Claudia Mathis

Geschichten des Windes


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die Masten kappen!“ Arthur war ganz Feuer und Flamme. „Lies weiter!“

      „…In dieser Zeit hatte ich die erste richtige Gelegenheit, unseren Generalkapitän näher kennenzulernen. Er überwachte die Arbeiten sehr genau und kannte sich in vielen Dingen gut aus. Auch auf unserer späteren Reise, die immerhin fast drei Jahre dauern sollte, bemerkte ich, dass Francis Drake in sämtlichen seefahrerischen Angelegenheiten sehr bewandert war. Er kannte sich außerdem in militärischen und medizinischen Dingen gut aus. So rettete er uns mehrmals das Leben.

      Er hatte ein glänzendes Gedächtnis und eine vorzügliche Beobachtungsgabe. Francis Drake redete viel, auch mit Männern, die keine hohe Position einnahmen. Aber vielleicht sollte ich zuerst sein Äußeres beschreiben. Auf seinem untersetzten Körper mit den kräftigen Gliedern saß ein runder Kopf, den braunes Haar und ein Vollbart schmückten. Seine schönen Augen blickten meist hell und fröhlich daher und suchten stets den Augenkontakt des Gegenübers. Francis Drake benahm sich sehr menschlich, auch gegenüber seinen Gefangenen. Er mochte Musik und malte neu entdeckte Arten von Pflanzen und Tieren gern mit Wasserfarbe nach.

      Aber wie jeder Mensch hatte er neben seinen vielen guten Eigenschaften auch diejenigen, die seinen Mitmenschen nicht gefielen. So war unser Kapitän arrogant und prahlerisch. Außerdem stellte er eine gewisse Wankelmütigkeit bei Freundschaften zur Schau und war sehr anfällig gegenüber der öffentlichen Meinung. Dass er bei dem Beginn dieses großen Abenteuers erst 33 Jahre alt war, zeigte allerdings, welche großen Fähigkeiten und Erfahrungen unser Kapitän aufwies. Ich hörte ihn einmal sagen, dass er bereits mit dreizehn Jahren mit der Schifffahrt begonnen hatte. Er war am Fluss Medway6 im Südosten Englands als Sohn eines puritanischen Schiffskaplans aufgewachsen…“

      „Hast du schon einmal etwas von ihm gehört oder gelesen?“, fragte Arthur unvermittelt.

      „Nein, aber er muss damals sehr bekannt gewesen sein“, antwortete Sean.

      „…Als dann schließlich alles zur Zufriedenheit unseres Generalkapitäns war, konnten wir am 13. Dezember zum zweiten Mal starten. Nun ging es besser voran und wir fuhren an den Kapverdischen Inseln vorbei nach Südamerika…“

      Sean blätterte einige Seiten weiter.

      „Dann beschreibt der Autor die Fahrt über den Atlantischen Ozean. Er schreibt, dass er noch nie so lange ohne Land gefahren war und oft Angst hatte“, erklärte Sean.

      „…In Brasilien sind wir ein Stück den großen Fluss Rio de la Plata hinauf gesegelt, um unsere Vorräte aufzufüllen. Unsere Hauptprobleme bei der Reise stellten sich schnell heraus: das Wetter, die Besorgung von frischem Trinkwasser und das Zusammenhalten der Flotte.

      Auf dem Fluss fanden wir mehrere Felseninseln, auf denen eine große Anzahl von Robben lagerten. Sie waren nicht scheu und wir konnten etliche von ihnen töten. Aus meiner Heimat wusste ich, wie gut ihr Fleisch schmeckt und freute mich sehr, dass wir einige von ihnen als Proviant für unsere Weiterreise verwendeten.

      Wir fuhren weiter nach Südwesten an der Küste entlang. Auf einer unserer Landungen am Festland, um wieder Trinkwasser aufzufüllen, kamen uns eines Tages Eingeborene entgegen.

      Sie waren von großer Anmut, sauber, kräftig gebaut und hatten Federn im Haar. Bis auf einen Lendenschurz waren sie nackt. Sie trugen ihr Haar sehr lang und damit es sie nicht behinderte, war es mit einer Rolle aus Federn der großen Laufvögel hochgesteckt. Die Eingeborenen hatten ihre Körper mit verschiedenen Farben in vielfältigen Mustern bemalt. Einige schmückten ihr Gesicht mit Schwefel oder Ähnlichem, andere malten ihren ganzen Körper schwarz und nur ihr Hals war vorn und hinten frei gelassen. Sie beteten Sonne und Mond an und waren sehr schnell zu Fuß…“

      „Hast du so etwas schon mal gehört? Menschen, die sich den Körper bemalen und mit Federn schmücken! Außergewöhnlich! Lies weiter!“, staunte Arthur.

