Janina Hoffmann

Hinter seinem Rücken


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für Sie nun durch die Hochglanzfront auch noch um einige Hundert Euro günstiger wird.“

      „Ach ...?“, zeigte sich Herr Brecht verblüfft.

      „Das soll natürlich nicht heißen, dass ich Ihnen die Küche aufschwatzen will“, stellte ich klar. „Wir können die Fronten natürlich austauschen. Es dauert aber ein paar Wochen, bis die neuen geliefert sind. Da haben Sie sich dann gerade an Ihre neue Küche gewöhnt, fühlen sich darin pudelwohl, und dann gerät wieder alles durcheinander ... Renovierungen sind ja immer mit Schmutz und Umständen verbunden. Aber das müssen Sie selbst wissen. Ich will Ihnen nicht in Ihre Entscheidung hineinreden.“

      Herr Brecht sah seine Frau an. „Also, was meinst du, Mathilde?“

      „Sie ist ja wirklich schön ...“, gab Frau Brecht zu. „Oder gefällt sie dir nicht, Hans-Günther?“

      „Doch, doch“, stimmte Herr Brecht zu. „Aber du wirst ja hauptsächlich darin kochen, backen und was weiß ich nicht alles. Dir muss sie in erster Linie gefallen, Mathilde.“

      Herr Brecht und ich sahen Frau Brecht erwartungsvoll an.

      „Wir behalten die Küche so, wie sie ist“, entschied diese.

      „Sehr schön“, versuchte ich, das Gespräch nun schnell zum Abschluss zu bringen. „Das ist die richtige Entscheidung. Sie werden mit dieser Küche sehr glücklich werden. Das spüre ich. Ich wünsche Ihnen beiden noch einen schönen Abend.“

      Es war 19:02 Uhr, als ich den Wagen vor dem vierstöckigen Haus parkte, in dem sich die Wohnung befand, die ich seit einigen Monaten mit meinem Freund Torben teilte. Beim zu hektischen Aussteigen verdrehte ich mir das Bein, dass es schmerzte. Ich zwang mich, dennoch schnell die Treppe bis in den dritten Stock hinaufzulaufen, und schloss mit zitternden Fingern die Wohnungstür auf. Im Wohnzimmer hörte ich den Fernseher. Gut. Noch in Jacke und Straßenschuhen steckte ich meinen Kopf zur Wohnzimmertür hinein. Torben saß auf dem Sofa und sah sich eine seiner geliebten Tiersendungen an, während ihm seine Katze Miezi auf seinem Schoß Gesellschaft leistete.

      „Bin wieder da“, flüsterte ich und küsste Torben auf den Kopf.

      Er sah lächelnd zu mir hoch und griff nach meinem Arm. „He, schön, dass du endlich zu Hause bist. Soll ich dir das Gulasch aufwärmen?“

      Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich ... muss noch was für die Firma erledigen.“

      Torben sah mich entgeistert an. „Was, jetzt noch?“ Besorgt fuhr er fort: „Du darfst dich nicht so ausnutzen lassen. Das geht doch nicht, dass du ständig so viel arbeitest. Du wirst noch krank davon werden.“

      Ich hatte jetzt keine Zeit für Diskussionen. „Wir sprechen nachher, okay? Wenn ich dein Gulasch genieße.“ Ich gab meinem Freund noch einen flüchtigen Kuss, verließ eilig das Wohnzimmer und verschwand in dem Raum, den ich als Bügel- und Arbeitszimmer sowie als Abstellraum nutzte.

      Während mein Laptop hochfuhr, zog ich hastig meine Jacke aus, warf sie achtlos auf das Sofa, das früher in meiner Wohnung gestanden hatte, und kickte meine Schuhe in eine Ecke. Endlich war es so weit. Es war 19:07 Uhr, als ich mich mit klopfendem Herzen in dem Chat-Room anmeldete. Ich war sieben Minuten zu spät. Black Tiger war bereits online.

      Wonder Woman lässt mich warten, schrieb er. Das ist nicht nett.

      Du wirst es nicht bereuen, dass Du auf mich gewartet hast, lautete meine Antwort.

      Black Tiger: Sag mir, wie Du es wieder gutmachen willst.

      Wonder Woman: Nein. Sag Du mir, wie ich es wieder gutmachen soll.

      Black Tiger: OK. Dann beschreibe mir erst einmal genau, was für Unterwäsche Du heute trägst. Und wage es ja nicht, auch nur ein Detail auszulassen.

      „Das Gulasch schmeckt superlecker!“, lobte ich etwa zwei Stunden später, als ich es mir mit meinem Teller auf dem Schoß neben Torben auf dem Sofa gemütlich gemacht hatte und das Essen gierig in mich hineinschaufelte. Miezi hatte weichen müssen und lag zu Torbens Füßen.

