und in unsere Häuser und Stallungen eindrangen. „Aber wir brauchen die Vorräte“, setzte mein Vater an. „Ihr solltet lernen, damit besser zu haushalten.“ Wenige Zeit später trieben die Männer ein paar Rinder und Schweine über den Dorfplatz von Gullorway. Einer der Herren von Kandalar näherte sich dem Wortführer und schien ihm etwas zu überreichen, was sein langer Umhang jedoch verbarg. „Und was ist das hier?“ Triumphierend hielt er ein Buch in die Luft. Die Gesichtszüge meines Vaters erstarrten augenblicklich. „Das – ist unmöglich“, brachte er hervor. „Und dennoch halte ich es in Händen, wie du siehst.“ Er warf meinem Vater das verbotene Buch wutschnaubend vor die Füße. „Mir scheint, du hast deinen Clan nicht unter Kontrolle. Sie arbeiten ungenügend und verbringen ihre Zeit offenbar mit l-e-s-e-n.“ Wie zähfließender Schleim flossen die Worte aus seinem Mund, sein eigenartiger Dialekt war nur mit Mühe zu verstehen. „Und jeder von euch weiß, was darauf steht“, wandte er sich dann an alle Dorfbewohner, nahm meinem Vater damit die Möglichkeit für weitere Rechtfertigungen. „Also, wem gehört das Buch?“ Es entstand eine unerträgliche Stille. „Mir“, ertönte unverhofft eine Männerstimme von weiter vorne. „Mir auch.“ „Und mir.“ Immer mehr Stimmen wurden laut und schwollen zu einem einzigen Rhythmus an. „Mir, mir, mir!“ Bis auch Frauen und Kinder in dem Singsang einstimmten. Plötzlich zog der Mann seinen Stab aus dem Gürtel und feuerte damit blindlings in die Menge hinein, woraufhin einige Bewohner schreiend zusammenbrachen. „Du!“, wies er aufs Geratewohl auf einen Jungen. Cyrian, wenn ich ihn richtig erkannt hatte. „Herkommen!“ Cyrian versteifte sich. Er hatte keine Chance gegen die berittenen Herren von Kandalar, die bereits aus ihren Sätteln gesprungen waren. In ihrer Mitte wirkte er geradezu schmächtig. Sie überragten ihn um fast zwei Kopflängen und ihre Schultern waren um ein Vielfaches breiter, muskulöser. Grob zwangen sie ihn auf die Knie. Es bedurfte nur eines kurzen Nickens ihres Anführers, dass einer von ihnen einen Säbel unter seinen Umhang hervorbrachte und mit einem einzigen Hieb Cyrians Kopf vom Rumpf trennte. Starr vor Entsetzen blickte ich auf Cyrians kopflosen Rumpf, unter dem sich bereits eine riesige Blutlache zu bilden begann, die gierig von dem staubtrockenen Boden aufgesogen wurde. Cyrian war gerade erst vierzehn Jahre alt geworden. „Gehört sonst noch jemandem das Buch?“ Mit unbeweglicher Miene sah er in die vor Schreck geweiteten Augen der Dorfbewohner. Niemand wagte auch nur zu Atmen. „G-u-t. Dann wäre d-a-s geklärt.“ Seine fremde Aussprache hallte wie ein abklingender Sturm in den Ohren nach. Er schloss zu seinen Männern auf, während sich die Menge vor ihm teilte. Hass, Mordlust, Resignation und vieles mehr las ich in den Gesichtern unseres Clans. Ein letztes Mal drehte er sich um, wobei seine ungnädigen Augen über die Köpfe der Menge hinweg nach etwas zu suchen schienen. Kurz bevor sich unsere Blicke trafen, stellte sich meine Mutter vor mich und nahm mir damit die Sicht. Und genauso schnell wie sie in Gullorway eingefallen waren, verschwanden die Herren von Kandalar auch wieder. Zurück blieben Trauer und Fassungslosigkeit.
Neschwirr
Wie ein dunkler Schatten preschten die Reiter der Herren von Kandalar über magere Wiesen, vorbei an den schroffen Felsformationen der Ellar Hills, einer Gebirgskette in Merdoran. Nördlich des Massivs ragte dagegen ein einzelner graugrüner Bergkegel empor, auf dessen Gipfel ein monumentales Bauwerk thronte: die Burg von Kandalar. Eine Burg, so gewaltig und groß, dass eine Stadt darin Platz finden könnte. Mit zahlreichen spitzen Türmen, die wie Nadeln in den Himmel stachen, stets verborgen in einem dichten Wolkenkranz. Das gelblich schimmernde Mauerwerk aus Gold Quarzit überstrahlte die grobbehauenen stützenden Mauern aus Basalt und war bereits aus weiter Ferne sichtbar.
