Alfred Schirokauer

Messalina


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eingeritzt waren.

      Alle Dienerinnen und Elpenor hatten sich an die Wand des Gemaches zurückgezogen. Nur Valeria Messalina, ein unmerkliches Lächeln der Zuversicht um den Mund, und Domina Lepida, mit vor Erwartung verhaltenem Atem, standen bei Ulsis, die in tiefer Versenktheit die Zeichen las.

      Ein lautes Zirpen der Zikade schien die Sklavin endlich zu erwecken. Jetzt erhob sie den Blick und sah Valeria Messalina lange regungslos an.

      »Hüte dich vor der Freundlichkeit deiner Venus,« begann sie endlich murmelnd zu weissagen. »Sie wird dir viel geben, mehr noch nehmen. Was sie dir gibt, macht dich zur Herrin. Was sie dir nimmt, macht dich zur Dienerin. Als Dienerin wirst du das Lager der Ärmsten aller Armen teilen. Als Herrin wirst du den Göttern gleich sein und in Palästen wohnen. Deine Lose sind tiefste Tiefe und höchste Höhe zugleich. An deinem Aufgange herrscht Venus. An deinem Untergange herrscht Mars. In deinem Mittag regiert die Sonne. Gen deine Nacht regiert Saturnus. Ein Leu wird dich zu Höhen tragen. Aber aus einem Gefäß wird ein Wasser fließen, in welchem Saturnus dich fortspült in die Tiefen der Einsamkeit. – Denn deine Sonne ist von einem Skorpion vergiftet.«

      »Ein Leu wird mich zur Höhe tragen?« forschte Valeria Messalina erregt, nachdem Ulsis eine Weile stumm geblieben. »Nennt ihr in deiner Heimat den Löwen nicht ein königliches Tier?«

      »Sein Zeichen ist das Zeichen der Menschen, die auf Thronen sitzen.« antwortete Ulsis in dunkler Andeutung.

      »Sprich klar, Ulsis!« gebot die junge Domina streng. »Man hat mir geweissagt, ich würde Kaiserin sein –«

      Die Äthiopierin unterbrach die Herrin, indem sie ihr die Faust mit den Losen entgegenreckte und auf das zwischen Ringfinger und Zeigefinger ragende Stäbchen deutete.

      »Zwischen dem Gipfel des Saturns und der Wohnung der Sonne schreitet der Löwe,« sagte sie. »Du gelangst aus Tiefen zur Höhe. Mehr vermag ich dir nicht zu künden.«

      Sie erhob sich zu kniender Stellung, neigte dreimal die Stirn auf den glitzernden Mosaikfußboden, dann sammelte sie die Lose auf. Das Kästchen an sich nehmend, verließ sie mit dem Knaben Elpenor wortlos das Gemach.

      »Bist du nun zufrieden, Mutter?« rief Valeria Messalina eifrig.

      »Die Götter mögen deinen Weg zum Palatin geleiten,« antwortete Domina Lepida zwischen Zweifel und Zuversicht.

      »Dann rasch her mit der Lacerna, bevor die zehnte Stunde ausgerufen wird,« forderte fröhlich das Mädchen.

      Die Dienerinnen hüllten sie in den veilchenfarbenen Mantel. Die schöne Römerin war eine wahrhaft fürstliche Erscheinung, als sie die glückbeschwörenden Abschiedsworte ihrer Sklavinnen entgegennahm. Mit munteren Redensarten geleitete Fabulla die junge Herrin bis zum Vestibulum.

      Auf diesem Platze vor dem Hause, den zwei vorspringende Seitenflügel des Gebäudes säumten, harrten die acht Träger mit der Lektika. Dieses Tragbett war überdacht. Ein Baldachin aus Purpurstoff ruhte auf vier dünnen Säulchen aus Zedernholz. Unter den Goldfransen des Tuches hervor quollen Vorhänge aus gelbem Seidendamast, die Fabulla sorgfältig ordnete, nachdem Valeria Messalina sich in halb liegender Stellung aus den Polstern gebettet hatte.

      »Ich lasse dir einen Spalt offen, Herrin, damit du sehen kannst, was auf den Straßen vorgeht,« sagte die Vertraute. Dann zeigte sie auf eine der vielen Statuen, die das Vestibulum schmückten. »Dies dort ist Eros, Domina. Man erzählt, er spiele bei den Gastmahlen des Kaisers eine große Rolle. Nun hat dich Ulsis auch noch vor allzu großer Gunst der Venus gewarnt. Hoffentlich hast du sie recht verstanden. Du bist ein schönes und begehrenswertes Mädchen. Es wird wohl das Beste sein, wenn ich dem Eros nachher einen Arm voll Rosen aus dem Garten bringe, damit er befriedigt ist und nicht von dir ein allzu großes Opfer fordert.«

      »Wie meinst du das?« fragte Valeria Messalina.

      Doch Fabulla hatte den Trägern schon einen Wink gegeben. Mit einem taktmäßig festen Griffe hoben sie die Tragstangen auf die Schultern und marschierten von dannen in einem gleichmäßig kurz stampfenden Schritte, der die Lektika kaum merklich wiegte.

