Janina Hoffmann

Hinter seinem Rücken


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Verwendung hatten. Unter anderem beherbergte es die zwar schicke, aber schon etwas durchgesessene weinrot karierte Sitzgarnitur aus meinem ehemaligen Wohnzimmer, da Torbens schwarze Ledermöbel neuer waren und edler aussahen. Außerdem stand hier mein ehemaliger Küchentisch, auf dem ich an meinem Laptop im Internet surfte, mit einem Stuhl. Die anderen drei Stühle hatte ich in den Keller gestellt. Ich hatte mich von keinem meiner geliebten und mir vertrauten Möbelstücke trennen wollen, da ich nicht sicher war, ob und wie lange das Zusammenleben von Torben und mir funktionieren würde.

      „Ich gratuliere euch von Herzen“, sprach Nathalie weiter, als sie alle Räume bestaunt hatte. Es war typisch für sie, dass sie wie jetzt neidlos ihre Begeisterung zeigte, obwohl sie selbst in einer günstigen, dafür aber sehr hellhörigen Altbauwohnung lebte, in der ich stets das Gefühl hatte, kein Wort sagen zu können, ohne dass die Nachbarn es hörten. Umgekehrt fand ich die Geräusche aus den umliegenden Wohnungen ebenfalls sehr störend, doch Nathalie war mit ihrer Unterkunft zufrieden und dachte anscheinend nicht einmal an die Möglichkeit eines Umzugs. „Wirklich, Sandra, es ist so schön, dass du endlich den Mann fürs Leben gefunden hast. Was wohnen denn noch so für Leute im Haus?“

      „Ach, keine Ahnung. Hier ist alles ziemlich anonym wie überall in der Großstadt. Ein paar Gesichter kommen mir inzwischen bekannt vor, wenn mir Leute im Treppenhaus begegnen, aber die Namen kenne ich nicht.“ Lachend fügte ich hinzu: „Jedenfalls muss man noch rüstig sein, wenn man hier wohnt. Das Haus hat nämlich keinen Fahrstuhl, wie du sicher schon gemerkt hast. Wahrscheinlich ist der Architekt, der es entworfen hat, Fitnessfanatiker.“

      „Oder Sadist“, ergänzte Nathalie mit ernstem Gesicht.

      Ich vermutete, dass das als Scherz gemeint war, war mir aber nicht sicher und schlug daher, statt etwas darauf zu erwidern, einen gemeinsamen Kaffee in der Küche vor. Dabei ging mir durch den Kopf, dass meine beste Freundin und ich uns auseinandergelebt hatten und offensichtlich nicht einmal mehr denselben Humor teilten. Aufgrund ihrer Schichtarbeit und ihrer häufigen Überstunden sah ich Nathalie nach wie vor selten, seltener als andere Freundinnen, die mir nicht so viel bedeuteten und denen ich längst nicht so viel anvertraute wie Nathalie. Trotzdem wusste Nathalie jetzt nicht einmal etwas von dem Hautausschlag, der mir weiterhin zu schaffen machte, wenn die wunden Stellen aufgrund der von Dr. Kandell verordneten Salbe auch zurückgegangen waren. Als Nathalie und ich es vor einigen Monaten endlich einmal wieder geschafft hatten, uns zum Essen zu verabreden, hatte ich ihr erzählt, dass Torben und ich nun ein Paar waren. Nathalie hatte sich aufrichtig für mich gefreut. Etwas anderes hatte ich von ihr auch nicht erwartet. „Dann musst du dich jetzt ja nicht mehr in dieser Online-Singlebörse herumtreiben“, hatte meine beste Freundin gemeint. Es hatte belanglos klingen sollen, doch ich hatte gespürt, dass Nathalie tatsächlich Bedenken hatte, ich könnte mich weiterhin mit anderen Männern treffen.

      „Ach was.“ Ich hatte den Kopf geschüttelt, als wäre der Gedanke völlig abwegig. „Diese Zeiten sind vorbei.“

      Das war nur die halbe Wahrheit. Es stimmte, dass ich nicht mehr an der Online-Singlebörse teilnahm, ich hatte mein Konto dort sogar gelöscht. Aber das lag daran, dass ich den viel interessanteren Chat-Room „Dirty Flirty“ entdeckt hatte, in dem ich seit einigen Wochen aktiv war, wann immer ich die Zeit dazu hatte. Die Teilnehmer benutzten alle Nicknames und symbolische Profilbilder. Ich hatte mich für eine Frauenhand mit langen, rot lackierten Fingernägeln, die einen ebenso roten Apfel hielt, entschieden. Es war sehr aufregend, mich mit Männern über intime Details zu unterhalten, ohne ihre wahre Identität zu kennen. Zu persönlichen Treffen war es noch nicht gekommen, weil mir die Chats bisher ausgereicht hatten. Doch konnte ich nicht vollkommen ausschließen, dass sich in Zukunft etwas daran ändern würde. Black Tiger, dem ich einige Monate später in dem Chat-Room begegnen sollte und dessen Profilbild den Kopf einer schwarzen Raubkatze zeigte, war zum Beispiel ein Kandidat, bei dem ich nicht Nein sagen würde, sollte er mehr als eine Online-Bekanntschaft wollen.

