Janet Borgward

Das Mädchen mit dem Flammenhaar


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einem jungenhaften Lachen. Mein Ehrgeiz war geweckt. Natürlich wollte ich Miles einholen. Ganz Gullorway war inzwischen auf den Beinen. Die Männer des Ältestenrates, denen auch mein Vater angehörte, trieben uns an. „Beeilt euch. Alle ins Gemeindehaus und wartet dort auf eure Anweisungen“, feuerte mein Vater uns mit vor Anstrengung rotem Kopf an. „Mit Mistgabeln gegen eine Reiterschar des Schreckens, aus deren Waffen Flammen und Blitze schießen“, stieß Miles atemlos hervor, als wir vor dem Gemeindehaus zum Halten kamen. „Ist doch sinnlos.“ „Avery könnte uns ja ein paar Wunderwaffen zeichnen, aber sie malt ja lieber Blümchen und Kräuter“, stichelte meine ältere Schwester Charise. Sie war achtzehn und wurde nie müde mich spüren zu lassen, wie erwachsen sie schon war. Sie klopfte sich die Handflächen an ihrer sauberen Hose ab, als wären diese Hände je mit Dreck in Berührung gekommen. Nicht eine Schweißperle glänzte auf ihrer makellosen Alabasterhaut. Ja, ich konnte recht gut zeichnen. In letzter Zeit spielte mir diese künstlerische Fähigkeit allerdings einen Streich. Was ich zeichnete wurde – lebendig. Manchmal war es mir gar, als verströmten die gezeichneten Kräuter einen realen Duft nach Rosmarin, Liebstöckel, Sommerblumen oder was auch immer ich gerade zu Papier brachte. Bisher hatte ich noch mit niemandem darüber gesprochen. Es war mir irgendwie peinlich und ich hatte Angst davor, für verrückt erklärt zu werden. Doch Charise schien etwas zu ahnen und weil sie selbst über keinerlei Talente verfügte, außer vielleicht den jungen Männern in unserem Dorf den Kopf zu verdrehen, zog sie mich jetzt damit auf. Zum Glück ging keiner darauf ein. Nur mein Vater warf mir einen alarmierten Blick zu, wobei seine blassblauen Augen wie frisches Quellwasser leuchteten. Wir drängten uns ins Gemeindehaus und ließen eine schmale Gasse für die Alten und Gebrechlichen frei. „Da sind ja meine Mädchen.“ Unsere Mutter betrat den Raum. Erleichterung stand ihr ins Gesicht geschrieben, als sie uns entdeckte. „Kommt. Wir gehen weiter nach hinten durch.“ Trotz der Gefahr, die in der Luft lag, verströmte sie Zuversicht und Ruhe. Sie war noch immer eine bildhübsche Frau. Hochgewachsen und schlankwüchsig, wenn auch ihr rabenschwarzes Haar allmählich Silberfäden sichtbar werden ließ und sich feine Linien um Mund und Augen abzeichneten, die nicht nur vom Lachen herrührten. Sie bog ihren schmalen Rücken durch, was ihr eine gewisse Würde und Größe verlieh. Die Menschen in Gullorway waren meist hochaufgeschossen. Für die Männer war eine Körpergröße von einem Meter neunzig bis zwei Meter nichts Ungewöhnliches. Selbst Frauen maßen rund einen Meter achtzig. Nur Alter und Gram ließ die Bewohner mit der Zeit schrumpfen, so schien es. Die harte Arbeit auf den Feldern tat ihr übriges. „Es ist stickig hier drin“, beklagte sich Charise als wäre dies unsere einzige Sorge. „Ich glaube, ich sehe Denian dort hinten“, unternahm ich den Versuch, meine Schwester fortzulocken. Denian war ihr aktueller Freund. „Ich will aber, dass ihr an meiner Seite bleibt“, war die Stimme meiner Mutter zu vernehmen, in der außer dem plötzlichen Befehlston noch etwas anderes mitschwang: Angst. Charise rollte mit den Augen, ein genervtes Stöhnen auf den Lippen. „Ich bin doch kein Kind mehr.“ „Eben“, setzte Mutter mit scharfem Tonfall hinzu. Ihr Blick verriet, dass es besser war, jetzt keine Widerworte zu geben. Unruhig trat ich von einem Fuß auf den anderen. Es machte mich nervös hier drin zu warten und nicht zu wissen, was draußen vor sich ging. In diesem geschlossenen Raum mit nur einer Fluchttür hätten etwaige Angreifer ein leichtes Spiel. Langsam begann die Beklemmung von mir Besitz zu ergreifen. Was, wenn die Herren von Kandalar meinen Lesestein fanden, schoss es mir plötzlich durch den Kopf. Mein Vater hatte ihn mir heimlich von einer seiner Handelsreisen mitgebracht, weil er wusste, dass ich leidenschaftlich gerne las. Ein Stein wäre unauffälliger als Bücher, so hatte er gesagt. „Dieser Stein ist etwas Besonderes. Niemand darf wissen, dass du ihn besitzt, niemand.