Sarah Glicker

You belong to me


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      „Wirst du es ihr sagen?“, fragt er mich schließlich.

      Seitdem sein Vater bei mir war und mich gebeten hat, auf sie aufzupassen, habe ich über diese Frage nachgedacht. Ich bin sämtliche Szenarien durchgegangen, die passieren können. Allerdings bin ich immer wieder zu dem gleichen Ergebnis gekommen.

      Ja, irgendwann werde ich ihr die Wahrheit sagen. Wann ich das jedoch machen werde, liegt daran, wie sich diese Geschichte entwickelt.

      Daher nicke nun ich.

      „Sie hat es verdient“, stellt er als nächstes fest.

      „Ja, aber ich habe keine Ahnung, wie sie darauf reagieren wird. Ich wüsste nicht einmal, wie ich reagieren würde“, gebe ich zu, nachdem ich einen Moment darüber nachgedacht habe.

      „Ich bin mir sicher, dass du den richtigen Weg finden wirst. Schließlich habt ihr euch früher ja schon super verstanden.“

      Sein aufmerksamer Blick ruht auf mir. Doch ich ziehe es vor, nicht näher darauf einzugehen. Schließlich ist Sofia seine Schwester, da werde ich mich mit ihm sicherlich nicht über das unterhalten, worauf er gerade unzweifelhaft anspielt.

      „Das Zimmer im Wohnheim, in dem ich wohnen werde, ist nur ein paar Türen von ihrem entfernt. Ich kann also wunderbar auf sie aufpassen, ohne, dass es ihr auffallen wird. Außerdem habe ich die gleichen Hauptfächer wie sie, sodass ich ihr oft über den Weg laufen werde.“

      Ich weiß nicht, ob ich damit versuche ihn zu beruhigen, oder mich selber. Die Wahrheit sieht nämlich so aus, dass ich kein gutes Gefühl dabei habe. Allerdings werde ich ihm das nicht auf die Nase binden. Zum einen will ich ihn nicht noch nervöser machen und zum anderen kann ich es auch selber nicht einordnen.

      „Na los, ich muss mich gleich auf den Weg machen“, erkläre ich ihm, greife nach der Tasche und verlasse mein Schlafzimmer.

      Mike ist einer meiner besten Freunde. Daher weiß ich, wie schwer es ihm fällt, mir das zu überlassen. Allerdings bin ich froh darüber, denn ich kenne ihn und weiß, dass er gerne mal die Nerven verliert und Alleingänge macht.

      „Du weißt, was du zu tun hast?“, erkundigt sich mein Vater, als ich wenige Minuten später zu meinem Wagen gehe.

      Man muss ihn nicht kennen um zu wissen, dass seine Stimme vorsichtig ist, da er weiß, dass ich noch immer sauer auf ihn bin. Und das beweise ich ihm auch, in dem ich langsam stehen bleibe und mich mit einem bedrohlichen Blick in seine Richtung drehe. Um mein Auftreten noch bedrohlicher erscheinen zu lassen, schließe ich meine Augen ein Stück.

      „Im Gegensatz zu euch werde ich es nicht versauen“, verkünde ich und setze mich wieder in Bewegung.

      Nachdem ich meinen Truck erreicht habe, werfe ich die Tasche auf die Ladefläche und ziehe meinen Schlüssel aus der Hosentasche. Mikes Vater steht in einiger Entfernung und sieht mich so an, als würde er noch etwas sagen wollen. Doch er ist schlau genug, genau das nicht zu machen.

       Er weiß, dass ich mich dieses Mal nicht zurückhalten werde!

       „Pass auf Sofia auf“, flüstert mir meine Mutter zu, als sie sich von mir verabschiedet. „Das Mädchen hat eindeutig mehr als genug mitgemacht. Sie hat es verdient, endlich nach Hause zu kommen.“

       „Ihr wird nicht passieren.“

       Mit diesen Worten lächle ich sie ein letztes Mal an, bevor ich einsteige und mich auf den Weg mache.

       Je näher ich Dallas komme, umso nervöser werde ich. Dies wird nicht leicht werden, das ist mir durchaus klar. Doch ich werde es mir nicht verzeihen, wenn ihr etwas geschieht.

       Ich werde sie wieder nach Hause holen und ihr zeigen, dass es da mehr als genug Menschen gibt, denen sie etwas bedeutet.

       Und ganz vorne stehe ich!

      2

       Uns trennen nur wenige Meter. Dennoch kommt es mir so vor, als wäre dies noch immer zu viel. Dabei ist es weniger, als in den letzten Jahren. Doch ich habe keine Ahnung, wie ich mich ihr am besten nähern kann. Dabei weiß ich, dass ich das machen muss. Nur so kann ich in Erfahrung bringen, ob vielleicht schon etwas passiert ist, was ich nicht weiß. Um für ihre Sicherheit zu garantieren, muss ich in ihrer Nähe sein. Und am besten ist es, wenn ich ihr dabei am Anfang nicht auffalle.