Die Reiter gaben ihren vor Anstrengung dampfenden Pferden die Sporen, um noch vor Einbruch der Dunkelheit auf die Burg zu gelangen. Wuchsen am Fuße des Berges noch Gräser, schneidend scharf wie Messerklingen, verlor sich der Boden zusehends in unwegsames Gelände. Knöchernes, mannshohes Dornengestrüpp zerrte an den Gewändern der Männer und erschwerte ihnen den Aufstieg. Kurz bevor die imposanten, schmiedeeisernen Tore der Burg nach unten gelassen wurden, stob die Reiterschar über den Burgplatz. Noch im Galopp sprang Manold, der Wachmann, aus dem Sattel. Unwirsch schlug er die helfende Hand eines herbeigeeilten Dieners beiseite.
In seinen schulterlangen schwarzen Haaren, haftete noch der Staub vergangener Tage. Schwungvoll stieß er die Tür zur Schenke auf und zog sich einen Stuhl heran.
„Bring mir einen großen Krug kühles Bier und einen Batzen Fleisch. Ich bin am Verhungern“, wies er ein dürres Dienstmädchen an. Achtlos warf er seinen schweren Umhang über einen Stuhl, der unter der Last umzukippen drohte. Eine Hand fing ihn mühelos auf.
„Manold. Schon so zeitig zurück von eurer Reise?“
Die Stimme des weitaus jüngeren Mannes klang schneidend scharf.
„Lange genug um eine anständige Mahlzeit und …“
„Mein Vater wartet ungern auf Neuigkeiten, die du sicher zu berichten hast. Wenn du also so freundlich wärst. Ich bin sicher, dass von seinem Abendessen noch ein paar Bissen für dich übriggeblieben sind. Und zieh dir frische Kleidung an.“
Nur mühsam beherrscht erhob sich Manold, um der Aufforderung Folge zu leisten.
„Wie Sie wünschen, junger Lord.“
Dabei verzichtete Manold bewusst auf die korrekte Anrede ‚Guhl‘, um ihm eine Lektion zu erteilen. Er, Manold hatte schon gekämpft, als dem Bürschchen noch der Rotz aus der Nase lief.
„Mir scheint, du hast deine guten Manieren beim Pöbel in den Dörfern gelassen.“
Die rabenschwarzen Augen des jungen Lords blitzten gefährlich auf. Viele waren schon für leichtere Vergehen getötet worden. Reumütig senkte der Wachmann seinen Kopf.
„Ich bitte um Vergebung, Neschwirr-Guhl. Hunger und Durst haben mir wohl die Sinne vernebelt.“
Kurze Zeit später stand Manold mit knurrendem Magen, frischer Kleidung und vom Bad noch feuchtem Haar vor Mahilo-Esch, dem herrschenden Lord von Kandalar. Der dürre betagte Mann saß am Ende einer ausladenden, hölzernen Tafel und schob gerade einen Teller mit den Resten eines Ochsenknochens beiseite.
„Zu zäh für meine alten Zähne. Aber wenn du magst?“
Eine Reihe Goldzähne trat hinter spröden Lippen zum Vorschein. Manold hatte verstanden.
„Zu gütig, Mahilo-Esch doch ich habe mir in der Schenke etwas zurückstellen lassen.“
„Wollen wir hoffen, dass es lange haltbar ist. Hast du Neuigkeiten für mich, Wachmann?“
Manold trat von einem Fuß auf den anderen. Von den engen Reitstiefeln waren seine Füße jetzt noch geschwollen. Wie gerne hätte er sich nach einem üppigen Mal auf einer bequemen Liege ausgestreckt, während ein junges Mädchen ihm die verkrampften Waden massierte. Doch der Alte bot ihm keinen Platz an.
„Wir haben Getreide und Vieh eingetrieben.“
„Und?“
„In Gullorway haben wir ein verbotenes Buch entdeckt. Sein Besitzer verlor den Kopf.“
Manold strich sich stolz über den dichten Bart. Scheppernd flog der Teller mit den Essensresten vom Tisch, als Mahilo-Esch ihn mit seinem sehnigen Arm fortwischte, Gift und Galle speiend.
„Hast du nicht was vergessen?“
Die Brust wurde ihm zu eng, als Manolds Herz dagegen zu hämmern begann. Der Alte wusste es. Wie hatte er in der kurzen Zeit …
„Und eintausend Platons.“ Schweißperlen rannen Manold über die Stirn. Sein Hunger war verflogen.
„Die du dir einstecken wolltest!“ Mahilo-Esch war aufgesprungen. Selbst im hohen Alter von fast achtzig Jahren überragte er Manold. „Also überlege dir gut, ob deinem versoffenen Hirn nicht noch etwas Wichtiges entgangen ist.“ Lauernd sah er Manold an.
Fieberhaft dachte dieser nach, was der Alte noch meinen könnte. Plötzlich stand Neschwirr neben seinem Vater, ohne dass Manold ihn hatte hereinkommen hören. Der Sohn, der einmal Mahilo-Eschs Nachfolger sein würde. Flüsternd beugte Neschwirr sich zu seinem Vater herunter, der inzwischen wieder Platz genommen hatte.
„Sag