Janina Hoffmann

Hinter seinem Rücken


Скачать книгу

stammte ursprünglich aus dem Nahen Osten – sie wusste seltsamerweise selbst nicht einmal, aus welchem Land - und war als Kleinkind nach Deutschland gekommen. Über einige Umwege war sie mit acht Jahren von einem deutschen Ehepaar adoptiert worden, das in derselben Wohnsiedlung lebte wie ich mit meiner Familie. Meine beste Freundin hatte keine schöne Kindheit verbracht. Ihre Adoptivmutter war eine gefühlskalte Frau, die ihre Launen an Nathalie ausließ, und ihr Adoptivvater ein schweigsamer Mann, dem alles egal zu sein schien, auch, dass der Vorname seiner Adoptivtochter auf Wunsch seiner Frau geändert wurde. Nathalies ursprünglicher Name war Neyla gewesen. Frau Steinbrink hatte damals, um es milde auszudrücken, nicht sehr positiv reagiert, als sie zufällig erfuhr, dass ihre Adoptivtochter mir dies anvertraut hatte.

      Die Party fand an einem eisigen Februarabend statt, doch Nathalie hatte zu hohen schwarzen Pumps und einer schwarzen Netzstrumpfhose ein knappes kurzärmeliges schwarzes Kleid gewählt, das sie mit ihrer sportlichen Figur sehr gut tragen konnte. Darüber trug sie nur ein grobmaschiges Häkeljäckchen. Nathalie hatte langes, dickes, dunkelbraunes, welliges Haar, um das ich sie beneidete. Sie hatte es kunstvoll hochgesteckt und eine große goldfarbene Spange an ihrem Hinterkopf befestigt. Ihr Mund war dunkelrot geschminkt und ihre großen dunkelbraunen Kulleraugen schwarz umrandet und mit reichlich Wimperntusche betont. Nathalie redete oft davon, dass ihre Nase zu groß sei, und versuchte mit diesen Schminktricks, davon abzulenken. Obwohl ich diesen Schwachpunkt kannte, hätte ich meine beste Freundin, nachdem wir uns zur Begrüßung umarmt hatten, angesichts ihrer Aufmachung fast im Scherz gefragt, ob sie auf Männerfang sei. Ich wusste, dass das gemein war, und so verbiss ich mir den Kommentar, nicht zuletzt, weil ich ihre sichtlich gute Stimmung nicht verderben wollte.

      Ich selbst hatte mir mit meinem Erscheinungsbild weitaus weniger Mühe gegeben. Bis zuletzt hatte ich damit gewartet, mich zurechtzumachen, da mir der Sinn viel mehr nach einem Fernsehabend als nach einer Feier stand. Meine langen schlanken Beine, die ich glücklicherweise von meiner Mutter geerbt hatte, steckten in einer engen verwaschenen Jeans, die ich schon seit Ewigkeiten besaß. Dazu hatte ich einen dünnen roten Pullover mit V-Ausschnitt und schwarze Wildlederstiefel gewählt. Leider hatte ich meiner Mutter auch mein feines hellblondes Haar zu verdanken, das bei feuchtem Wetter dazu neigte, sich zu kräuseln. Damit ließ sich beim besten Willen nicht viel anfangen. Aus irgendwelchen Gründen hatte ich einen längst fälligen Friseurtermin immer wieder aufgeschoben, so dass meine normalerweise kinnlangen Haare nun fast meine Schultern berührten. Es wäre geschmeichelt gewesen, den derzeitigen Zustand auf meinem Kopf als Frisur zu bezeichnen. Ich hatte einen hellen Teint, blaue Augen und einen – im Gegensatz zu meiner kleinen Nase – breiten Mund. Alles in allem fand ich mein Aussehen ganz passabel. Dass ich mich an diesem Abend bis auf eine Make-up-Grundierung, etwas Puder und Wimperntusche nicht geschminkt hatte, lag allerdings daran, dass ich mir von der Party nicht viel versprach und nicht einsah, weshalb ich mich dafür groß zurechtmachen sollte.

      „Du siehst toll aus“, lobte Nathalie mein Erscheinungsbild, und es klang aufrichtig. Ich konnte mir aus ihrem Mund auch keine unehrlichen Worte vorstellen. Trotz ihrer Vergangenheit, über die sie ungern sprach, hatte meine beste Freundin nicht den Glauben an das Gute verloren und war zu allen stets freundlich. Sie war auch Polizistin geworden, um anderen Menschen zu helfen. Für diese unerschütterlich positive Einstellung bewunderte ich Nathalie.

      „Ach was, du siehst toll aus!“, widersprach ich.

      „Na, dann sehen wir eben beide toll aus“, bot sie mir lachend als Kompromiss an.

      „Ist es nicht etwas peinlich, wenn wir bei der Party ohne Geschenk für den Gastgeber auftauchen?“, wagte ich doch noch einen Versuch, den Abend, statt auszugehen, vor dem Fernseher zu verbringen.

      „Mach dir keine Sorgen, ich habe etwas besorgt“, erwiderte Nathalie unbeschwert. „Das wird bestimmt gut ankommen. Ich verrate dir nicht, was es ist, ja? Lass dich einfach überraschen.“

      „Na gut“, gab ich mich geschlagen, zog meine Winterjacke an und nahm Handtasche und Schlüssel.

