schoß. Aber die Maslowa wandte, ohne ihn von den anderen zu unterscheiden, ihren Blick wieder ab und heftete ihre Augen von neuem voll Schrecken auf den Staatsanwalt.
»Die Angeklagte leugnet also, zu Kartinkin irgend welche näheren Beziehungen unterhalten zu haben? Sehr gut. Ich habe nichts mehr zu fragen.«
Und der Staatsanwalt nahm sogleich den Ellbogen vom Schreibpulte und begann etwas auf zuschreiben. In Wirklichkeit schrieb er nichts, sondern fuhr nur mit der Feder über die Buchstaben seines Zettels; aber er hatte gesehen, wie Staatsanwälte und Advokaten es machen: nach einer geschickten Frage tragen sie in ihre Rede eine Notiz ein, die den Gegner vernichten soll.
Der Präsident wandte sich nicht sogleich an die Angeklagte, weil er eben das Mitglied in der Brille befragte, ob es mit der Vorlegung der bereits im voraus aufgestellten und notierten Fragen einverstanden sei.
»Was war denn weiter?« fuhr der Präsident zu fragen fort.
»Ich kam nach Hause«, berichtete die Maslowa, jetzt schon etwas kühner den Präsidenten allein betrachtend, »und legte mich schlafen. Kaum war ich eingeschlafen, so weckte mich unser Mädchen, die Bertha. »Geh, sagte sie, Dein Kaufmann ist wieder da.« Da wollte er — sie sprach das Wort er wieder mit demselben Ausdruck des Entsetzens aus — da wollte er nach Wein schicken, hatte aber kein Geld mehr bei sich und schickte mich ins Hotel auf sein Zimmer. Er sagte mir, wo das Geld sei und wie viel ich nehmen sollte. So fuhr ich denn hin.«
Der Präsident flüsterte im Augenblicke etwas dem Mitgliede links zu und hörte daher nicht, was sie sprach. Um aber zu zeigen, daß er alles gehört habe, wiederholte er ihre letzten Worte.
»Sie fuhren hin. Nun, und . . . ?« sagte er.
»Als ich angekommen war, that ich, was er mir befohlen: ich ging auf sein Zimmer. Ich ging nicht allein ins Zimmer, sondern rief Simon Michajlowitsch und die da«, sagte sie und wies auf die Botschkowa.
»Sie lügt, ich bin überhaupt nicht drin gewesen . . . «, begann die Botschkowa, wurde aber am Fortfahren gehindert.
»In deren Gegenwart nahm ich vier Zehnrubelscheine heraus«, erzählte die Maslowa weiter, die Stirne runzelnd und ohne die Botschkowa anzusehen.
»Hm, hat die Angeklagte als sie die vierzig Rubel herausnahm, nicht vielleicht bemerkt, wieviel Geld im Ganzen da war?« fragte wieder der Staatsanwalt.
Die Maslowa zuckte zusammen, sobald sich der Staatsanwalt an sie wandte. Sie wußte nicht, wie und warum, aber sie fühlte, daß dieser Mensch ihr übelwollte.
»Ich habe nicht gezählt, ich sah nur, daß dort Hundertrubelscheine waren.«
»Die Angeklagte hatte die Hundertrubelscheine gesehen. — Ich habe nichts mehr.«
»Nun, Sie brachten ihm also das Geld?« fuhr der Präsident fort, einen Blick auf seine Uhr werfend.
»Jawohl.«
»Nun und dann?« fragte der Präsident.
»Dann nahm er mich wieder mit sich«, sagte die Maslowa.
»So, und wie gaben Sie ihm denn das Pulver im Wein?« fragte der Präsident.
»Wie ich es ihm gab? Ich schüttete es in den Wein und gab es ihm.«
»Wozu gaben Sie es ihm denn?«
Sie seufzte tief und schwer auf ohne zu antworten.
»Er wollte mich immer nicht weglassen«, sagte sie nach einigem Schweigen. »Ich war schon ganz abgequält. Da ging ich auf den Korridor hinaus und sagte zu Simon Michajlowitsch: »wenn er mich doch weglassen wollte, ich bin schon müde.« Und Simon Michajlowitsch sagte: »wir sind ihn auch überdrüssig. Wir wollen ihm ein Schlafpulver geben; wenn er eingeschlafen ist, kannst du gehen.« »Gut«, sagte ich. Ich dachte, daß es ein unschädliches Pulver sei. Er gab mir ein Papierchen. Ich ging wieder hinein; er lag hinter der Scheide wand und ließ sich sofort einen Kognak reichen. Ich nahm vom Tisch eine Flasche Fine Champagne, goß zwei Gläser ein, eins mir, eins ihm, schüttete in das seinige das Pulver und gab es ihm. Hätt’ ich denn gegeben, wenn ich das gewußt hätte.«
»Nun und wie kamen Sie zu dem Ring«, fragte der Präsident.
