Janina Hoffmann

Hinter seinem Rücken


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rief ich den Bestellvorgang auf meinem Computerbildschirm auf, während Philipp und Julia hinter mir auf das Ergebnis warteten. Und da stand es schwarz auf weiß: Korpus „Vivaldi“ in Saharabeige, Hochglanz.

      „Ich ...“, setzte ich an, doch mir fehlten angesichts dieses groben Patzers selbst die Worte. Noch nie in meiner bisherigen beruflichen Laufbahn war mir so etwas passiert. „Ich kann mir das ...“

      „Bitte bring das in Ordnung“, fiel mir Philipp ins Wort. „Wir haben schließlich einen Ruf zu verlieren.“

      „Ja, natürlich“, gab ich mich kooperativ. „Ich werde Herrn und Frau Brecht sofort anrufen und um Entschuldigung bitten.“

      „Das wirst du nicht.“ Philipps Gesichtsausdruck war unnachgiebig. „Du wirst dort hinfahren. Jetzt gleich. Es ist mir egal, was du den beiden erzählst, aber du wirst dafür sorgen, dass sie ihre Küche in Hochglanz lieben. Hast du mich verstanden?

      „Ja, natürlich“, lenkte ich ein, da ich wusste, dass mir nichts anders übrigblieb. „Es ist mein Fehler, und ich werde dafür geradestehen.“

      Philipp nickte nur mit ernster Miene, bevor er das Büro verließ. Julia ging ein paar Schritte auf die Tür zu, bevor sie sich noch einmal zu mir umdrehte. „Tut mir leid. Und das gerade heute, wo ihr doch euren Jahrestag feiern wolltet.“

      „Was?“ Für einen Moment lang hatte ich keine Ahnung, wovon meine Kollegin sprach. „Ach so. Ach, ich werde gleich zu Hause anrufen und Torben sagen, dass ich mich verspäte. Dafür hat er sicher Verständnis. Er ist nämlich immer sehr ... verständnisvoll.“ Etwas zögernd fügte ich hinzu: „Sind sie sehr verärgert? Das Ehepaar Brecht, meine ich.“

      „Verärgert nicht“, versuchte mich Julia zu beruhigen. „Nur verwundert, würde ich sagen. Und da ich den Vorgang nicht kannte, konnte ich ...“

      „Ich weiß schon. Das ist ja auch meine Aufgabe, das wieder geradezubiegen“, kam ich ihr entgegen.

      „Tja, ... ich werde dann für heute Feierabend machen. Viel Glück.“ Mit diesen Worten ließ mich Julia allein im Büro zurück.

      Verdammt. Um zum Ehepaar Brecht zu gelangen, musste ich im Feierabendverkehr fast einmal quer durch die ganze Stadt fahren. Eine halbe Stunde Überzeugungsarbeit. Nein, eine Viertelstunde musste dafür reichen. Dann zurück ins Stadtzentrum zu unserer Wohnung. Es würde sehr knapp werden, das bis 19:00 Uhr zu schaffen. Doch ich durfte auf keinen Fall zu spät kommen.

      Bevor ich losfuhr, rief ich von meinem Büroanschluss zu Hause an.

      „Torben Brandt“, meldete sich mein Freund wie ein braver Schuljunge am Telefon.

      Ich hatte ihn schon des Öfteren deswegen geneckt, woraufhin er sich gewöhnlich rechtfertigte, dass ja theoretisch auch jemand anders aus meiner Firma am anderen Ende der Leitung sein könnte und er sich lächerlich machen würde, wenn er sich zum Beispiel mit „Hallo Schatz“, melden würde.

      Heute verkniff ich mir jeglichen Kommentar. „Hallo Schatz. Es tut mir leid, aber ich schaffe es nicht rechtzeitig zum Essen. Iss einfach ohne mich, ja?“

      „Ach was. Ich kann doch auf dich warten. Das ist kein Problem“, bot mein gutmütiger Freund an. „Wann wirst du denn ungefähr hier sein?“

      „Das weiß ich noch nicht. Ich muss hier noch ... ein Problem lösen. Bitte iss einfach ohne mich“, wiederholte ich meinen Vorschlag. Wenn ich nach Hause käme, hätte ich erst einmal Wichtigeres zu tun als zu essen.

      „Na, wenn du meinst“, lenkte Torben ein. „Ich habe Gulasch gemacht. Das schmeckt auch aufgewärmt noch ganz gut. Und anschließend machen wir es uns so richtig gemütlich.“

      „Sicher schmeckt das Gulasch aufgewärmt noch besser“, schmeichelte ich. „Bis später.“ Ich legte auf, ohne ein Abschiedswort meines Freundes abzuwarten.

      Während der Fahrt zur Wohnung Brecht sah ich immer wieder nervös auf die Uhr hinter dem Lenkrad. Fast 18:00 Uhr. Und vor mir fuhren alle im Schneckentempo.