      Das Elternhaus der Valeria Messalina lag auf dem stets von frischen Winden umwehten Esquilin. Um von dort zum Palatin zu gelangen, mußte die Sänfte das enge, winklige Gassengewirr der Subura passieren. Auf steilen Treppen hinab schleppten die acht Sklaven die schwere Lektika, vorsichtig bemüht, das Tragbett in wagerechter Lage zu halten.

      Endlich war wieder ebener Boden erreicht. Und nun ging es eiliger des Weges dahin zwischen den viele Stockwerke hohen Häusern der Subura, in deren erbärmlichen Gelassen die Geringsten Roms hausten. Bemalte Tafeln zeigten die Kaufläden an, in denen die auf den Schildern dargestellten Dinge feilgeboten wurden: hier ein Plakat mit einem mächtigen, von Würsten umrahmten Schinken – dort hatte der Künstler primitiv, aber gut erkennbar einen Kuchen gemalt – an dieser Stelle Gemüse oder gerupfte Hühner – an anderer eine kühn entblößte Frauengestalt, lockendes Wahrzeichen eines Freudenhauses.

      Ein bunt wimmelndes Gedränge wogte in den Gassen. Die Abendkühle lockte ins Freie. Mitten in dem Menschenchaos stauten sich Durstige vor den Schenken, Neugierige umstanden einen Mann, der Tagesneuigkeiten verkündete, um dann heischend einen Tonnapf umherzureichen, in dem es ermunternd von kleinen Münzen rasselte. Kauflustige hörten einem Auktionar zu, der bescheidene Luxusgegenstände und Hausgeräte versteigerte. Eine Blinde klimperte inmitten des Menschenschwalls auf einem dürftigen Saiteninstrumente, ein schmutziger Bube blies ohne Sinn und Melodie dazu auf einer Panflöte. Fast unhörbar verklang diese Bettelmusik in dem rauschenden Atem der Menge.

      Endlich hatten die Träger die Sänfte hindurchgewühlt durch die brodelnde Fülle der Gassenenge. Die breitere, von wohlhabenden Bürgern bewohnte Via nova, die zum Palatin führte, war erreicht. Auf der Höhe des Hügels ragten die kaiserlichen Paläste.

      Vor einem Doppelportikus aus ungeheuern Säulen machten die Sklaven halt. Viele andere Tragbahren, aus denen die vom Kaiser geladenen Gäste eintrafen, hatten sich hier angesammelt. Obwohl noch Tageshelle herrschte, brannten zwischen den Säulen bereits bunte Lampen, Kerzen in silbernen Ständern von riesigen Ausmaßen, mit wohlriechendem Holze genährte Feuerchen auf künstlerisch gegossenen Bronzerosten. Ein Zeichen, daß hier ein Freudenfest großen Stiles gefeiert werden sollte.

      Valeria Messalina hatte die Vorhänge zurückgeschlagen und sog das Bild der Macht und des Glanzes in sich ein. Brannten denn die Freudenfeuer nicht auch ihr zu Ehren?

      War dieser Weg zum Palatin vielleicht der erste Schritt zur Verwirklichung der Weissagung, die vor Wochen die Sibylle geraunt – die vor kaum einer Stunde die losekundige Ulsis bestätigt hatte? ...

      Valeria Messalina versank in einen bunten Traum, wie auf einem Zaubermantel zu ferner Zukunft hochsteigend. Aus diesem Träumen erwachte sie erst, als endlich auch ihre Sänfte sich vorwärts bewegte. Aber das Traummärchen war noch nicht zu Ende – es konnte noch weiter geträumt werden. Der Weg in den Palast führte durch wahre Säulenwälder, in deren Höhen goldstrotzende Kapitäle glänzten. Aus den mit Goldmosaik verkleideten Nischen sahen Hunderte von Marmorgestalten auf den Einzug der Gäste nieder. Eine Wolke von Weihrauch schlug den Ankommenden entgegen, herabwirbelnd von dem gigantischen Altare vor einem machtvollen Tempel mit goldenem Dache. Rings um den Platz woben sich Girlanden von roten und weißen Rosen, ragte blühender Lorbeer, prangten Blumenbeete ohne Zahl.

      Das war ein anderer Anblick, als ihn vorhin die Subura geboten. Dort hatte Valeria Messalina die Falten ihres Mantels ans Gesicht gedrückt, um durch die aus dem seinen Stoffe dringenden Wohlgerüche den Kochgestank zu übertäuben, den die an allen Ecken und Enden sprudelnden Kessel der Garküchen hinaufsandten zu dem Rauche der Kamine. Doch die einfallende Kühle des Abends drückte die aus den unzählbaren Schloten quellenden Schwaden in die schmalen Gassen zwischen den Mietshäusern nieder.

      Wie eng neben Pracht und Herrlichkeit wohnt tiefstes Elend und Not und Schmutz in Rom, dachte Valeria Messalina, als man die Staunende nun dahintrug zwischen Reihen von Prätorianern, vorbei an den prächtig aufgezäunten und ins Gebiß schäumenden Rossen der berittenen kaiserlichen Leibgarde, die ausschließlich aus den