „Sie konnte auch nett sein, aber…“, wobei das „Aber“ die zeitweilig wahrgenommene Nettigkeit quasi wieder auslöscht. Wahrscheinlich kommen die Betroffenen nicht umhin, zur Aufarbeitung und Bewältigung alle Emotionen noch mal zu durchleben. Anders geht es nicht! Man löst das Problem nur durch Bewusstwerdung der Vergangenheit.

      „Viele Mütter neigen dazu, die Tochter mehr noch als den Sohn als Teil des eigenen Selbst zu sehen, und das führt dazu, dass sie die Eigenart der Tochter und ihre individuellen Bedürfnisse ungenügend wahrnehmen..... Die Mutter kann in ihrer Tochter auch abgelehnte Teile ihrer eigenen Person unbewusst wahrnehmen, die sie dann in der Tochter bekämpft.“ (Margarete Mitscherlich: Die friedfertige Frau)

      Wenn Töchter vor lauter Ablehnung, Wut und Verzweiflung oft am liebsten vorzeitig das Elternhaus verlassen möchten, haben sie auch triftige Gründe. Älter gewordene Töchter setzen sich bewusster mit einer Mutter auseinander, die selbst in ihrer ganz speziellen Problematik gefangen ist und offenbar nur sich und ihre Krisen sieht. Sie beneidet ihre Tochter um deren Jugend, Lebendigkeit und Freunde und gönnte ihr das nicht, natürlich nicht offen und direkt, sondern auf subtilere Weise. Ich hatte eine Kollegin, die jedes Mal, wenn sie mit ihrer Familie in Urlaub fahren wollte, schon darauf wartete, dass ihre Mutter genau zu diesem Zeitpunkt krank wurde und jammerte, sie müsse sicherlich ins Krankenhaus oder würde sogar sterben.

      Nicht einfach zu enträtseln sind auch die in dem Kapitel „Doublebinds“ verdeutlichten Doppelbotschaften der Mütter, wenn sie etwa klagen: “Geh nur aus, ich komme schon allein zurecht…“, die die Tochter in eine missliche Lage bringen. Der Abend, an dem die Tochter sich mit ihrem Freund treffen will, ist überschattet von den unausgesprochenen, aber angedeuteten Wünschen der Mutter, die ja immer alles für ihr Kind getan hat und nun diesen Feiertag alleine verbringen muss. Dieser durch die Doppelbotschaften entstandene moralische Druck macht wütend und hilflos, da diese Wut nicht gezeigt und ausgesprochen werden darf, denn die Mutter könnte dann in Tränen ausbrechen oder einige Tage mit leidendem Gesicht herumlaufen und der Tochter ein permanent schlechtes Gewissen machen.

      Und dann sind da noch Schuldgefühle, die wechselseitig zwischen Müttern und Töchtern entstehen und zumeist die Töchter vergraulen. „Ich habe mich für Dich aufgeopfert“, ist ein Kernsatz, der solche Schuldgefühle in der Tochter erzeugt, dass sie wie gelähmt ist, obwohl ihre persönliche Erfahrung und ihr gesunder Menschenverstand ihr sagen, dass soviel Aufopferung gar nicht stimmen kann.

      Andererseits haben viele Mütter Angst, ihrer Tochter nicht ausreichend Zeit und Zuwendung geben zu können, überhaupt wenn sie berufstätig oder allein erziehend sind. Das Bemühen, eine „perfekte“ Mutter zu sein, ist hoffnungslos zum Scheitern verurteilt und doch plagen sich die Mütter mit einem schlechten Gewissen und der Angst, nicht „gut genug“ zu sein. Töchter, die trotz aller liebevollen Bemühungen der Mutter abweisend und wenig zugänglich sind, erzeugen in ihr immer wieder Schuldgefühle.

      Durch meine Recherchen zum Mütter/Töchter-Thema und meinen eigenen Erfahrungen und Gesprächen wurde mir immer bewusster, dass diese Beziehung stets von hoher Emotionalität ist, dass sie noch lange, oftmals über den Tod der Mutter hinweg, kaum an Intensität verliert. Wenn man scherzt: „Im Zweifelsfall ist immer die Mutter schuld“, wird das allzu beifällig begrüßt, erspart es doch den Töchtern, den eigenen Schatten und ihren Beitrag zu diesem Teufelskreis wahrzunehmen.

      Der Tochter bringt es später nichts mehr, ihrer Mutter für alles Negative, was in der Vergangenheit zwischen ihnen geschah, die Schuld zu geben. Ich denke, wir erwachsenen Töchter könnten versuchen, die Vergangenheit – nun mit etwas mehr Distanz – zu verstehen, es sei denn, die Mutter hat uns grob misshandelt und uns nachhaltig geschädigt. Hatte man z.B. eine Alkoholikerin zur Mutter und unter ihr sehr zu leiden, so würde ich mir die Frage stellen, durch wen oder was war meine Mutter so voller Angst, dass sie die Realität ohne Bewusstseinsveränderung nicht mehr aushielt? Kaum eine Mutter ist nur schlecht, und zu bedenken, was sie an Gutem für uns getan hat, helfen sicher auch, unseren Groll und ihre Verneinung abzubauen. Vielleicht können wir auch im Nachhinein Mitgefühl entwickeln, weil die schwierige Lebensgeschichte der Mutter, angefangen von dem vielleicht miserablen Verhältnis zu ihrer eigenen Mutter bis zur Aufgabe all ihrer Jugendträume (durch Krankheit, Scheidung, soziale Probleme etc.), uns nachsichtiger und weichherziger werden lässt.

      Auch die Schattenproblematik zwischen Müttern und Töchtern ist ein enorm wichtiges Thema. Stellen wir uns vor, dass eine Tochter im Laufe ihrer Adoleszenz die Welt der männlichen Wesen und ihre Sexualität entdeckt. Es wird nicht ausbleiben, dass sie sich aufreizend anzieht, beginnt, Augen und Lippen in schwarz-rote Gemälde zu verwandeln und sich abends, längst nach der von den Eltern fest gesetzten Zeit, in ihr Zimmer schleicht.

      Stellen wir uns weiter vor, dass die Mutter in einem prüden Elternhaus erzogen wurde und früher gerne auch ihre Erfahrungen gemacht hätte. Aber ihr Umfeld und Elternhaus gestatteten ihr keine Experimente mit dem anderen Geschlecht, und so heiratete sie früh ihren Jugendfreund. Der Schatten der Mutter, also die abgelehnten und ungelebten Teile in ihr, die sie aus diversen Gründen nicht akzeptieren kann und somit verdrängen muss, bekämpft sie nun in der Tochter und lässt sie wütend schimpfen, sie solle ihr bloß nicht mit einem Kind nach Hause kommen bzw. sich wie ein Flittchen anziehen etc. Es wäre für Mütter der heranwachsenden Töchter äußerst hilfreich, wenn sie sich psychologische Kenntnisse aneignen könnten, die beiden – zumindest einige – heftige Auseinandersetzungen und Missverständnisse ersparen würden.

      Ein Verständnis dieser psychischen Prozesse täte beiden gut. Auf einer übergeordneten Ebene würde ich persönlich davon ausgehen, dass wir genau die Mutter bekommen bzw. die Mutter genau die Tochter bekommt, die für beide in diesem Leben richtig ist – als eine Herausforderung und Chance im Sinne unserer Individuation.

       Mütter und Söhne

      Der