      „Ich meine das, was ich vorhin gesagt habe, ernst, Sandra“, erwiderte mein Freund, ohne auf mein Lob einzugehen. „Du kannst dich nicht ständig so ausnutzen lassen und abends zu Hause weiterarbeiten. Wenn dein Chef nicht mit sich reden lässt, musst du darüber nachdenken, dir eine andere Anstellung zu suchen. Ich mache mir wirklich Sorgen um dich.“

      Ich legte meine Gabel auf den Teller und stellte ihn auf dem Wohnzimmertisch ab. Torben konnte richtig niedlich sein, wenn er sich um mich sorgte. Er hatte eine so viel bessere Frau als mich verdient.

      „Alles Gute zum Jahrestag“, sagte ich und küsste ihn auf den Mund.

      „Du hast es trotz des ganzen Stress bei der Arbeit nicht vergessen, was?“, antwortete er, bemüht, seine Rührung vor mir zu verbergen, und nahm meine Hand.

      „Natürlich nicht. Was denkst du denn von mir?“

      „Warte einen Moment.“ Mein Freund stand auf und kehrte kurz darauf mit einem Strauß roter Rosen zurück. „Für dich.“ Er reichte mir den Strauß. „Alles Gute zum Jahrestag. Ich bin so froh, dich in meinem Leben zu haben.“

      Nun kamen mir fast die Tränen. „Danke“, flüsterte ich. „Die Blumen sind wunderschön.“

      „Ich hole dir eine Vase“, bot Torben an.

      „Da ist übrigens heute ein recht farbenfroher Briefumschlag für dich angekommen“, fuhr er fort, als die Blumen mit Wasser versorgt waren und in einer Vase auf dem Wohnzimmertisch standen. „Liegt im Flur neben dem Telefon.“

      „Den sehe ich mir später an. Jetzt möchte ich erst einmal in Ruhe dein fantastisches Gulasch zu Ende essen.“ Mit diesen Worten nahm ich den Teller vom Wohnzimmertisch und schob mir mit der Gabel einen großen Bissen in den Mund.

      Kennengelernt hatten Torben und ich uns vor etwas mehr als einem Jahr auf einer Party, die ein gemeinsamer Bekannter von uns gegeben hatte, obwohl „Bekannter“ eigentlich zu viel gesagt war, denn ich kannte den Gastgeber ehrlich gesagt kaum. Torben war ich noch nie zuvor begegnet. Ich hatte die Party mit meiner besten Freundin Nathalie Steinbrink besucht, mit der ich zur Schule gegangen war und die nun als Polizistin arbeitete. Wegen ihres Schichtdienstes hatten wir nicht so oft Gelegenheit zu abendlichen Unternehmungen, und obwohl ich grundsätzlich offen für alles war, hätte ich lieber einen Abend mit Nathalie allein im Kino oder in einem Restaurant verbracht als auf einer lauten Party im Gedränge zu stehen und von irgendwelchen Leuten vollgequatscht zu werden, die mich nicht interessierten. Nathalie versuchte gern, mich zu verkuppeln, obwohl sie selbst auch Single war. Dass sie unbedingt einen Mann für mich finden wollte, lag an meinem Fehler, ihr von der Online-Singlebörse zu erzählen, bei der ich zu der Zeit angemeldet war, und von den diversen Verabredungen, die ich seitdem gehabt hatte. Nicht alle waren unterhaltsam gewesen, eine sogar so grauenhaft, dass ich im Restaurant, in dem das Treffen stattgefunden hatte, heimlich durch den Hinterausgang verschwunden war. Doch fand ich es im Nachhinein komisch, davon zu erzählen. Nathalie konnte darüber überhaupt nicht lachen, im Gegenteil, sie hielt es für unverzeihlich leichtsinnig, sich mit wildfremden Männern zu verabreden und ihnen in ihre Wohnung zu folgen, wie ich es zugegeben auch schon mehr als einmal getan hatte. Immer wieder hatte sie mich angefleht, von diesen Abenteuern zu lassen, doch das konnte ich nicht. Es war das Aufregendste, das ich in meinem Leben hatte. Insgeheim reizte mich wohl auch die Gefahr, denn theoretisch konnte jeder, den ich nach Hause begleitete, ein gewalttätiger Irrer sein. Ich hörte auf, Nathalie von meinen Erlebnissen zu berichten, dabei hatte ich es genossen, sie mit jemandem zu teilen. Auch Nathalie sprach mich nicht mehr darauf an. Es war wie eine unsichtbare Wand, die zwischen uns stand, und die uns voneinander entfremdete. Umso mehr freute ich mich, als mich meine beste Freundin nach einigen Wochen fast kompletter Funkstille anrief, um mir vorzuschlagen, sie zum dreißigsten Geburtstag eines Bekannten zu begleiten, der bei ihm zu Hause gefeiert wurde.

      Als mich Nathalie zu der Party abholte, hätte ich sie am liebsten gebeten, stattdessen gemeinsam einen ruhigen Abend bei mir zu verbringen, aber