T.D. Amrein

Muriel


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genau solche Mischungen.«

      Guerin musste ihm Recht geben. Damit verdichteten sich die Hinweise, dass der Mann tatsächlich schon seit einiger Zeit in der Peniche hauste, offenbar unbemerkt von den Werftarbeitern.

      ***

      Muriel schlich sich aus dem Salon der Chantal, ohne Meinrad aufzuwecken. Sie hatten nach dem Essen auf dem Boot eine Flasche Wein getrunken und locker geplaudert, bis er schließlich eingenickt war. Sie regte sich nicht darüber auf, dass ihre weiblichen Reize ihn nicht wachzuhalten vermocht hatten. Das hatte sie gar nicht beabsichtigt, und eigentlich fühlte sie sich eher erleichtert. Ob er überhaupt noch imstande war, mit einer Frau zu schlafen, würde sich bei Gelegenheit erweisen.

      Für Muriel spielte es keine große Rolle. Aber es fiel natürlich leichter, einen Mann durch gelegentlichen Sex bei Laune zu halten, als durch bloße Sympathie und ihn schließlich dazu zu bringen, sie zu heiraten. Egal. Sie würde sich dem einen wie dem anderen stellen.

      Er hatte auf jeden Fall durchblicken lassen, dass er nicht gern allein weiterleben wollte, ohne sie dabei ins Auge zu fassen. Er schien nicht zu erwarten, bei einer Frau wie Muriel überhaupt eine Chance zu haben. Das gab ihr Zeit, ihre Strategie genau auf ihn auszurichten, damit sie ihn perfekt vorbereitet an Land ziehen konnte. Ihn zu heiraten, wäre nur das nächste Etappenziel. Danach gälte es, ihn so schnell wie möglich unter die Erde zu bringen. Warum sich länger als nötig mit einem Kerl abgeben, der ihr außer Geld nichts zu bieten hatte? Dass sie das schaffen würde, daran zweifelte sie nicht, aber noch wusste sie nicht, wie sie es anstellen wollte. Ihr würde bestimmt etwas einfallen; wie immer. Und am Ende winkte eine deutlich fettere Beute als üblich. Muriel sah sich schon als Hausherrin durch Danners nobles Anwesen schlendern. Sie musste sich allerdings auch weitaus mehr vorsehen, denn als reiche Witwe würde sie automatisch zur ersten Verdächtigen.

      ***

      Guerin konfrontierte den Clochard am nächsten Morgen mit den gefundenen Fotos und den Aufnahmen vom Inhalt des Koffers. Der Mann schnaubte verächtlich. »Das habt ihr mir doch untergeschoben, ihr Faschos!«

      Den Taufschein hielt Guerin daraufhin noch zurück, obwohl er nicht einmal glaubte, dass das Dokument etwas mit dem Unbekannten zu tun hatte. Die Reaktion des Clochards auf den Anblick wollte er gern unverfälscht bekommen: Er musste den Kerl überraschen, und zwar bald. Allzu lange würde Guerin ihn nicht mehr festhalten können. Einzig, dass der Clochard seinen Namen nicht nennen wollte, ließ noch etwas Spielraum zu.

      Guerin unterdrückte seinen Ärger darüber, dass der Typ so hartnäckig schwieg. Aber sie konnten ihm nichts nachweisen, und nicht einmal die gehorteten Portemonnaies waren ein Grund, ihn anzuklagen. Einen echten Bezug zu der gefundenen Leiche konnte Guerin daraus nicht konstruieren. Dazu benötigte er ein klares Indiz, einen Gegenstand nachweislich aus dem Besitz des Toten oder eine ihm zuzuordnende Blutspur. Auf das absolute Nonplusultra zu hoffen, die bei der Tat verwendete Pistole, erschien müßig. Aber Guerin hatte schon zuviel erlebt, um es grundsätzlich auszuschließen.

      ***

      Meinrad Danner erwachte erst gegen zehn Uhr am nächsten Vormittag. Er trank zwar ab und zu ein Glas Rotwein, jedoch nicht den größeren Teil von zwei Flaschen. Er erinnerte sich daran, dass er mit der Dame vom Bootsverleih, Madame Muriel, zurück aufs Boot geschlendert war.

      Eine fast leere Weinflasche stand immer noch auf dem Tisch in der Kajüte. Eine aus seinem Vorrat. Die musste ihm den Rest gegeben haben, ausgerechnet an diesem Abend! Nie hätte er erwartet, dass diese aufregende Frau sich mit ihm abgeben würde. Dass sie mit zurück zum Boot gekommen war … Diese Haut, die wunderbar geformten Brüste, die unglaublich schönen Beine … Und was machte er daraus? Neben ihr eingepennt. Super!

      Bisher hatte er immer gedacht, solange man sich im Geist jung fühlt, ist man nicht alt. Seine Schwäche der letzten Nacht verwies auf das Gegenteil. Fehlte bloß noch, dass er mit offenem Mund geschnarcht hatte. Stirnrunzelnd betrachtete er sich im Spiegel. Eigentlich doch ganz passabel, für seinen Jahrgang. Sie hatte ihm immerhin ebenfalls ab und zu nachgeschenkt. In ihrem Alter sollte man doch eigentlich wissen, ab wann es prekär werden konnte. Trotzdem würde er sich bei ihr mit einem riesigen Blumenstrauß entschuldigen. Schließlich hatte er ihr einen schönen Sommerabend gestohlen, den sie sicher viel lieber anders verbracht hätte.

