Sabine von der Wellen

Ein verhängnisvoller Wunsch


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ihren Träumen aufrechterhalten wurden. Nur an den Schmerz, als sie gehen musste, konnte sie sich erinnern, auch wenn er heute nur ein Abklatsch dessen war, was sie damals wirklich gefühlt haben musste. Diese Zeit war irgendwie wie mit einem dunklen Tuch überdeckt, dass das wirkliche Ausmaß bestimmt nur übertünchte.

      Hatte das eine Bedeutung? Wollte ihr Schicksal ihr damit etwas sagen? Hatten die Träume eigentlich einen tieferen Sinn, den sie nicht erkannte? Sollten sie ihr zeigen, dass er es immer noch für sie war?

      Ein Gedanke schoss ihr plötzlich durch den Kopf, den sie gar nicht so schnell greifen konnte, wie er von ihrem Inneren wieder als unmöglich verworfen wurde.

      Isabel setzte sich auf und starrte mit großen Augen in die seichte Dunkelheit ihres Wohnzimmers. In ihrem Inneren fing ein Orkan zu toben an.

       Vergiss es! VERGISS ES!

      Aber dieser Gedanke ließ sich nicht mehr vertreiben. Er schien irgendwo schon festzusitzen und ihr Körper reagierte einen Augenblick mit Panik. Doch da war auch Hoffnung und ein warmer Hauch eines unglaublichen Glückgefühls, das sie verspürte. Genauso wie in ihrem Traum.

      Isabel versuchte den Gedanken, der dieses Getöse ausgelöst hatte, zu fassen und hatte Angst, dass er verschwand, wie dieser Traum und ihre Erinnerungen an damals. Darum versuchte sie ihn festzuhalten, aus dem Schleier zu reißen, der ihn in das Vergessen ziehen wollte, und ihn wieder ins Licht zu zerren.

       Cedric ist offenbar der Einzige in deinem Leben, zu dem deine Liebe niemals gestorben ist.

      Dieser Gedanke drängte sich aber eher resigniert an die Oberfläche. Aber er musste stimmen, sonst würde sie nicht von ihm so träumen. Wenn er sie damals gewollt hätte … sie hätte alles mit ihm durchgestanden. Sie liebte ihn. Aber das war nun alles kalter Kaffee und mehr als zwanzig Jahre her.

      Damals war sie noch voller Begeisterung für ein Leben auf einem Gut gewesen, wollte den ganzen Tag Tiere versorgen, Rasen mähen, aus Beeten Unkraut jäten und einen Mann versorgen.

       Nein, du wolltest nicht irgendeinen Mann, du wolltest Cedric und du wolltest ihm bei der schwierigen Aufgabe, dieses riesige Gut zu bewirtschaften, helfen. Du hattest das Gefühl, er brauchte diese Hilfe und du wolltest sie ihm geben. Dafür hättest du dich sogar mit Haut und Haaren verkauft.

      Isabel schüttelte den Kopf, als ihr klar wurde, was sie damals wirklich alles für ihn getan hätte. Sie hatte diesen Umstand in ihrem Leben völlig verdrängt. Sie war damals zu allem bereit gewesen, wenn er ihr dafür seine Zuneigung geschenkt hätte. Völlig verrückt. Aber das brennende Haus hatte sie davor bewahrt, sich noch tiefer in diese Liebe zu verstricken, die kaum verständlich und nur in ihrer kindlichen Fantasie begründet gewesen sein musste.

      Etwas in ihr begehrte dagegen auf. Sie wollte ihre Gefühle für ihn nicht so herablassend sehen. Nicht nach diesem Traum, der sie immer noch in ihrem Inneren tief berührte.

      Aber Cedric war mittlerweile auch schon über vierzig. Heute wäre ein Leben mit ihm undenkbar. Sie brauchte die Anerkennung anderer Mitarbeiter, einer Chefin und die Herausforderungen in einer großen Firma. Sie wollte, dass viele Leute sagen: „Die Isabel Iding, die ist wirklich klasse und so schlau!“

      Sie fand den Gedanken sogar abschreckend, wieder aufs Land zu ziehen und sich mit Schmutz und Tierdung abzugeben. Früher war sie gerne auf dem Gut gewesen. Heute würden sie keine zehn Pferde dort hinbekommen, um dort zu leben, mal ganz zu schweigen von heiraten und sich abhängig machen.

      Aber Cedric schien auch keine Frau an seiner Seite haben zu wollen. Soweit sie wusste, hatte er nie geheiratet. Und auch damals gab es keine Freundin oder andere Frauen in seinem Leben als seine Mutter und seine Schwester. Sie hätte das ändern wollen.

       Du warst keine Frau, sondern eine dumme, naive Göre. Was sollte er mit dir?

