ist der Bericht der Spurensicherung?“ Krohmer setzte seine Hoffnung auch in diese Richtung.
„Das kann ebenfalls dauern. Fuchs ist im Urlaub.“ Obwohl vor allem Viktoria den Leiter der Spurensicherung nicht besonders gut leiden konnte und bei jeder Gelegenheit mit ihm in Streit geriet, vermisste sie ihn jetzt besonders. Fuchs war nicht nur sehr gut in seinem Job und äußerst pingelig, sondern arbeitete bei einem Fall wie ein Besessener rund um die Uhr. Dabei waren ihm die Arbeitszeit, das Wetter und auch die äußeren Umstände völlig egal. Krohmer ärgerte sich insgeheim. Er selbst hatte Fuchs dazu gedrängt, endlich Urlaub zu nehmen, da der schon seit über einem Jahr keinen freien Tag mehr hatte und Krohmer deshalb mit München Probleme bekam.
„Machen Sie Druck, Frau Untermaier. Ich schlage vor, wir sehen uns nach dem Mittagessen wieder hier, vielleicht wissen wir dann schon mehr. Das hier bleibt unter uns, verstanden? Kein Wort zu irgendjemand, besonders nicht zu Frau Gutbrod. Ich möchte, dass der Fall bei uns bleibt. Wenn herauskommt, dass die Tote meine Verwandte ist, dann kümmern sich Kollegen darum. Und die sind vielleicht nicht so gründlich wie wir.“
„Das will ich jetzt nicht gehört haben Chef,“ sagte Viktoria. „Die Kollegen machen auch gute Arbeit. Aber ich kann Sie verstehen. Außerdem würde ich den Fall nur sehr ungerne abgeben wollen.“
Leo hatte herausbekommen, wo er Dr. Richard Leichnahm finden konnte: im Kreiskrankenhaus Altötting. Dort angekommen, fragte er sich durch, bis er ihn schließlich fand.
„Herr Schwartz? Was sucht die Kripo hier? Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“ Leo war überrascht, dass er sich an seinen Namen erinnerte.
„Das können Sie durchaus. Haben Sie einen Moment für mich?“
„Setzen wir uns in die Cafeteria. Ich habe Feierabend und wollte eben nach Hause. Auf mich wartet niemand.“
Nachdem sie vor dampfendem Kaffee in der frisch renovierten Cafeteria saßen, legte Leo sofort los.
„Wir bräuchten bezüglich der gestern aufgefundenen Leiche Ihre Hilfe. Wären Sie eventuell bereit, eine pathologische Untersuchung vorzunehmen? Den Schriftkram übernehmen wir.“
„Personalmangel?“
Leo nickte.
„Ich würde sehr gerne wieder in der Pathologie arbeiten, denn das ist mein Steckenpferd. Ich würde spontan zusagen, aber das wird nicht funktionieren. Ich bin in Deutschland als Pathologe nicht zugelassen und darf offiziell diesbezüglich nicht tätig werden.“
Leo war enttäuscht, damit hatte er nicht gerechnet.
„Wenn Sie allerdings einen Pathologen haben, der offiziell eingetragen ist, dann kann ich wiederum offiziell assistieren. Damit wäre das Problem umgangen. Ich bezweifle allerdings, dass Sie jemanden finden, der seinen Kopf für mich hinhält. Denn wenn ich Mist baue, ist derjenige dran, nicht ich.“
Leo musste schmunzeln. Er wüsste tatsächlich jemanden, der dafür in Frage kam: Seine Freundin und frühere Kollegin Christine Künstle, Pathologin in Ulm. Die 62-Jährige ist immer für so etwas zu haben und fackelt nicht lange.
„Ich habe eine Idee. Warten Sie bitte hier, ich muss kurz telefonieren und komme sofort zurück.“
Vor dem Krankenhaus nahm Leo sein Handy, setzte sich auf eine Bank und wartete auf die vertraute Stimme seiner Freundin Christine.
„Wer stört mich?“, meldete sie sich unfreundlich. Leo musste lachen. Er wusste, dass sie es hasste, wenn sie bei der Arbeit gestört wurde.
„Nicht ganz so unfreundlich, junge Frau.“
„Leo?“, rief sie erfreut, als sie seine Stimme erkannte. „Wie schön, dass du dich meldest. Was kann ich für dich tun?“
Er schilderte ihr in knappen Sätzen, um was es ging.
„Würdest du dich bereiterklären, dich als Pathologin einzutragen, damit der österreichische Kollege tätig werden kann?“
Sie fragte bezüglich des österreichischen Pathologen nicht lange nach, denn sie vertraute Leo voll und ganz. Wenn er von diesem Mann überzeugt war, war sie es auch.
