Rikki Marx

Schlüsselzauber


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      »Tante Leo, du bist die Wucht in Tüten! Das muss ich Paula erzählen.« Sie rannte in die Küche und drückte ihrem Vater das Telefon in die Hand. »Hier, deine Schwester. Ich muss weg. – Tschüs, Tante Leo, bis ganz bald!«, rief sie noch, dann war sie auch schon aus der Tür.

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      Zweifel

      I

      ch weiß nicht, ob das so eine gute Idee war.«

      »Es ist an der Zeit. Du weißt das ebenso gut wie ich.«

      »Aber ich hätte gern mehr Zeit für die Vorbereitung.«

      »Hast du doch. Immerhin fünf Tage. Mehr Zeit brauchst du nicht.«

      »Das sagst du so einfach.«

      »Und ich habe recht damit. Es ist gut, wie es gekommen ist. So konntest du es wenigstens nicht mehr länger vor dir herschieben.«

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      Ordnung im Chaos

      A

      m Mittwoch geriet das Zeugnis zur Nebensache, denn für Jule war es der Tag des großen Packens. Nach dem Mittagessen sollte sie ihre Taschen für den Aufenthalt bei Tante Leo packen und anschließend all ihre anderen Sachen in Kartons verstauen, damit die Schränke leichter im Zimmer bewegt werden konnten, wenn das Aufstemmen der Wände erfolgen sollte.

      Kaum eine Stunde später saß die Zehnjährige auf dem Boden ihres Zimmers, umgeben von einem wirren Haufen aus Wäsche, Büchern und allerlei Krimskrams.

      »Ach herrje«, rief Frau Beek, als sie die Tür öffnete, um Jule das Telefon zu geben, »wann ist das denn passiert? Zum Glück hat die Bombe uns verschont.«

      »Ach, Mama, du weißt doch: Nur der Dumme hält Ordnung, das Genie beherrscht das Chaos.« Jule grinste. »Lass mich nur machen. Schließlich will Gepäck für sechs Wochen wohlüberlegt sein.«

      »Na, dann lass ich mich mal überraschen. Einstweilen wird das Genie jedoch am Telefon verlangt. Deine Tante ist dran.«

      Jule sprang auf. »Sie wird doch wohl nicht im letzten Moment einen Rückzieher machen?« Sie riss ihrer Mutter das Telefon aus der Hand. »Hallo, Tante Leo?«

      »Was du immer gleich denkst«, murmelte Frau Beek im Weggehen, »von mir hast du das jedenfalls nicht.«

      »Lieblingsnichte, bist du noch beim Packen?«, fragte Tante Leo.

      »So gut wie«, antwortete Jule und überkreuzte Zeige- und Mittelfinger beim Blick auf ihr geordnetes Chaos.

      »Gut, dann ist es mir noch rechtzeitig eingefallen.«

      »Was denn, Tante Leo?« Zumindest klang es nicht danach, als wollte ihre Tante alles absagen.

      »Dich daran zu erinnern, Schwimmzeug mitzubringen. Bei uns gibt es ’nen tollen See, da ist es beinahe wie am Meer, und da könnten wir ab und an hingehen. Natürlich nur, wenn du willst. Schwimmst du denn gerne?«

      »Ob ich gerne schwimme? Fressen Kühe Gras?«

      »Ich kenn mich mit dem Speisezettel von Kühen jetzt nicht so gut aus, aber zumindest hab ich schon einige gesehen, die Gras gefressen haben.«

      Jule kicherte. Die Ferien würden nicht nur toll, sondern hammermäßig supertoll werden.

      »Jedenfalls hab ich gedacht, ich erinnere dich vorsichtshalber an das Schwimmzeug. Nachher bringst du nur ein Abendkleid mit, was zum Schwimmen doof wäre.«

      »Cool, danke, dann pack ich meinen Badeanzug auf jeden Fall mit ein.« Jule grinste. »Aber das Abendkleid darf ich trotzdem auch mitbringen, oder?«

      »Nur, wenn du auch einen Hut mitbringst. Hier achtet man schon sehr auf die Kleidervorschriften.«

      »Danke, dann bis morgen.«

      »Bis morgen, du verrücktes Kind.«

      »Selber.«

      Jule legte das Telefon auf den Schreibtisch und hüpfte zurück in ihr Chaos. Wie hatte sie auch nur eine Minute glauben können, dass ihre Tante absagen würde? Tante Leo war cool. Musste man vermutlich auch sein, wenn man mit vollem Namen Leokardia hieß.

