Janina Hoffmann

Hinter seinem Rücken


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      Janina Hoffmann

      Hinter seinem Rücken

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       1. Die Einladung

       2. Das Virus

       3. Urlaub am Meer

       4. Missverständnisse

       5. Das Klassentreffen

       6. Deep Ocean

       7. Wahre Gesichter

       Impressum neobooks

      1. Die Einladung

      Wer einmal anfängt zu lügen, kann kaum jemals mehr damit aufhören. Eine Lüge macht die nächste erforderlich, baut sich auf der vorhergehenden auf wie ein Kartenhaus, das irgendwann in sich zusammenfällt. Mein Kartenhaus wäre wegen meiner Lügen fast komplett eingestürzt. Und weil jemand eine Karte aus der untersten Reihe zog, um mich zu zerstören.

      Meine Eltern legten großen Wert auf die Wahrheit. Jedenfalls behaupteten sie das immer. Andererseits war es ihnen auch wichtig, vor anderen gut dazustehen, sich, meine Schwester und mich im besten Licht erscheinen zu lassen. Da war es nur allzu bequem, wenig berauschende Fakten nicht zu erwähnen oder etwas anders darzustellen. Vermutlich habe ich irgendwann angefangen, es meinen Eltern gleichzutun, eine schlechte Klassenarbeit zu verschweigen oder zu behaupten, mir sei meine Armbanduhr, ein teures Geschenk meiner Großeltern zu meiner Konfirmation, gestohlen worden. Dabei hatte ich sie wegen meiner Nachlässigkeit verloren, ich wusste nicht einmal, wo. Später erfand ich für meine Eltern einen erfolgreichen, wohlhabenden Geschäftsmann, der beruflich viel im Ausland unterwegs war, so dass ein persönliches Kennenlernen ihres zukünftigen Schwiegersohns schwierig sei. Denn so stellte ich den nicht existierenden Mann dar: jemand, der es ernst mit mir meinte, der eine gemeinsame Zukunft mit mir plante, der mich heiraten wollte. Oh, es gab schon Männer in meinem Leben und gar nicht wenige, aber nie etwas Festes, weil ich nicht auf der Suche nach etwas Festem war. Meine Eltern hätten meine Art zu leben, hätten sie davon erfahren, nicht im Geringsten toleriert. Denn für sie gab es nur einen einzigen richtigen Weg der Lebensführung: ihren eigenen. Ja, ich gebe es zu: Ich wollte einen guten Eindruck machen, niemanden enttäuschen. Das war nicht nur bei meinen Eltern der Grund, weshalb ich manchmal nicht ganz ehrlich war. Doch mehr noch als meinen Mitmenschen habe ich mir selbst etwas vorgemacht.

      Ich bin Küchenplanerin im großen Küchenstudio Hansen, das sich am Rand der Großstadt befindet, in dessen Vorort ich aufgewachsen bin. Unsere Zielgruppe sind Menschen mit gehobenen Ansprüchen und entsprechenden finanziellen Möglichkeiten. Es kommt hin und wieder vor, dass ich die unangenehme Aufgabe habe, Besucher darauf hinzuweisen, dass sie mit ihrer Preisvorstellung von bis zu zehntausend Euro besser bei der Konkurrenz aufgehoben seien. Das tut mir immer leid, und ich versuche, dabei möglichst einfühlsam zu sein. Ein dumpfes Gefühl habe ich trotzdem jedes Mal. Das ist der einzige Aspekt, der mir an meinem Beruf nicht gefällt.

      Mein Vater ist der Ansicht, dass ich mit meiner Arbeit in dem Küchenstudio weit unter meinen intellektuellen Möglichkeiten geblieben sei. Dabei spielt es für ihn keine Rolle, dass ich immerhin eine dreijährige Ausbildung absolviert habe. Die Beamtenlaufbahn hätte ich seiner Meinung nach einschlagen sollen, wie er einen leitenden Posten in einer Behörde einnehmen. Für meine Mutter ist meine Berufswahl ebenfalls befremdlich. Schließlich ist es so gar nichts Besonderes, mit dem sie sich vor Nachbarn und Bekannten hervortun kann. Noch schlimmer wäre es für sie allerdings gewesen, wenn ich meinen ursprünglichen Berufswunsch, Autoverkäuferin, realisiert hätte.

