T.D. Amrein

Muriel


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und für eine Polizeibeamtin im Dienst schien der Einblick in ihre Bluse etwas zu großzügig. Einzig das – zwar leere – Pistolenhalfter und ein Paar Handschellen an ihrem Gürtel ließen darauf schließen, dass sie die Staatsgewalt vertrat. Man hatte Manfred auch nicht zu einem Verhör vorgeladen, sondern darum gebeten, den überregional ermittelnden Beamten einige Fragen zu beantworten. Leider war sie nicht allein gekommen, denn es hieß, man warte noch auf »den Chef«, der sich offenbar so viel Zeit nehmen konnte, wie er wollte. Insgeheim hoffte Manfred darauf, dass es sich beim Chef auch um eine Frau handelte. Noch so eine mit reichlich Holz vor der Hütte, die ebenfalls wusste, was Männer gern betrachten. Schließlich hatte er selbst solche Methoden ab und zu auch schon angewendet. Besonders wenn es sich um ein richtig fettes Geschäft drehte, welche erfahrungsgemäß meistens von reiferen Herren entschieden wurden. Manfred Grob arbeitete als selbständiger Immobilienmakler. Wie viel Mehrertrag ihm die Mädels vom Escort Service inzwischen beschert hatten, wusste nicht einmal er selbst genau. Aber dass es sich lohnte, daran bestand kein Zweifel. Und hie und da blieb sogar noch ein wenig bezahlte Service-Zeit übrig, die er natürlich nicht ungenutzt verstreichen ließ.

      Das Geräusch schlurfender Schritte störte ihn bei seinen Gedanken, weil es absolut nicht dazu passte.

      »Krüger«, stellte sich der Mann mürrisch vor.

      »Hauptkommissar Krüger«, ergänzte die Blondine eifrig und lächelte dem gelangweilt abwinkenden Kommissar zu.

      Für Manfred war sofort klar, woher der Wind wehte. Die wollte bestimmt die langwierigen Dienstwege nach oben durch kleine Gefälligkeiten, soweit wie möglich, abkürzen.

      »Grob«, stellte er sich vor. »Manfred Grob.«

      »Danke, ich weiß, wer Sie sind«, brummte Krüger.

      Was sollte Manfred darauf antworten. Er zuckte resigniert mit den Schultern.

      »Ja, dann erzählen Sie mal!«, forderte Krüger auf. »Wie ist das gelaufen auf dem Boot. Als Sie Herrn Lau zum letzten Mal gesehen haben, meine ich.«

      »Das habe ich doch …«

      »Ja, ja, das haben Sie schon einmal erzählt. Ich weiß. Aber mir noch nicht. Also bitte!«

      Manfred seufzte kurz auf. Weshalb ließ ihn der alte Knacker nicht einfach mit der Blondine allein. Für die hätte ich sogar was zum ins Ohr Flüstern auf Lager, dachte er grimmig. »Ja, da gibt’s nicht viel zu erzählen. Rainer hat seinen Koffer gepackt und ist von Bord gegangen. Er hat uns noch viel Spaß gewünscht, das war’s.«

      »Wo genau?«, hakte Krüger nach. »Wo stand sein Wagen?«

      »Sein Wagen? Ja dort an diesem Hafen, denke ich. Wo genau, weiß ich leider auch nicht. Ich kann mir diese französischen Kaffs doch nicht alle merken. Ich kann ja auch kaum Französisch.«

      »Aber wenn Sie an die Stelle zurückkehren, könnten Sie sich erinnern?«, hielt Krüger fest.

      »Ja, möglich. Aber das heißt jetzt nicht, dass ich mit Ihnen …«

      »Natürlich nicht. Wir haben einige Fotos mitgebracht. Wenn Sie sich die bitte ansehen wollen.«

      Die Blondine bleckte leicht die Zähne, während sie sich in Manfreds Richtung schob, nur mit dem Oberkörper. Den Notizblock hatte sie sich zwischen die Knie geklemmt, um die Hände frei zu haben. Elegant fächerte sie die Aufnahmen vor ihm aus.

      »Erkennen Sie einen dieser Orte?«

      »Moment«, sagte Manfred. Umständlich kramte er eine Brille aus dem Jackett. »Erst den Feldstecher suchen. Dann kann ich vielleicht helfen.«

      »Lassen Sie sich ruhig Zeit«, beschwichtigte die Blonde. Der Kommissar jedoch ließ ein verächtliches Schnauben hören.

      Passt ihm offensichtlich nicht, wenn seine Tippse mal einem richtigen Kerl begegnet, dachte Manfred höhnisch. Bildete der sich etwa ein, dass die sich auch nur eine Minute mit ihm abgeben würde, wenn sie nicht musste? Manfred griff nach einem Bild und betrachtete es genauer. »Hier könnte es gewesen sein. Möglicherweise.« Mit Absicht hielt er das Foto direkt vor der Brust, sodass sich die Beamtin noch weiter vorbeugen musste, um es ihm aus der Hand zu nehmen. Sie bemerkte offensichtlich nichts von seiner List.

