Irene Dorfner

Leichenschau


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von dieser Frau regelrecht rausgeschmissen. Das würde ein Nachspiel haben, das konnte sie sich nicht gefallen lassen. Wütend ging sie in ihr Büro und dachte nochmals über das nach, was hier vor sich ging. Diese Frau Künstle war hier und durfte an der Besprechung teilnehmen. Frau Krohmer war ebenfalls hier, ohne dass sie davon in Kenntnis gesetzt wurde oder irgendetwas mitbekommen hätte. Und dann noch dieser fremde Mann! Was zum Teufel war hier los? Bislang wurden immer alle Fälle offengelegt und sie konnte ungehindert Einblick nehmen. Diesmal aber nicht! Nicht einen Fetzen Papier diesen Fall betreffend bekam sie bisher in die Finger, obwohl sie sich darum bemühte. Und bei jeder Gelegenheit wurde sie regelrecht ausgesperrt! Und das auch noch von dieser Frau, die sie eben quasi rausgeschmissen hatte – das muss man sich mal vorstellen! Sie als Sekretärin des Chefs wurde von einer Frau, die nicht einmal zur Polizei Mühldorf gehörte, einfach vor die Tür gesetzt! Sie war seit vielen Jahren hier in Mühldorf und war doch allseits beliebt!

      Je länger sie darüber nachdachte, desto wütender wurde sie. Man vertraute ihr nicht. Sie wurde abgewimmelt und auch noch weggeschickt, damit sie auch ja nichts mitbekam. Vor allem deshalb und auch nach dem eben Erlebten nahm sie sich vor, mit aller ihr zustehenden Mitteln herauszufinden, was hier vor sich ging!

      Dass sie eine alte Ratschtante war und beinahe alles weitertrug, war ihr nicht bewusst. Die Schuld lag nicht bei ihr, sondern natürlich bei den anderen!

      „Widmen wir uns wieder dem Fall zu. Ich muss leider bestätigen, dass es sich bei der Toten um eine Verwandte von Ihnen handelt, Herr Krohmer. Die Bluttests waren eindeutig.“

      Sie wartete einen Moment, denn diese Information setzte dem Ehepaar Krohmer gewaltig zu, womit nicht nur sie gerechnet hatten. Beide stöhnten auf, Frau Krohmer weinte. Krohmer nahm die Hand seiner Frau und drückte sie fest, dabei sahen sie sich nur an. Der Schmerz war unerträglich, obwohl sie die Möglichkeit vorhin besprochen hatten. Die Gewissheit, dass die Nichte nicht mehr lebte, zog ihnen den Boden unter den Füßen weg. Alle waren berührt und litten mit dem Chef und seiner Frau mit, aber niemand wusste, was er sagen oder tun sollte.

      Viktoria begann eine Unterhaltung mit den Kollegen, worauf diese sofort ansprangen. Das gab dem Ehepaar Krohmer Zeit, sich zu sammeln. Nachdem Krohmer sicher war, dass seine Frau sich gefasst hatte, gab Krohmer Christine ein Zeichen, fortzufahren.

      „Zur Todesursache kann ich folgendes sagen: Die junge Frau ist durch die Einnahme großer Mengen eines Pflanzengiftes gestorben. Ob sie es freiwillig getrunken hat, oder es ihr eingeflößt wurde, kann ich nicht beurteilen. Sie starb vor drei Tagen, also am Montag, wir schätzen um die Mittagszeit. Genau kann man das nicht mehr festlegen, aber ich bin diesbezüglich mit Dr. Leichnahm einer Meinung.“

      War Silke da bereits auf den Weg nach Mühldorf? Hatte sie es überhaupt vorgehabt? Wo war sie ihrem Mörder begegnet? Die Fragen schossen Frau Krohmer durch den Kopf. Sie musste sich sehr bemühen, sich zu konzentrieren und nicht zusammenzubrechen.

      „Um welches Pflanzengift handelt es sich?“, fragte Werner.

      „Um Paraquat.“

      „Das habe ich noch nie gehört,“ rief Leo.

      „Aber ich kenne Paraquat,“ sagte Hans, der auf einem Bauernhof vor den Toren Mühldorfs aufgewachsen ist und immer noch dort lebt. Allerdings wurden alle Äcker und Wiesen schon vor Jahren verpachtet, da er selbst keinerlei Interesse an der Landwirtschaft hat. Aber er war seit seiner Kindheit immer wieder mit den Arbeiten konfrontiert worden. Es war früher üblich, dass auch die Kinder immer mithalfen. „Das ist ein Pflanzengift, das bis zu den 70-er Jahren immer wieder für Schlagzeilen gesorgt hatte. Ein sehr aggressives Mittel, dass für kurze Zeit bei den mir bekannten Landwirten sehr beliebt war. Allerdings führte dieses Mittel vermehrt zu Vergiftungsfällen, denn es ist völlig geruchlos und sieht aus, als wäre es Cola oder Rotwein. Das Mittel wurde in großen Kanistern gekauft, die einen riesigen Ausguss hatten. Für eine bessere Handhabung wurde das Gift oft in Flaschen umgefüllt. Früher dachte man sich nichts dabei, heute ist man da nicht mehr so unbedarft. Umgefüllt in Flaschen konnte man das Pflanzengift leicht mit einem Getränk verwechseln. Einer unserer Nachbarn hat sich seinerzeit bös vergiftet, als er versehentlich einen Schluck getrunken hatte. Dem ging es damals echt übel. Es hätte nicht viel gefehlt, und er wäre draufgegangen. Glücklicherweise war gerade der Hausarzt vor Ort, der eigentlich die Oma besuchen wollte. Er hat sofort gehandelt und der Nachbar konnte gerettet werden. Allerdings ging das nicht spurlos an ihm vorbei und wenige Jahre drauf ist er an Krebs gestorben. Ich bin immer noch fest davon überzeugt, dass das im Zusammenhang mit dem Paraquat steht.“