      ***

      Als Frau Beek Jule Stunden später zum Abendessen holte, war das Chaos noch chaotischer geworden, denn es verteilte sich mittlerweile auch auf Bett, Sessel und Schreibtisch. »Das nehm’ ich mal lieber mit«, sagte sie und fischte das Telefon unter einem Paar grüner Socken und einem Wollpullover hervor, wo es gerade eben noch zu sehen war. »Bist du sicher, dass du rechtzeitig fertig wirst?«

      Jule, die gerade in einem Buch blätterte, sah hoch. »Mama, chill doch mal. Der Koffer ist gepackt, jetzt sind nur noch die Tasche und der Rucksack dran. Was ich mitnehme, will schließlich genau überlegt sein.« Sie klappte das Buch zu und warf es aufs Bett, wo bereits drei Bücher lagen. Dann schnappte sie das nächste aus dem Stapel neben sich und blätterte wieder.

      »Schön und gut«, sagte Frau Beek, »aber der Rest will auch noch eingepackt werden.« Sie deutete auf die Kartons, die noch ungefaltet an der Wand neben dem Fenster lehnten.

      »Ich weiß. Und das geht ja nun wirklich ratzfatz. Kartons auf und Zeugs rein.«

      »Vielleicht leiht Papa dir seine Schaufel.« Frau Beek seufzte und wandte sich ab. »Komm essen.«

      »Wuhu!« Jule warf das Buch zurück auf den Stapel und war im Nu an der Tür. »Ich hab’ Hunger wie ein Bär. Packen macht hungrig.«

      Erneut seufzte Frau Beek und verdrehte die Augen. »Dann mal los zur Raubtierfütterung.«

      ***

      Sooft Frau Beek nach dem Abendessen an Jules Zimmer vorbeikam, legte sie eine Hand auf die Türklinke und lauschte. Doch sie verkniff es sich hineinzusehen und vertraute darauf, dass Jule ihr Versprechen hielt. Um neun Uhr schließlich hielt sie es nicht mehr aus und betrat das Zimmer.

      Jule lag im Schlafanzug auf ihrem Bett und las. Ihr Reisegepäck stand neben der Tür, die Kartons waren unter dem Fenster aufgereiht und allesamt verschlossen. Bis auf das Buch in ihrer Hand lag nichts mehr im Zimmer herum.

      »Wow«, entfuhr es Frau Beek. Sie war nicht sicher, was sie erwartet hatte, aber dieser Anblick überraschte sie.

      »Mama«, Jule setzte sich auf und legte das Buch neben sich, »ich hab’ doch gesagt, ich krieg’ das hin.«

      Ihre Mutter nickte und betrachtete die Kartons, deren Deckel sich bei einigen nicht vollständig schließen ließen. »Lass mich raten: Du hast alles wahllos hineingepackt. Komplett unsortiert.«

      »Klar«, antwortete Jule und grinste. »Es reicht vollkommen, wenn ich es beim Auspacken sortiere.«

      »Das nenne ich effizient arbeiten.« Herr Beek schob sich an seiner Frau vorbei ins Zimmer. »Rechtzeitig fertig und nicht mehr getan als nötig.« Lachend zwinkerte er Jule zu, die zurückzwinkerte. »Dann nehme ich das Gepäck der Dame mal mit in den Korridor und stelle es schon mal an die Tür.«

      »Darf ich denn noch lesen? Es sind doch Ferien und ich kann vor Aufregung doch eh nicht schlafen. Außerdem hätte ich dann ein Buch weniger zu schleppen.«

      Herr Beek hievte das Gepäck hoch und stöhnte. »Du solltest schon noch was hierlassen. Dafür waren doch die Kartons gedacht.«

      Jule kicherte. »Das liegt nur an den Büchern. Wissen wiegt schwer.«

      »Hast du überhaupt welche, die hierbleiben?«,