      ***

      Heute sollte die Bestandsaufnahme auf dem Bootswrack des Clochards zu Ende gehen. Megane hatte geduldig gewartet, bis sich der Letzte der Spurensicherer verabschiedete. Erst danach sah sie sich die Bleibe dieses Mannes noch mal in Ruhe an. Sie musste ein paar Mal tief durchatmen, um sich mit dem Geruch zu versöhnen, der ihr Übelkeit bereitete und sich wie ein Film über ihre Gedanken legte. Sie stand nicht zum ersten Mal in einer zugemüllten Wohnung, deshalb kannte sie den Gestank, der aus der Mischung von ungewaschenen Kleidern, vergammeltem Essen und Schimmel resultierte. Hier jedoch fehlte etwas. Zu eintönig, irgendwie flacher, als er sein sollte.

      Sie betrachtete den Müll zu ihren Füßen. Leere Lebensmittelverpackungen jeder Art, aber außer einigen dunklen Rückständen in Pizzaschachteln keinerlei Essensreste. Die müsste man in allen Stadien der Verwesung erwarten bei jemandem, der kein fließendes Wasser zur Verfügung hatte. Ob sich ein Messie die Mühe machte, die Sachen im Fluss zu waschen, um sie danach zurück zum übrigen Müll zu legen? Ausschließen konnte man bei solchen »Sammlern« kaum etwas, aber realistisch erschien ihr das nicht.

      Überhaupt schien die Zusammensetzung der Abfälle kurios. Wenn ein Mensch aufgrund einer psychischen Störung Müll hortete, bezog sich das anfangs auf Dinge von Wert – Gebrauchswert in erster Linie. Einen Stuhl, den er jahrelang benutzt hatte, den konnte so jemand nicht einfach wegschmeißen. Megane grinste. Fast so, als hätte er eine Art Gnadenbrot verdient. Genauso Bücher, die man liebte. Danach zum Beispiel Zeitschriften mit interessanten Inhalten. So entwickelte sich das weiter. Das Sammeln von richtigem Müll stand am Schluss einer Messie-Karriere. Wenn sich die Person sozusagen ergeben hatte.

      Plötzlich fühlte sie sich beobachtet. Aber hier war niemand, sie hatte alle fortgeschickt. Und wenn jemand gekommen wäre, sie hätte ihn auf jeden Fall gehört. Trotzdem, auch der Geruch wirkte unvermittelt wieder intensiver. Schweiß, dachte sie. Abgestandener Männerschweiß. Die Schwaden schienen nach ihr zu greifen. Unaufhaltsam krochen sie in ihre Kleider, fluteten ihre Nase.

      Er konnte seit der Festnahme nicht mehr hier gewesen sein. Außerdem hatte man ihm frische Kleidung gegeben. Ihr Herz pochte bis zum Hals. Kein Gedanke mehr an sorgfältiges Nachdenken vor Ort.

      So schnell wie möglich kletterte Megane nach draußen.

      ***

      Muriel feilte den ganzen Tag über an ihrer Strategie. Sie musste die Zeit nutzen, die Meinrad Danner vor Ort blieb. Er hatte seine Penichette seit gestern nicht weiterbewegt, das zeigte das GPS. Sollte sie die Gelegenheit nutzen, oder würde ihm das auffallen? Gut, eigentlich wollte sie ihm auffallen. Allerdings konnte sie heute nicht früher Feierabend machen. Wahrscheinlich würde sie zum gemeinsamen Abendessen zu spät eintreffen. Aber egal. Mit Zaudern ließ sich nichts gewinnen.

      Gegen acht am Abend rollte Muriel auf dem Treidelpfad an Danners Hausboot, der Chantal, vorbei. Alles dunkel. Er schien nicht an Bord zu sein. Sie drehte das Fahrrad um und radelte zum Restaurant. Dort wollte sie aus einiger Entfernung einen Blick durchs Fenster werfen. Wenn er wieder am gleichen Tisch saß wie mit ihr gestern, konnte sie ihn sehen, bevor sie das Lokal betrat.

      Er lehnte tatsächlich lässig am Fenster und genoss offenbar eine Crème brûlée. Muriel durchfuhr es heiß, denn ihm gegenüber saß eine alte Schlampe mit großzügigem Ausschnitt. Selbst auf die Entfernung ließen sich die tiefen Falten in den Brustansätzen deutlich erkennen. Und erst der Hals … Muriel entfuhr ein leises »merde«.

      Warum bloß hatte sie ihm gestern nicht sofort alles klargemacht? Natürlich wusste sie genau, warum. Er sollte sie nicht für eine Hure halten, die sich gleich von jedem bespringen ließ. Das wären ganz schlechte Voraussetzungen für ihr Vorhaben. Aber diese vulgäre Hexe, die sich ihm jetzt so offensichtlich anbot, würde sich bestimmt nicht vornehm zurückhalten. Das erkannte Muriel auf den ersten Blick.

      Sie