      „Was nicht sehr abwegig ist, wenn ich etwas dazu bemerken darf,“ sagte Dr. Leichnahm. „Paraquat wird von der US-Gesundheitsbehörde als mutagen und krebserregend eingestuft, eine Fruchtschädigung ist bei Überdosierung sehr wahrscheinlich. Wenn diese Informationen von dieser Behörde angegeben wird, kann man davon ausgehen, dass das auch stimmt, denn die geben solche Warnungen nicht leichtfertig raus. Das Pflanzengift Paraquat ist auch für die Tierwelt sehr gefährlich. Nachdem Vergiftungsfälle zugenommen haben und Paraquat auch für den Suizid verwendet wurde, hat man damit begonnen, bei der Produktion eine blaue Färbung, einen stechenden Geruch und ein schnell wirkendes Brechmittel beizufügen, wodurch die Vergiftungsfälle schnell zurückgingen. Allerdings wurde die Produktion des Pflanzengiftes nicht weltweit dahingehend umgestellt, was heißt, dass Paraquat immer noch in der ursprünglichen Form zu bekommen ist, was hier unserem Fall zugrunde gelegt werden muss. Wir haben von den genannten Beifügungen keinerlei Rückstände gefunden.“

      „Sie sind sehr gut vorbereitet Dr. Leichnahm, das gefällt mir sehr gut,“ sagte Christine anerkennend.

      „Ich bin gerne umfassend informiert,“ erwiderte er darauf. Er hatte vorhin, während Dr. Künstle auf der Toilette war, nochmals im Internet nachgelesen und mit einem Studienkollegen telefoniert, der bei einem großen deutschen Pharmakonzern angestellt ist.

      „Ich denke, dass von dem Giftzeugs bei einigen Bauern von der ursprünglichen Form noch einige Kanister vorhanden sind,“ sagte Hans. „Ich habe vielleicht sogar selbst noch Reste von diesem Pflanzengift irgendwo im Schuppen rumstehen.“ Er nahm sich vor, sich in nächster Zeit dringend darum zu kümmern. Die Entrümpelung der beiden alten Schuppen schob er schon seit Jahren vor sich her.

      Es entbrannte eine heftige Diskussion über den Einsatz von Pflanzengift in der Landwirtschaft. Einige waren dafür, einige dagegen.

      „Musste sie sehr leiden?“, fragte Frau Krohmer leise, die nicht fassen konnte, dass ihre Nichte durch ein Pflanzengift ums Leben kam.

      „Nein, machen Sie sich keine Gedanken darüber, das Gift wirkt sehr schnell,“ sagte Christine mit einem Blick auf ihren Kollegen, wobei sie hoffte, dass er den Mund hielt. Denn sie und Dr. Leichnahm wussten genau, dass es ein qualvoller und langsamer Tod sein musste. Doktor Leichnahm verstand sofort. Die Hinterbliebenen mussten nicht so genau über den Tod und die damit verbundenen Umstände informiert werden. Das war für seine Begriffe vollkommen überflüssig und würde sowieso nichts mehr ändern.

      „Was ist mit der Schminke?“, fragte Viktoria, denn sie hielt das für eine echt heiße Spur.

      „Hier handelt es sich eindeutig um professionelle Theaterschminke der Marke Stars-Make-U. Dieses Make-up wurde von einem Fachmann aufgelegt, davon sind wir beide überzeugt. Alles war so perfekt abgedeckt und dabei lebensecht gemacht, das bringt ein Laie nicht hin. Seht euch die Fotos an und urteilt selber.“

      Christine legte einen Stapel Fotos auf den Tisch, die nun reihum gereicht und genau betrachtet wurden. Vor allem die Nahaufnahmen fanden großes Interesse.

      „Wie lange braucht man für solch ein Make-up?“

      „Ich kenne mich damit nicht aus,“ sagte Christine, „aber einige Stunden bestimmt. Ich habe das kürzlich in einem Fernsehbericht gesehen. Irgendein Model hat sich für einen besonderen Anlass zu einer alten Frau herrichten lassen. Das hat tatsächlich einen ganzen Tag gedauert.“

      „Wir wissen noch nicht, ob wir den Tod als Mord oder Selbstmord behandeln müssen,“ sagte Werner. Den anderen lag dieselbe Frage auf den Lippen, hatten aber nicht den Mut, sie zu stellen.

      „Mord!“,