      Er war meistens anderen Menschen gegenüber unnahbar. Auch wenn er manchmal etwas aufzutauen schien, schaffte sie es nie, ihn aus der Reserve zu locken. Nur in ihren Träumen schenkte er ihr Beachtung.

      Isabel erstarrte.

      Dort hatte sie eine Bedeutung für ihn und dort wollte er sie.

      Isabel horchte benommen in sich hinein. Aber ihr Gewissen schien dazu keinen Kommentar abgeben zu wollen. Seltsam!

      Aufgewühlt zog sie aus einem kleinen Zigarettenetui eine Zigarette. Mit dem Kerzenanzünder zündete sie sie an und inhalierte den Rauch. Ihr Magen drehte sich augenblicklich und sie musste husten. Es war Wochen her, als sie die letzte Zigarette geraucht hatte. Das Zigarettenetui war eigentlich nur noch für Besucher gedacht, die sich besonders wohl fühlen sollten.

       Lüg dich nicht selbst an. Du hast das für Hardy gekauft, damit er immer etwas zu Qualmen hat.

      Isabel wartete, doch ihr Gewissen machte keine Bemerkung über die Zigarette in ihrem Mundwinkel.

      Sie lehnte sich zurück.

      Cedric …!

      Isabel konnte nicht fassen, dass ein Traum von ihm sie so niederdrückte und gleichzeitig in den Himmel hob.

       Das ist sentimentaler Quatsch. Du bist nur durcheinander. Überlege doch mal, wie nervtötend eure Zusammentreffen früher schon waren. Er wollte dich damals schon nicht!

      Offenbar war ihr Gewissen nun doch wieder ganz wach.

      Nein, nein, nein! Das stimmte nicht. Irgendwie wollte er sie damals vielleicht doch. Doch er wusste das nur nicht. Damals …!

      Isabel strich sich die Haare zurück. Sie schloss die Augen und sah ihn plötzlich wieder vor sich. Er stand vor ihr wie ein leuchtender Gott, lächelte sie an und reichte ihr seine Hand. „Komm Isabel!“ Und sofort spürte sie wieder diese Wärme wie in ihrem Traum.

       So ist er nicht. So war er nie! Außerdem ist er nun zwanzig Jahre älter.

      Das Gefühl aus dem Traum schmolz in sich zusammen.

      Und er wollte sie tatsächlich damals nicht.

      Isabel starrte betroffen zum Fenster, hinter dem sich die dunkle Nacht spiegelte, und langsam schlug noch eine letzte Welle des Gefühls in ihr hoch, das der Traum in ihr hinterlassen hatte. Und plötzlich überkam sie sowas wie ein sehnsuchtsvoller Wunsch, Cedric einmal wiederzusehen. Wie er jetzt wohl aussah und ob er immer noch ihr Herz berühren würde, wenn sie ihm noch einmal begegnete?

       Betrink dich, nimm eine Schlaftablette oder spring aus dem Fenster. Aber hör auf damit!

      Nur einmal! Ich möchte doch nur wissen, ob ich noch immer etwas für ihn empfinde.

      Erst langsam wurde ihr klar, was sie sich da gerade wünschte. Einen Moment nahm ihr dieser Gedanke den Atem. Ihr war noch nie in den Sinn gekommen, sich noch einmal Cedric und ihrer Vergangenheit zu stellen. Der Gedanke, ihn wirklich wiederzusehen, ihm gegenüberzustehen und sich mit ihren alten Gefühlen auseinanderzusetzen ließ es in ihrem Bauch seltsam eng werden.

       Das kannst du nicht wirklich wollen.

      Doch!

      Dieser neue Gedanke begann Isabel aufzurühren. Er war erregend und abschreckend zugleich und alles in ihr wollte ihn eigentlich verwerfen. Außerdem, wie sollte sie das auf die Reihe bekommen? Sie hatte ihn seit ihrem 15 Lebensjahr nicht mehr gesehen und konnte doch nicht einfach zu ihm gehen und sagen: „Hallo, da bin ich. Ich dachte mir, ich schau mal, wie du es so hast und ob du mit mir eine Nacht verbringen willst.“

      Isabel nahm dieser Gedanke einen Moment lang die Luft.

      Plötzlich schien ihr alles so glasklar. Fast war es so, als wäre alles in ihrem Leben nur auf diesen Punkt hinausgelaufen. Sie wollte Cedric wiedersehen, diesen Traum mit ihm endlich verwirklichen und weiter ausbauen, um ihn für ihr restliches Leben als Erinnerung in sich zu tragen … und vielleicht sogar dabei ein Kind mit ihm zeugen.

      Dieser Gedanke nahm ihr ganz die Luft. Ein Kind von Cedric! Mit der Erinnerung an ihren Traum