„Selbstverständlich bin ich dazu bereit, du kennst mich doch. Du kannst mich in München anmelden. Welchen Tag haben wir heute?“
„Donnerstag. Warum?“
„Was? Schon wieder Donnerstag? Wie schnell die Zeit vergeht. Das Wochenende steht vor der Tür und ich habe noch nichts vor, das kommt mir sehr gelegen. Ich brauche hier noch ungefähr eine Stunde, dann packe ich und bin unterwegs.“
„Du hast mich falsch verstanden, Christine. Ich habe einen Pathologen, du musst nicht persönlich erscheinen. Ich brauche nur deinen Namen und natürlich dein Einverständnis, dass Dr. Leichnahm als dein Assistent in dem vorliegenden Fall arbeiten kann.“
„Denkst du, ich bin blöd? Das habe ich verstanden. Dein Dr. Leichnahm kann meinetwegen in meinem Namen arbeiten. Gegen ein bisschen Hilfe und Unterstützung durch einen fachlichen Rat oder einen Blick in die Unterlagen wirst du doch nichts einzuwenden haben, oder? Es sei denn, du willst mich nicht sehen?“
Sie schien beinahe beleidigt.
„Natürlich will ich dich sehen, keine Frage, aber…“
„Dann verschwende nicht länger meine Zeit. Ich muss meine Arbeit hier noch beenden und die erfordert meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Wir sehen uns später.“
Bevor Leo noch etwas erwidern konnte, hatte sie aufgelegt. Leo war sich sicher, dass sie auf einen weiteren Anruf nicht mehr reagieren würde. Außerdem war er sich sicher, dass es bei einem Blick in die Unterlagen und einem fachlichen Rat von ihrer Seite nicht bleiben würde. Wenn sie erst mal hier war, würde sie sich nicht nur in den ganzen Fall reinknien, sondern ihn gleich an sich reißen. Perfekter könnte es nicht laufen.
„Und? Haben Sie etwas erreichen können?“, fragte Dr. Leichnahm, als Leo wieder zu ihm in die Cafeteria kam.
„Ich habe eine Pathologin gefunden, die
einverstanden ist. Frau Dr. Christine Künstle wird sich für Sie eintragen.“
„Sie scherzen! Frau Dr. Christine Künstle aus Ulm?“ Leo nickte. „Das glaube ich ja nicht! Ich habe viele ihrer Vorträge genossen und habe natürlich in den verschiedenen Fachliteraturen von ihr und über sie gelesen. Das ist ja der Wahnsinn! Schade, dass ich sie nicht persönlich kennenlerne.“
„Das werden Sie. Sie kommt nach Mühldorf und ich fürchte, ich kann sie nicht davon abhalten, Sie in Ihrer Arbeit wie auch immer zu unterstützen.“
„Heute muss mein Glückstag sein! Nicht nur, dass ich das Vergnügen habe, Frau Dr. Künstle persönlich zu treffen, sondern ich habe auch noch das Glück, mit ihr zu arbeiten. Und zu allem Überfluss habe ich erst wieder am nächsten Dienstag Dienst. Das heißt, ich habe jede Menge Zeit. Ich fahre jetzt nach Hause, ziehe mich um, und fahre auf direktem Weg in die Gerichtsmedizin. Hier ist meine Handynummer, halten Sie mich bezüglich Frau Dr. Künstle auf dem Laufenden.“
Dr. Leichnahm grinste von einem Ohr zum anderen und hatte vor Freude knallrote Bäckchen bekommen.
„Was gibt es Neues?“, legte Rudolf Krohmer sofort los, als sie sich um 14.00 Uhr im
Besprechungszimmer trafen. Er hatte darauf verzichtet, seiner Sekretärin Hilde Gutbrod Bescheid zu geben, und alle hatten sich aus dem Automaten vor der Tür Kaffee geholt.
„Ich habe mit den Busfahrern sprechen können,“ begann Werner. „Es ist tatsächlich so, dass sie die Frau gesehen und sie offenbar mehrfach angesprochen haben. Alle nur von ihrem Fahrersitz aus. Somit waren sie mehrere Meter von der Toten entfernt.“
„Keiner hat sich gewundert, dass die Frau den ganzen Tag dort unverändert saß?“
„Nein, offenbar nicht. Vier der Busfahrer kamen mir sehr desinteressiert, beinahe kühl vor. Auch nachdem ich sie davon unterrichtet