      »Sind Sie sicher?«

      »Na, ja. Darf ich es vielleicht noch mal sehen?«

      Sie lächelte. Der Kommissar schnalzte mir der Zunge. »Ich bin kurz weg. Rufen Sie mich, wenn Sie mit den Urlaubsfotos durch sind«, brummte er gereizt.

      »Aber selbstverständlich, Chef!«

      Der Chef schlurfte grummelnd aus dem Raum.

      Manfred witterte seine Chance. Ihr würde er anstandslos jede Frage beantworten. Außer natürlich, was wirklich passiert war bei Rainers Abgang.

      Michélle streckte ihm die Aufnahme wieder hin. Manfred griff danach, nicht ohne einen weiteren tiefen Blick in ihre Bluse zu riskieren.

      »Aimez-vous ce que vous voyez?«, ließ die Blondine fallen.

      »Perfekt«, antwortete Manfred, ohne lange zu überlegen.

      »So ausgesprochen schlecht kann Ihr Französisch aber nicht sein, wenn Sie das gleich verstanden haben«, stellte die Beamtin lakonisch fest.

      Manfred zuckte zusammen. »Ja, das. Das versteht doch jeder. Gefällt Ihnen, was Sie sehen? Das hört man doch dauernd«, versuchte er zu erklären. Dass seine Stimme höher klang als sonst, fiel sogar ihm selbst auf.

      »Na ja. Ich würde das jetzt nicht als Lüge bezeichnen wollen«, fuhr die Beamtin fort. »Aber wozu schwindeln Sie, wenn es keine Rolle spielt?«

      »Ich wollte … Das war doch keine Lüge! Ich verstehe fast alles, kann aber nicht viel sprechen«, redete er sich heraus.

      Die Blonde konnte ein Grinsen nicht vollständig unterdrücken. »Und weil Sie fast alles verstehen, können Sie sich die Namen der Dörfer nicht merken?«

      Eine Schweißperle löste sich von seiner Braue und brannte in seinem Auge. »Für meine Begriffe sind meine Sprachkenntnisse mangelhaft. In Französisch! Ok?« Manfred begann sich aufzuregen. Die Tusse hatte ihn glatt reingelegt.

      »Ich sagte doch, dass ich das nicht überbewerten möchte«, beruhigte sie ihn, während sie ihren Notizblock wieder zur Hand nahm. »Wie sicher sind Sie jetzt mit dem Hafen?«, fragte sie weiter. »Könnte es dieser gewesen sein, in dem Herr Lau sich verabschiedet hat?«

      »Ja, doch«, brummte Manfred. Seine Selbstsicherheit war deutlich angeschlagen.

      »Sehr gut«, lobte die Blondine. »Damit stimmen Ihre Aussagen und die Ihres Bekannten in diesem Punkt überein.«

      Beinahe wäre Manfred ein: »Natürlich sagen wir das Gleiche« herausgerutscht. Damit hätte er praktisch zugegeben, dass er sich mit Hajo abgesprochen hatte.

      Die Tusse verstand offenbar ihr Geschäft. Von wegen naiv und unerfahren, eher faustdick hinter den Ohren, dachte er und nahm sich vor, auf der Hut zu sein. Für den Rest der Befragung blieb er stur bei seiner ersten Aussage. Noch einen Lapsus konnte er sich nicht erlauben. Aber beim Gedanken, dass dieses Aas gleich seinen Kumpel in die Mangel nehmen würde, wurde ihm schlecht. Wenn er selbst es kaum schaffte, ihr Paroli zu bieten … Hajo war nicht besonders helle. Besonders standhaft auch nicht – Manfred musste ihn unbedingt warnen. Dass ihm die Tusse diese Chance kaum freiwillig lassen würde, war ihm klar. Nur, wenn er ihr etwas zum Fraß vorwarf, das sie für die nächsten Stunden beschäftigte, konnte er vielleicht mit Hajo reden.

      Immerhin war sein Kumpel am Mord beteiligt gewesen, nicht bloß anwesend. Manfred hatte das bewusst so eingefädelt. Erst hatte man beim Kartenspiel gemeinsam mehrere Flaschen Rotwein und ein paar Schnäpse getrunken, wie eigentlich jeden Nachmittag auf dem Boot. Auf ein abgesprochenes Zeichen hin hatten Manfred und Hajo den völlig ahnungslosen Rainer überwältigt, gefesselt und geknebelt. Manfred holte das Stück Ankerkette, das er vor ein paar Tagen zufällig gefunden hatte, aus dem Unterbau der Penichette. Er wickelte es Rainer so eng wie möglich um den Bauch