      Wir erreichten das Haus, in dem die Geburtstagsfeier stattfinden sollte, mit Nathalies Kleinwagen. Ich wunderte mich jedes Mal, dass sie in egal welchen Schuhen fahren konnte. Ich nahm, wenn ich elegante Schuhe trug, zum Fahren immer ein Paar Turnschuhe mit.

      Nach etwa einer Dreiviertelstunde hielten wir vor einem Einfamilienhaus, das in einem Wohngebiet am Stadtrand lag.

      „Hat der mit dreißig schon ein eigenes Haus?“, fragte ich beeindruckt, als wir ausstiegen.

      „Der heißt Max“, erklärte Nathalie freundlich. „Du solltest dir besser den Namen unseres Gastgebers merken. Und es ist das Haus seiner Eltern.“

      „Er ... Max wohnt mit dreißig noch zu Hause?“, erkundigte ich mich. Ich wusste über diesen Max so gut wie gar nichts, war ihm bisher höchstens dreimal begegnet.

      „Ja ...“, gab Nathalie zögernd zu und ging mit dem kleinen, in buntes Papier eingewickelten Geburtstagsgeschenk in der Hand durch die niedrige Gartenpforte. „Ist eine längere Geschichte.“

      „OK, ich kann darauf verzichten. Sehen wir lieber zu, dass wir ins Warme kommen.“

      Auf unser Klingeln wurde sofort geöffnet, und vor uns stand Max, ein etwas übergewichtiger Mann mit sehr kurzen blonden Haaren und Brille in einem kurzärmeligen, hellblauen Oberhemd, das eindeutig zu eng saß, dunkelblauer Jeans und ... Pantoffeln, wie ich erstaunt feststellte, als ich automatisch an ihm heruntersah.

      „Hallo Max!“, rief Nathalie erfreut, umarmte ihn und strich ihm über das pelzartige Kopfhaar. Eine seltsam vertraute Geste, wie ich fand, doch Max ließ sie sich gern gefallen. „Alles, alles Gute zum Geburtstag! Dein Geschenk bekommst du sofort, nur lass uns bitte erst ins Warme.“

      „Ja, natürlich, kommt doch rein“, forderte uns das Geburtstagskind auf und trat einen Schritt zur Seite, um uns in den Flur zu lassen, an dessen Wände mehrere Geweihe hingen.

      „Auch von mir herzlichen Glückwunsch“, sagte ich ungewohnt steif und gab Max die Hand.

      Er hatte breite Hände und einen festen Händedruck. „Willst du deine Jacke ausziehen?“, bot er mir an.

      „Ja, gern.“

      Max nahm mir meine Winterjacke ab und versuchte, sie noch an der bereits gut gefüllten Garderobe unterzubringen, was ihm schließlich gelang. „Die Feier findet im Wohnzimmer statt“, teilte uns unser Gastgeber mit. „Also, eigentlich sind es zwei Wohnzimmer mit einer mobilen Trennwand. Werdet ihr gleich sehen.“

      Wir folgten ihm durch eine offen stehende Tür in ein beachtlich großes Zimmer, aus dem angeregte Unterhaltungen drangen.

      „Wir haben die Musik noch nicht angemacht“, erklärte uns Max, „damit wir die Klingel hören. Aber demnächst, wenn alle da sind, geht die Party richtig los.“

      Ich sah mich um. Etwa zwanzig Personen standen auf einem Holzdielenboden in kleinen Gruppen in dem hell tapezierten Raum, der zu unserer Rechten durch eine hellbraune, faltbare Kunststofftrennwand geteilt werden konnte. Einige Gäste hielten bei unserer Ankunft die Hand hoch oder riefen uns eine Begrüßung zu, andere nahmen von uns überhaupt keine Notiz. Mir kamen auch nur wenige Gesichter bekannt vor.

      An der Wand rechts neben der Tür stand ein breiter Schrank aus Kiefernholz mit Schnitzereien in den Fronten, die Jagdszenen nachempfunden waren. Einen ähnlichen, etwas schmaleren Schrank gab es ein Stück weiter an derselben Wand im zweiten Wohnzimmer. Vor den Schränken lagen zusammengerollte große Teppiche, die vermutlich angesichts der vielen Gäste in Straßenschuhen geschont werden sollten. Die Wand links von der Tür wurde von einem mit hellblauem Stoff bezogenen Sofa eingenommen. Davor standen zwei dazupassende Sessel. Auf der gegenüberliegenden Seite des Raums gab es eine mit braunem Stoff bezogene, aber ansonsten identisch aussehende Sitzgruppe, nur war dort zusätzlich noch ein weiteres, kleineres Sofa vorhanden. Was für eine eintönige Möblierung. Ich hätte die Raumteile so eingerichtet, dass sie einen interessanten Kontrast zueinander gebildet hätten. Die beiden Tische, die sicher ursprünglich zwischen den Sofas und Sesseln gestanden hatten, waren nebeneinander an die Wand gegenüber der Tür