»Den Ring hat er mir selbst geschenkt.«
»Wann hat er Ihnen denselben geschenkt?«
»Als ich mit ihm in das Zimmer gekommen war, wollte ich wieder weggehen, er aber schlug mich auf den Kopf, sodaß der Kamm zerbrach. Ich wurde böse und wollte wegfahren. Er nahm den Ring vom Finger und schenkte ihn mir, damit ich bliebe«, sagte sie.
Der Staatsanwalt erhob sich von neuem und bat immer mit demselben geheuchelt-naiven Ausdruck um die Erlaubnis, noch einige Fragen vorzulegen. Nachdem er die Erlaubnis erhalten, neigte er seinen Kopf über den gestickten Kragen und fragte:
»Ich möchte wissen, wie lange die Angeklagte sich in dem Zimmer des Kaufmanns Smeljkow aufhielt?«
Die Maslowa wurde wieder von Furcht befallen und, unruhig mit den Augen vom Staatsanwalt zum Präsidenten schweifend, sagte sie schnell:
»Ich erinnere mich nicht, wie lange.«
»So, erinnert sich aber die Angeklagte vielleicht, ob sie sich nachdem sie aus dem Zimmer des Kaufmanns Smeljkow gegangen noch irgend wo anders im Hotel aufgehalten habe?«
Die Maslowa sann nach.
»In ein leeres Zimmer nebenbei bin ich hinein gegangen«, sagte sie.
»Wozu gingen Sie denn da hinein?« fragte interessiert der Staatsanwalt, sich direkt an sie wendend.
»Ich wartete auf die Droschke.«
»War auch Kartinkin mit der Angeklagten im Zimmer, oder war er nicht da?«
»Er war auch eingetreten.«
»Wozu war er denn eingetreten?«
»Da war noch Fine Champagne vom Kaufmann übrig geblieben, den tranken wir zusammen aus.«
»Ah, Sie tranken ihn zusammen aus. Sehr gut.«
»Hatte vielleicht die Angeklagte mit Simon irgend eine Unterhaltung?«
Die Maslowa zog plötzlich die Augenbrauen zusammen, wurde dunkelrot und sagte schnell:
»Was ich gesprochen habe? Ich weiß nichts mehr. Machen Sie mit mir, was Sie wollen. Ich bin unschuldig und das ist alles. Nichts habe ich gesprochen. Was gewesen ist, habe ich alles er> zählt«, sagte sie.
»Ich habe nichts weiter«, sagte der Staatsanwalt zum Präsidenten und begann, die Schultern unnatürlich aufziehend, schnell in das Koncept seiner Rede das eigene Geständnis der Angeklagten, daß sie sich mit Simon in einem leeren Zimmer aufgehalten habe, einzutragen.
Es trat Schweigen ein.
»Haben Sie nichts mehr zu sagen?«
»Ich habe alles gesagt«, sprach sie seufzend und setzte sich.
Darauf trug der Präsident etwas in sein Papier ein und erklärte nach einer ihm vom Mitgliede links flüsternd gemachten Mitteilung, daß die Sitzung auf zehn Minuten unterbrochen werde. Darauf erhob er sich eilig und ging zum Saal hinaus. Die Beratung zwischen dem Präsidenten und dem Mitglieds links, dem starken, bärtigen Herrn mit den großen gutmütigen Augen, war dadurch veranlaßt worden, daß letzterer ein leichtes Unbehagen im Magen verspürte und deswegen eine kleine Massage ausführen und Tropfen ein nehmen wollte. Dieses teilte er dem Präsidenten mit, der daraufhin die Unterbrechung der Sitzung ankündigte.
Nach den Richtern erhoben sich auch die Geschworenen, die Advokaten und Zeugen und begannen, mit dem angenehmen Gefühle, einen Teil der wichtigen Sache vollbracht zu haben, hin und her zu gehen.
Nechljudow ging in das Geschworenenzimmer und setzte sich dort ans Fenster.
Zwölftes