“ Das gebündelte Wissen sämtlicher Bücher sollte sich darin befinden. Seitdem hatte ich das ein oder andere darin gelesen. Heimlich. Sogar im Dunkeln. „Du musst das Wissen des Lesesteins, wenn nötig mit deinem Leben vor den Herren von Kandalar, sogar vor jedem von uns, schützen“, ließ er mich schwören. Der Lesestein aus meisterlich geschliffenem schwarzem Onyx, war etwa so groß wie meine Hand und so dünn wie mein Ringfinger. Die ebenmäßig gearbeitete Frontseite wechselte von tintenschwarz zu einer milchig durchscheinenden hellen Lage, wann immer ich mit der Hand darüberstrich. Dann erschienen vollständige Texte, fast so wie in einem Buch, nur dass die äußeren Ränder ein bisschen ausgefranst wirkten. Bei erneuter Berührung war es, als würde ich eine Buchseite umschlagen. Die Energie zur Darstellung gewann der Stein aus dem Sonnenlicht, so meinte mein Vater. Ich hatte aber auch davon gehört, dass Onyx allein schon die Fähigkeit besaß, das Selbstbewusstsein seines Besitzers zu steigern, weswegen man ihn auch den ‚Stein des Egoisten‘ nannte. In den Händen seines Besitzers förderte er analytisches Denken und Durchhaltevermögen, um die eigenen Ziele unaufhörlich zu erreichen – wovon ich allerdings noch nichts gemerkt hatte. In den wenigen Augenblicken, in denen ich unbemerkt in dem Stein lesen konnte, versuchte ich mir dieses Wissen einzuprägen, doch war der Lesestoff einfach zu umfangreich. Hufgetrappel mehrerer Reiter war nun auf dem Vorplatz zu hören. Aufgeregte Stimmen wurden von barschen, fremd klingenden Befehlen übertönt. Etwas zischte oder knallte kurz hintereinander. Vielleicht das Leder einer Peitsche. Dann war ein unterdrückter Schmerzensschrei zu hören. Alle im Raum erstarrten. „Wer ist euer Anführer?“, fragte eine derbe Stimme mit fremdländischem Akzent und schleppendem Tonfall. „Das bin ich. Aris.“ „Ist euer Dorf plötzlich ausgestorben?“ Gelächter von weiteren Männern war zu hören. Ich reckte mich, um irgendetwas von dem erkennen zu können, was da außerhalb vor sich ging. „Bei drei sind alle hier auf dem Platz oder bleiben für immer in diesem maroden Bau! Schätze, das baufällige Haus brennt wie Zunder, wenn wir ein paar Fackeln hineinwerfen.“ Es wurde so still, dass man eine Nadel hätte fallen hören können. Fast schmerzhaft umschloss Mutter mein Handgelenk. „Was wollt ihr?“, vernahm ich die Stimme meines Vaters. Klar und fest. „Ich bin es, der hier die Fragen stellt! Also, bei drei. Eins …“ Die Tür des Gemeindehauses flog auf. Einer nach dem anderen hasteten wir nach draußen. Kaum war der Letzte auf den Dorfplatz hinaus gestolpert, stach bereits der beißende Geruch von Feuer in unsere Nasen. Angefacht vom böigen Wind brannte das Gemeindehaus bald lichterloh. Die Hitze war schier unerträglich, doch wagte niemand sich zu bewegen, um den Brand zu löschen. „Sind alle eure Gebäude so instabil?“ Der Mann ohne Namen lachte boshaft und trieb sein Pferd durch die Menge. Wie gebannt stierte ich zu der imposanten Erscheinung des Sprechers hinüber. Unmerklich versuchte meine Mutter Charise und mich hinter sich zu bringen und damit aus dem Blickfeld der Herren von Kandalar. Der hünenhafte Mann samt Begleiter waren komplett in schwarz gekleidet. Seine Reitstiefel reichten ihm in einer breiten Krempe bis übers Knie. Goldene Bänder oder Schlaufen waren an den Seiten angebracht. In einer dieser Schlaufen steckte ein Schaft mit einem reich verzierten Dolch. Der schwarze, schwere Umhang des Mannes schimmerte am Saum leicht grünlich, wenn sich der Wind darin verfing. Seine Hände steckten in schwarzen Lederhandschuhen, mit breiter Manschette. Eine Hand ruhte lässig auf dem Knauf eines seltsamen Stabes, der in seinem Gürtel steckte. Die andere hielt die Zügel seines pechschwarzen Pferdes. „Nun Aris, wo dein Clan endlich so hübsch versam …“ Ein lautes Krachen und Knarren verschluckte den Rest des Satzes. Die Holzbalken des Dachstuhls hielten dem Feuer nicht mehr länger stand. Funken stoben wie Glühwürmchen umher und versengten jedem, der zu nahe beim Feuer stand Haut und Haare. „… verlangen wir die Herausgabe der vereinbarten Steuern“, sprach der Hüne unbeirrt weiter. In schleppendem Tonfall leierte er Forderungen herunter. „Dreißig Säcke Getreide, zehn Rinder, fünf Schweine, zwanzig Hühner und – eintausend Platons.“ „Eintausend Platons?“, stieß mein Vater hervor, dabei jede Vorsicht außer Acht lassend. „Hast du damit ein Problem, alter Mann?“ „Seht euch dieses Land doch an. Es gibt kaum genug für uns zum Leben her. Und erst kürzlich haben wir fünfhundert Platons.“ „Willst du wirklich mit mir handeln?“, dabei beugte er sich zu meinem Vater herunter, während die Hand am Knauf seiner Waffe zuckte. „Wir haben nichts, was wir euch geben könnten“, die Stimme meines Vaters war nur noch ein Flüstern. Es zerriss mir das Herz, ihn so zu Kreuze kriechen zu sehen. „Ihr treibt doch regen Handel mit Timno Theben und selbst Perges ist euch nicht zu weit.“ Er trieb sein Pferd auf meinen Vater zu, der zurückwich. „Womit bezahlt ihr dann diese Waren?“ „Mit Medizin.“ „Lauter! Eure seichte Sprache erreicht mein empfindliches Ohr kaum.“ „Wir stellen Medizin im Tausch gegen Waren her.“ „Tatsächlich? Seltsam, dass wir nichts davon wissen“, spie er meinem Vater entgegen. Selbst von meinem Platz aus konnte ich erkennen,