      „…Wir fuhren immer weiter nach Süden, um die berühmt-berüchtigte Magellanstraße zu durchqueren, die Durchfahrt zum Pazifik, dem größten entdeckten Ozean. Sie war nach dem berühmten Seefahrer Ferdinand Magellan benannt, dem Vorbild unseres Kapitäns. Magellan hatte die erste Weltumseglung absolviert. Bei dieser Passage musste Drake sein ganzes Können zeigen. Neben großen Stürmen und widrigen Winden machten uns die vielen Krümmungen und Engpässe der Wasserstraße stark zu schaffen. Oft dachte ich, dass wir nicht weitersegeln könnten. Das Land auf beiden Seiten war sehr hoch und gebirgig…“

      „Hier beschreibt er noch eine Weile die Schwierigkeiten der Durchfahrt“, erklärte Sean und blätterte weiter.

      „…Kurz vor dem Pazifik zeigten sich unzählige Inseln und weil kein eindeutiger Weg sichtbar war, ruderte unser Kapitän mit ein paar Männern in Booten herum, um die Möglichkeiten einer Durchfahrt zu erkunden. Es war alles sehr nervenaufreibend, aber Drake ermutigte uns immer wieder.

      Endlich erreichten wir den Pazifik und segelten die Westküste Südamerikas hinauf. Und wieder kamen wir in einen großen Sturm. Zu unserem großen Bedauern verloren wir die Marigold und wurden stark nach Süden abgetrieben. Wir entwickelten Todesangst, so dass sich die Mannschaft der Elisabeth entschied, nach England zurückzukehren. Als der Sturm endlich vorbei war, blieb unser Schiff, das Drake in Golden Hind umbenannte, allein zurück. Wir hatten einen Anker verloren und waren entsetzlich erschöpft von den Strapazen…“

      „Die haben Mut! Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das sein muss, auf einem Schiff in einen Sturm zu kommen!“, kommentierte Arthur.

      „…An der Küste von Peru suchten wir einen Platz, um auszuruhen und Lebensmittel sowie frisches Wasser aufzunehmen. Wir waren noch nicht lange vor Anker, als wir in einen gemeinen Hinterhalt gerieten. Die dort lebenden Eingeborenen griffen uns hinterrücks an und verletzten einige Männer von uns, Francis Drake dabei schwer. Unser erster Schiffsarzt wurde sogar getötet. Die Eingeborenen hielten uns für Spanier, die Leute, die sie jahrelang unterdrückt hatten. Deshalb waren sie uns so feindlich gesinnt…“

      Arthur riss die Augen auf. Er war sprachlos.

      „…Unser Kapitän erholte sich zu unser aller Glück wieder und wir konnten weitersegeln. Wir kamen an Valparaiso vorbei. Die Küste war steil und wir suchten ständig nach Nahrungsmitteln und Trinkwasser…“

      „Hier beschreibt er die anstrengende Suche nach den Dingen, die sie so dringend für ihre Weiterreise brauchten. Sie kamen dabei immer wieder in Kontakt mit Eingeborenen. Aber Francis Drake und seine Mannschaft waren ihnen gegenüber sehr misstrauisch. Der Autor beschreibt, dass es eine äußerst strapaziöse Fahrt war und sich die Seeleute ständig neuen Gefahren stellen mussten.“

      Sean übersprang ein paar Seiten.

      „…Bei der Insel Caines gerieten wir in ein starkes Erdbeben, was wir auch auf unserem Schiff extrem spürten. Besonders schlimm aber empfand ich den Kälteeinbruch, der uns bald ereilte. Wir waren nördlich von Guatulco7. Es war gerade Juni, als die Temperaturen plötzlich von großer Hitze in schneidende Kälte umschlugen. Das Fleisch gefror sogleich, nachdem wir es vom Feuer genommen hatten. Die Taue und Takelwerke waren so steif, dass die Arbeit, die sonst drei Männer leisten konnten, nun sechs Männer und nur mit großer Anstrengung bewältigen konnten. Die Mannschaft war enorm niedergeschlagen, aber unser Kapitän ermutigte uns ohne Unterlass und gab uns Hoffnung…“

      „Das muss hart gewesen sein“, sagte Arthur kurz. Er wollte schnell weiter hören.

      „…Als wir vom Land aufbrachen und Richtung offenes Meer segelten, wurde es wärmer…“

      „Weiter geht es um die Überfahrt über den Pazifischen Ozean“, erwähnte Sean. Einige Seiten später las er weiter.

      „…Nach 68 Tagen ohne Land zu sichten kamen wir schließlich zu den vier Gewürzinseln8. Der König einer der Inseln war sehr freundlich zu uns und versorgte uns reichlich mit Lebensmitteln…“

      Wieder blätterte Sean weiter.

      „…Als Nächstes gingen wir vor einer kleinen Insel südlich