       Seufzend ziehe ich mir schnell meine Schuhe an, da ich sie nicht verpassen will. In meinen Gedanken bin ich in den letzten Jahren immer wieder diesen Moment durchgegangen. Dennoch habe ich keine Ahnung, wie ich mich ihr gegenüber verhalten soll.

       Sobald ich das Zimmer, welches ich mir mit einem anderen Studenten teile, verlassen habe, suche ich mir einen Platz, der nicht sofort von allen eingesehen werden kann. Allerdings habe ich von hier ihre Zimmertür genau im Blick.

       Es dauert nur wenige Minuten, bis sie gemeinsam mit ihrer Mitbewohnerin aus dem Zimmer tritt. Wenn ich die beiden allerdings so beobachte, muss ich sagen, dass es auf mich eher den Anschein macht, als wären sie Freundinnen. Sie lachen gemeinsam und aus der Entfernung sieht es aus, als würden sie sich gegenseitig aufziehen.

       Erleichterung macht sich bei dem Anblick der beiden Frauen in mir breit. Ich bin froh darüber, dass Sofia wenigstens Freunde hat, auf die sie sich verlassen kann, wenn es schon nicht ihre eigene Familie ist. Schnell schiebe ich diesen Gedanken jedoch wieder zur Seite. Er sorgt nur dafür, dass ich wieder wütend werde. Ich bin mir sicher, dass es noch eine Weile dauern wird, bis ich unseren Vätern diesen Schritt verziehen habe.

       Mein Vater hat mich sogar gefragt, ob ich an seiner Stelle anders reagiert hätte. Kurz habe ich überlegt, ob ich ihm an den Kopf werfen soll, wie beschissen ich diese Vorgehensweise, wenn man sie so nennen will, finde. Doch ich brauchte ihm nur einen Blick zuzuwerfen, um ihm zu zeigen, dass ich das getan hätte.

       Um die beiden nicht zu verlieren, aber auch um zu verhindern, dass sie auf mich aufmerksam werden, warte ich einige Sekunden, bevor ich ihnen nach unten folge. Ich werde so lange zu ihrem Schatten werden, bis ich sie besser einschätzen kann. Irgendwann werde ich ihr die Wahrheit sagen, doch ich hoffe, dass ich die Chance habe, selber zu bestimmen, wann und wie ich das machen werde.

       So gut es geht weiche ich den anderen Bewohnern des Wohnheimes aus, während ich sie nicht aus den Augen lasse. Dabei kann ich gerade noch den Wunsch unterdrücken sie an mich zu ziehen und sie nie wieder loszulassen.

       Ich will ihren warmen Körper an mir spüren und wissen, dass es ihr, nach allem, was in den letzten Jahren geschehen ist, gut geht. Irgendwie habe ich nämlich die Befürchtung, dass genau das nicht der Fall ist. Auch, wenn sie glücklich aussieht, so kommt es mir vor, als wäre dies nur nach außen hin so.

       Seitdem ihre Mutter vor Jahren gestorben ist, war Sofia alleine. Sie war auf sich gestellt und hatte niemanden, der für sie da war. Auch wenn ihr Vater der Meinung ist, dass es die richtige Entscheidung war, genau diesen Schritt zu gehen, um für ihre Sicherheit zu sorgen, finde ich das nicht. Ich könnte das nicht. Ich hätte schon von Anfang an nicht diesen Schritt gehen können.

       Schnell konzentriere ich mich wieder auf meine Umgebung. Wenn ich ihren Vater das nächste Mal sehe, werde ich ihm sagen, dass er sich für den falschen Weg entschieden hat. Doch wenn ich jetzt einen Fehler mache, kann es sie eventuell das Leben kosten. Der Mann, der hinter ihr her ist, geht nämlich über Leichen, um an sein Ziel zu kommen.

       Während die beiden über den Parkplatz gehen, lasse ich sie nicht aus den Augen. Daher erkenne ich auch, wie sie auf der Höhe ihrer Frontscheibe stehen bleibt und etwas in die Hand nimmt, was unter ihrem Scheibenwischer gesteckt wurde.

       Ich kenne sie nicht sonderlich gut und ich bin auch nicht nah genug bei ihr, doch sogar aus dieser Entfernung kann ich sehen, wie sie augenblicklich beginnt zu zittern. Alleine dies sorgt dafür, dass mein Beschützerinstinkt sich noch mehr meldet, als es bei ihr eh schon der Fall ist.

       Beruhige dich, ermahne ich mich selber.

       Doch so einfach