diesem schönen, klaren Abend vor den hohen Fenstern und dem glitzernden Hintergrund der Megacity abspielte und die Aufmerksamkeit des Alten völlig gefangen nahm, war das erste von vier Ereignissen, der erste Schritt zu einem umfangreichen Quadryptichon. Es war auch für ihn, der so manches erlebt und angezettelt hatte, etwas Neues, etwas Ungewöhnliches, eine Herausforderungen. Zum Auftakt hatte er sich die Kunst des Fesselns, die bondage art, vorgenommen. Seine ungeteilte Aufmerksamkeit galt in diesen Momenten einem bondage artist, einem berühmten Meister, der sein Handwerk verstand und für seine ungewöhnliche Kunst viel Geld verlangte und auch erhielt. Der kleine, glatzköpfige, fette Mann in einem dezenten, braunen Yukata, einer Art Morgenrock, war dabei, eine junge Frau kunstvoll zu verschnüren. Sie lag vor ihm auf einer Tatamimatte und er umwickelte ihren nackten Leib sorgsam mit Seilen aus Reisstroh, die er ineinander verschlang und miteinander verknotete. Er knüpfte und drapierte die dunklen Seile so gekonnt, dass sie ein kunstvolles Muster auf der rosa Haut des Mädchens bildeten, dunkle Linien und regelmäßige, helle Flächen. Diese Flächen wölbten sich, weil die Seile tief in das weiche Fleisch einschnitten. Die üppigen Brüste quetschten sich durch die Knoten. Der Bauch wurde vertikal durch ein dünnes Seil zwischen den Beinen, einem Stringtanga gleich, in zwei Hälften geteilt, die in ihrer Symmetrie den Pobacken entsprachen. Die Arme und Beine des Mädchens waren grotesk nach hinten verrenkt, der Kopf weit in den Nacken gebeugt, das lange, blonde Haar zu einem Zopf geflochten, der wie ein Tau mit den Hand- und Fußfesseln verbunden war. Die Frau sah aus wie eine Puppe, der man gewaltsam die Glieder aus den Scharnieren gerissen und verdreht hatte. In ihrem Mund steckte zudem ein roter Slip und erlaubte ihr, neben mühsamem Atmen, nur noch leises Stöhnen und Keuchen. Sie litt ganz offensichtlich an den Einschnürungen, den Verrenkungen, an der unnatürlichen Lage ihrer Gliedmaßen, dem gefesselten Zopf und dem Knebel in ihrem Rachen. Das Leid und den Schmerz konnte man in ihren Augen erkennen, aber alles was geschah, geschah im gegenseitigen Einverständnis. Das Mädchen ließ die Tortur mit sich geschehen und unterdrückte seine Pein, so gut es ging, denn das Honorar für die Qual war hoch, sehr hoch und sie hatte genau gewusst, auf was sie sich einließ. Bei der Agentur, die den Auftritt vermittelte, hatte man ihr alles genau und in allen Einzelheiten erklärt. Man hatte sich sogar besondere Mühe gegeben, damit sie, die Ausländerin, auch ja alles verstand und sie musste dies extra mit einer weiteren Unterschrift in dem Vertrag bestätigen. Sie war ausgewählt worden, weil sie alle Anforderungen erfüllte. Sie war hübsch, groß, schlank, mit ausgeprägten Kurven, einer rosigen Haut, einem angenehmen, wenn auch etwas langweiligem Gesicht, das aber, weil sie hier Exotin war, kein Problem darstellte. Sie besaß sehr lange blonde Haare und diese waren ihr wichtigstes Kapital, mit diesem Pfund verstand sie zu wuchern, Sie war ein Typ von Frau, den es in diesem Land nicht gab und die schon deswegen Aufmerksamkeit erregte und Begehrlichkeit entfachte.
Der bondage artist hatte seine Arbeit fast beendet, nun brauchte er die Hilfe der vierten Person, des Fotografen. Dieser, ein faltenreicher, älterer Mann in tadellosem, dunklem Anzug mit Krawatte und Seidenhemd, hatte jede Phase der Fesselung penibel festgehalten: aus der Ferne, aus der Nähe, doch immer distanziert und zurückhaltend, selbst wenn er nahe an das Objekt heranrückte. Der Mann fotografierte so, wie er es gelernt hatte, so wie man in der dicht besiedelten Enge dieses Landes leben und arbeiten musste, distanziert und zurückhaltend. Er unterbrach seine Arbeit und half dem Fesselungskünstler das Mädchenpaket aufzuhängen, den Bauch und das Gesicht nach unten, den Rücken mit den verrenkten Gliedmaße nach oben. Es war kein Seil, kein Strick aus Reisstroh, an dem sie hing, sondern ein Gummiband, das aus mehreren dicken Strängen geflochtenen an einem starken Haken in der Decke befestigt war. Die Arbeit des bondage artist war vorerst beendet und der Fotograf setzte seine Arbeit an dem lebenden, hängenden Kunstwerk fort. Weitere Bilder entstanden, aus jeder denkbaren Perspektive, aus jeder Richtung, en gros und en detail: den verschnürten Leib, die feuchten, verkrampften Hände, die verrenkten Füße, die straff gezerrten Haare, die direkt mit den Füssen verbunden waren, den roten Textilballen in dem grell rot geschminkten Mund, die weit aufgerissenen, angstvollen Augen, die grotesk zugespitzten Brüste mit den steil aufgerichteten Warzen zwischen den Seilen und Knoten, den blonden Flaum um die tief eingekerbte Scham, die Symmetrie von künstlich geteiltem Bauch und natürlich geteiltem Hinterteil. Nachdem er dieses Paket des Schmerzes und der Lust zu genüge in unzähligen bits und bytes festgehalten hatte, nahm der Fotograf die Speicherkarte aus der Kamera, ging zu einem Laptop, der auf einem kleinen Tischchen etwas abseits stand und übertrug die Daten. Es dauerte, bis der eine Speicher geleert und der andere gefüllt war und es dauerte noch länger, bis die Dateien im Internet nach einer Reise um die halbe Welt bei dem Empfänger ankamen, der sie schon erwartete.