      „Noch Nachschlag?“, holte mich Torben in die Gegenwart zurück.

      Ich blickte auf meinen leeren Teller. „Nein, danke. Ich bin vollkommen satt. Aber das Gulasch war wie gesagt köstlich.“

      Zuvorkommend wie er war, nahm mir mein Freund den Teller ab, um ihn in die Küche zu bringen. Kurz darauf kehrte er mit einem Umschlag in der Hand in das Wohnzimmer zurück. „Hier.“ Er reichte mir den Brief. „Da stehen bestimmt gute Neuigkeiten drin, bei der farbenfrohen Aufmachung.“

      Ich sah mir den Umschlag an, der mit lauter bunten Blumenaufklebern übersät war. Mein Name und meine Anschrift waren in ordentlicher Handschrift auf die einzig freie Fläche geschrieben worden. Der Brief war frankiert, und als Absender war eine Postfachadresse ohne Namen angegeben. Auf einmal hatte ich ein beklemmendes Gefühl. Wenn nun ein ehemaliger Typ aus der Online-Singlebörse ... Aber die kannten ja nicht meine neue Adresse. Ich blickte etwas unsicher zu Torben, der auf einem Sessel Platz genommen hatte, Miezi auf dem Schoß hielt und mich erwartungsvoll ansah. Entschlossen riss ich den Umschlag auf und faltete den weißen Papierbogen auseinander, der sich darin befand.

      Der Abschlussjahrgang von 1990 gibt sich die Ehre!!!,

      lautete die große, fett gedruckte, am Computer geschriebene Überschrift.

      Ich atmete erleichtert aus. Das erste Abitreffen nach fünfzehn Jahren. Das hatte ich ganz vergessen. Dabei gehörte Nathalie zum Organisationskomitee. Sie war so herzensgut, ihre knappe Freizeit dafür zu opfern, damit ihre ehemaligen Mitschüler eine gelungene Jubiläumsfeier erlebten. Mein Herz begann aus mir unerklärlichen Gründen, schneller zu klopfen, als ich weiterlas.

       Liebe Leute,

       haltet Euch unbedingt Samstag, den 17 . September 2005 frei. Und wenn Ihr an diesem Tag schon etwas eingetragen habt, streicht es. Denn nichts geht über unsere ABIFEIER!!! Wir starten round about 17:00 Uhr mit lockerem Geplauder, zu späterer Stunde geht‛s weiter mit Essen und Tanz. Ach ja, Getränke gibt es natürlich auch - sogar für die Alkoholiker unter Euch wird genügend da sein. Ihr dürft eine Begleitung mitbringen (bitte nicht mehr als eine Person, also lasst Eure Großfamilie zu Hause, falls Ihr inzwischen eine habt). Und keine Angst: Wenn Ihr allein zu unserer geilen Party kommt, werden wir KEINE blöden Fragen stellen – VERSPROCHEN!!!

      Ich schüttelte verständnislos den Kopf. Wer hatte sich nur diesen dämlichen Einladungstext ausgedacht. Nathalie hatte damit sicher nichts zu tun. Ich hatte mich nicht sonderlich für das Abitreffen und dessen Vorbereitungen interessiert und mich daher nicht bei Nathalie erkundigt, wer die Feier zusammen mit ihr organisierte. Mit wenig Begeisterung überflog ich den Rest.

       Zum Schluss noch das Wichtigste: DIE LOCATION!!! Nur so viel: Unsere geile Party findet bei demjenigen aus unserem Jahrgang statt, der es mit Abstand von uns allen am weitesten gebracht hat UND DER DIE GANZE FEIER AUS EIGENER TASCHE BEZAHLT!!! Wer der edle Spender ist, wird an dieser Stelle noch nicht verraten, nur seine Adresse. Merkt sie Euch gut.

      Es folgte eine Anschrift in der Großstadt, die mir nichts sagte.

       Wer absolut nicht teilnehmen kann, schickt eine E-Mail an die untenstehende Adresse, ansonsten zählen wir auf Euch! Und seid sicher: Wir werden KEINE Ausrede akzeptieren!

       Bis zum 17 . September in alter Frische!

       Euer Organisationsteam (Autogramme gibt‛s auf der Feier)

      „Alles in Ordnung?“, fragte Torben mit besorgter Stimme. „Du wirkst wenig erfreut.“

      Ich fühlte mich gezwungen, ihm den Briefbogen zu reichen, damit er selbst lesen konnte, was darauf stand.

      „Das ist doch lustig“, fand mein Freund amüsiert. „Das wird bestimmt eine gelungene Feier.“

      „Ja“, gab ich ernst zurück. „Aber ohne mich.“

      „Was?“ Torben sah mich verwundert an. „Wieso willst du denn nicht hingehen? Ist nicht auch Nathalie im Organisationsteam? Das kannst du ihr doch nicht antun.“

      Torben hatte