      Um 18:10 Uhr erreichte ich endlich die Straße, in der sich die Wohnung des Ehepaars befand, und parkte, da ich keinen geeigneten Stellplatz fand, vor einer Einfahrt. Es war ja nur für ein paar Minuten. Ich klingelte unten an der Eingangstür des fünfstöckigen Backsteinhauses, und mir wurde ohne Nachfragen geöffnet. Vermutlich hatte Julia meinen Besuch vorhin bereits angekündigt. Etwas außer Atem erreichte ich den dritten Stock. Es gab einen Aufzug, den ich bereits bei meinem ersten Besuch benutzt hatte. Daher war ich der festen Überzeugung, jetzt schneller zu sein, wenn ich die Treppe nahm. Herr und Frau Brecht waren beide etwa Anfang sechzig und erwarteten mich Arm in Arm in ihrer Wohnungstür. Frau Brecht, eine schlanke Frau in Jeans und einem altrosa Pullover, trug ihre braun gefärbten Haare kinnlang, während ihr ebenfalls schlanker und in Jeans und grünes Polohemd gekleideter Mann fast komplett kahl war.

      „Tja“, begann ich aufgesetzt heiter, als ich auf die beiden zuging, „da haben Sie heute eine ziemliche Überraschung erlebt, wie mir berichtet wurde.“ Ich reichte zuerst Frau Brecht und anschließend ihrem Gatten die Hand. „Wenn man nicht alles selbst kontrolliert! Mich hat heute ein Notfalltermin davon abgehalten, bei dem Einbau Ihrer Küche vor Ort zu sein, was ich sehr bedaure. Sonst wäre ich vorhin natürlich bei Ihnen gewesen und hätte Ihnen ... mit Rat und Tat zur Seite gestanden.“ Ich zwang mich, meinen Redeschwall zu unterbrechen. Schließlich hatte ich nur eine Viertelstunde Zeit.

      „Ja, ... wir waren doch leicht verwundert“, erwiderte Herr Brecht etwas lahm, als ich dem Paar in den Flur ihrer Wohnung folgte. „Schließlich hatten Sie uns doch von Hochglanz abgeraten, und nun wurde Hochglanz geliefert.“

      „Ja, da ist etwas bei der Lieferung schiefgelaufen“, erklärte ich. „Wie gesagt: Wenn man nicht alles selbst kontrolliert.“ Ich zeigte auf eine grün-weiß gemusterte Bodenvase, die neben der Garderobe stand und einen bunten Stoffblumenstrauß beinhaltete. „Oh, hatten Sie die beim letzten Mal auch schon, als ich hier war? Die sieht ja entzückend aus. Und gibt dem Flur gleich ein besonderes Flair.“

      „Doch, die haben wir schon länger“, bestätigte Frau Brecht. „Die Vase gehörte meiner Mutter. Die soll auch einiges wert sein.“

      „Das sieht man ihr auf jeden Fall an.“

      Herr und Frau Brecht betraten den großen quadratischen Raum, in dem sich die Küche befand. Ich blieb in der Tür stehen, um den ersten Eindruck in mich aufzunehmen. Der dunkelbraun geflieste Boden und die schlichte, edle Deckenleuchte aus Chrom machten sich wunderbar. Statt des Küchentischs gab es in der Mitte des Raums nun einen modern wirkenden hohen Block mit saharabeiger Hochglanzoberfläche und darum herum vier Hocker, deren Sitzpolster und niedrige Lehnen mit cremefarbenem Kunstleder bezogen waren. Ich hatte dem Ehepaar zur pflaumenfarbenen Polstern geraten, um das Ganze etwas aufzulockern, doch das hatten die beiden abgelehnt, da es zu gewagt sei, aber auch die cremefarbenen Bezüge machten sich in der Küche sehr schön. Zwei der Wände wurden von den beigen Hochglanzküchenfronten eingenommen. Die Arbeitsplatten waren dunkelbraun und in edler Marmoroptik. Die Wände unter den Oberschränken waren mit Kunststoffplatten verkleidet, die mit überdimensionalen Kaffeebohnen und Limettenscheiben bedruckt waren. Die Küche war ein Meisterwerk. Nur dass ich das Ehepaar überredet hatte, Seidenmatt statt Hochglanz zu wählen.

      „Das ist ...“, begann ich. Dann wandte ich mich an Herrn und Frau Brecht. „Aber sagen Sie selbst: Wie gefällt es Ihnen?“

      „Ja ...“, antwortete Herr Brecht. „Ganz gut. Oder, Mathilde?“

      Seine Frau nickte. Dann fügte sie etwas zögernd hinzu: „Aber Sie sagten doch, dass Hochglanz billig aussieht und wir lieber Seidenmatt nehmen sollten.“

      „Da haben Sie mich etwas missverstanden“, behauptete ich, obwohl mich Frau Brecht durchaus richtig verstanden hatte. „Hochglanz kann – ich würde es eher ‚gewöhnlich‘ als ‚billig‘ nennen - wirken, und dieses Risiko wollte ich vermeiden. Aber in Ihrem Fall ... Ich meine: Wow! Sehen Sie sich doch nur dieses Schmuckstück von einer Küche an!“

      Herr und