Der digital artist, der vor seinem Computer saß und wartete, sah auf die Uhr. Es würde bald hell werden. An sich war es Zeit, schlafen zu gehen, es war aber auch die Zeit, zu der die ersten Daten aus dem fernen Osten eintreffen würden. Er war sehr neugierig und wollte die ersten Bilder noch unbedingt sichten, bevor er an diesem langen Arbeitstag Schluss machte. Er streckte die Arme seitlich aus, verschränkte sie dann hinter dem Kopf und dreht den Oberkörper hin und her. Anschließend waren ein paar Übungen zur Dehnung und Lockerung der verkrampften Finger an der Reihe. Der Computer surrte leise, eine Melodie erklang, die Dropbox wurde geöffnet, doch noch war nichts eingetroffen. Der digital aritst stand auf und griff nach der Flasche, die in Reichweite auf einem Bord über dem Computer deponiert war. Ein tiefer Schluck war die beste Medizin gegen die aufkommende Müdigkeit, eine sichere Droge, um die schwindende Konzentration wieder herzustellen, ein probates Mittel, um die Arbeit mit neuem Elan fortzusetzen. Whisky war besser als Kaffee. Er trank immer Whisky, immer direkt aus der Flasche, immer billiges Gesöff aus dem Supermarkt. Noch ein Schluck, dann schloss er die brennenden Augen, die lange auf den Monitor gestarrt hatten. Hinter ihm lag harte Arbeit, aber harte Arbeit war er gewohnt. Er war gefragt und hatte Erfolg, weil er gut war, ein Meister der Bildbearbeitung, einer, der aus dem Rohmaterial digitaler Aufnahmen, anspruchsvolle Bilder machte, einer, der mit Hilfe des Computers und der besten Software, die es gab, die finalen Kunstwerke schuf. Diese Werke waren etwas Besonderes, Synthesen aus einzelnen Fotografien, Zusammenfassungen von zeitlichen Abläufen, komplexe Kompositionen. Er stellte regelmäßig Beispiele seiner Arbeit in das Internet, auf seine Homepage, in spezielle Kunstforen. Dadurch wurde er bekannt, dadurch bekam er neue Kunden und so erhielt er auch diesen seltsamen Auftrag. Den Auftraggeber kannte er nicht, nur das Pseudonym, das in den e-mails verwendet wurde, mit denen er sich gemeldet hatte. Die Recherchen des digital artists führten ins Leere. Er sollte Bilder für ein Projekt „bondage art“ schaffen, die vergängliche Kunst der Fesselung mit ihrer eigenartigen Ästhetik in einen fassbaren Zustand, in beständige Bilder überführen. Der Auftraggeber, dessen Mails immer sehr kurz und in schlechtem Englisch abgefasst waren, erwartete Drucke von höchster Qualität und Güte und dafür war er war bereit sehr gut zu bezahlen. Um seine Seriosität zu unterstreichen, hatte er, nachdem sie sich geeinigt hatten, ihm bereits einen ansehnlichen Vorschuss überwiesen und er hatte Folgeaufträge angekündigt, wenn er mit den Arbeiten zufriedn wäre. Den digital artist erwartete gutes Geld für harte Arbeit, doch jetzt wartete er immer noch auf die ersten Bilder, die endlich eintrafen.
Dieser Auftraggeber und Mäzen hatte die Zeit der Fesselung des Mädchens fast unbeweglich auf seinem niedrigen Sofa verbracht. Nun stand er auf und ging langsam zu dem lebenden, hängenden Packwerk, umrundete es mehrmals, betrachtete es aus verschiedenen Positionen, prüfte hier einen Knoten, strich dort über ein Stück der heraus gepressten Haut, fuhr die ganze Länge der blonden Haare ab, prüfte die Festigkeit einer der aufgerichteten Brustwarzen und roch sogar an einigen delikaten Stellen. Dann strich er sich über das Kinn und nickte. Das Werk schien zu seiner Zufriedenheit geraten zu sein, er hatte nichts auszusetzen, nichts zu bemängeln und gab dem Paket zum Schluss einen sanften Stoß, so dass es leicht hin und her schwankte. Mit kurzen, knarrenden Worten bedeutete er dem Fotografen, auch diese Bewegungen festzuhalten, was dieser umgehend tat.
Aber ganz zufrieden war der Alte doch nicht. Er ging nicht zu seinem Sofa zurück, sondern verharrte und starrte auf die verschnürte Frau, die gleichmäßig, gemächlich hin und her schwang, wie der Pendel einer altertümlichen Standuhr. Kaum kam das Pendel fast zur Ruhe, gab er ihm einen neuen Stoß und verursachte neue Ausschläge, immer ein wenig heftigere als zuvor. Wenn das Mädchen dicht bei dem Alten vorbei schwebte, schaute sie ihn jedes Mal hilfesuchend an. Ganz offensichtlich hatte sie genug von diesem Spiel und wünschte sich, dass ihre Auftritt nun beendet werden sollte. Es war doch