      Trotz, vielleicht auch wegen, des Unverständnisses meiner Eltern liebe ich meinen Beruf. Ich kann mir für mich keine erfüllendere Tätigkeit vorstellen, wenn auch das Abweisen unpassender Kunden dazugehört. Es gibt nichts Schöneres, als die Vorstellung von einer neuen Küche mittels Menschenkenntnis, intensiver Beratung und genauer Planung Wirklichkeit werden zu lassen und durch hochwertige Möbel und teure Elektrogeräte möglichst noch zu übertreffen. Obwohl es einer der Grundsätze des Küchenstudios Hansen ist, niemals einem Kunden etwas aufzuschwatzen, gelingt es mir doch hin und wieder durch überzeugende Alternativvorschläge, Preisvorstellungen um einige Tausend Euro nach oben zu verschieben und dafür später, wenn der Käufer zum ersten Mal seine nagelneue Küche betritt, in den höchsten Tönen gelobt zu werden.

      Als Kundenberaterin ist es unklug, immer die Wahrheit zu sagen. Möglicherweise hat mich mein Beruf noch darin bestärkt, es auch in meinem Privatleben so zu handhaben. Wenn ich mir die Gegebenheiten vor Ort in der Wohnung oder dem Haus eines Kücheninteressenten ansehe, äußere ich mich noch vor dem Ausmessen positiv über die geschmackvolle Einrichtung außerhalb der bisherigen Küche, ganz egal, ob sie mir tatsächlich gefällt. Das hat sich als der beste Einstieg in die Beratung bewährt. Lob schafft Vertrauen und die Illusion, auf einer Wellenlänge zu sein. Das mag hinterhältig klingen, doch das bin ich nicht. Es macht mich einfach glücklich, wenn sich der Kunde über meinen Zuspruch freut und sich für die Vorschläge, die ich ihm für seine neue Küche unterbreite, offen zeigt, denn nur dann kann sich meine Kreativität voll entfalten. Der Verkauf von Küchen ist ohne Kreativität gar nicht möglich. Außerdem kommt mir dabei mein rhetorisches Talent zugute. Vermutlich würde ich auch eine ganz anständige Radio- oder TV-Moderatorin abgeben. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was meine Eltern zu dieser Berufswahl gesagt hätten.

      Zunächst hatte ich nach meinem Abitur 1990 eine Ausbildung zur Automobilkauffrau angestrebt, obwohl mein Vater der Auffassung war, dass ich mit meinem guten Notendurchschnitt wie meine zwei Jahre ältere Schwester Caroline besser studieren sollte, und mich meine Mutter wiederholt fragte, wie sie Bekannten, die sich nach mir erkundigten, erklären solle, weshalb ich ausgerechnet einen Männerberuf ausüben müsse. Das hielt mich jedoch nicht davon ab, zahlreiche Bewerbungen an alle möglichen Autohäuser in der naheliegenden Großstadt zu schreiben, doch wurde ich nur zu einem einzigen Vorstellungsgespräch eingeladen, in dem mir mein schwitzendes, glatzköpfiges, in einen zu eng sitzenden Anzug gekleidetes Gegenüber meinen zukünftigen Ausbildungsplatz im Büro beschrieb. Als ich daraufhin erwiderte, dass ich vorrangig daran interessiert sei, im Verkaufsraum zu stehen und Kunden beim Kauf eines neuen Autos zu beraten, teilte mir der Mann amüsiert lächelnd mit, dass Autokauf Vertrauenssache sei und niemand einen Wagen von einer Frau kaufen wolle. In seinem Geschäft werde keine Frau im Verkaufsraum stehen, und in anderen Autohäusern sei das genauso. Er wünsche mir für mein Vorhaben dennoch viel Erfolg und vor allem Glück, da ich das am meisten brauchen würde. Abschließend riet er mir nicht ohne ironischen Unterton, es, falls es mit dem Autoverkauf nicht klappen sollte, doch in einem Küchengeschäft zu versuchen.

      Meine anfängliche Verärgerung nach dem Vorstellungsgespräch über den unverschämten Vorschlag des fetten Glatzköpfigen löste sich schnell auf, als ich näher darüber nachdachte. So entschied ich mich für eine Ausbildung als Assistentin für Innenarchitektur an einer Berufsfachschule in der Großstadt. Meine Ferien wollte ich für Praktika nutzen, die zwar vermutlich nicht bezahlt, sich aber gut in meinem Lebenslauf machen würden. Schon meine erste Bewerbung beim Küchenstudio Hansen führte zu einem Praktikumsplatz, und weil es mir in dem Unternehmen so gut gefiel, arbeitete ich dort stundenweise nebenbei während der Ausbildung und verdiente so sogar etwas Geld. Der Besitzer des Küchenstudios, Philipp Hansen,