daraus geschlossen, dass es günstig ist, die eigene Position zu verbessern.
Das Meer wird etwas unruhiger und Max merkt, dass er sich schon lange auf keinem Schiff mehr aufgehalten hat, der Seegang ist nicht sehr hoch, aber Max wird es schlecht. Das wird sicher bald besser werden, hofft er, aber da irrt er sich. Zur Freude der Fische muss er sich übergeben, doch er fühlt sich danach nicht besser. Den ganzen Tag kämpft er gegen die Übelkeit, die Naturschönheiten interessieren ihn im Moment nicht mehr. Bis zum Abend muss er sich noch dreimal übergeben, dann schläft er ein und erwacht erst in der Nacht wieder.
Er verdrängt den Wunsch zu wissen, wo er sich befindet, denn es ist praktisch unmöglich die Position zu bestimmen. Seine Hoffnung, dass ihn eventuell ein Schiff entdecken würde, erfüllt sich nicht. Vermutlich ist der Suezkanal geschlossen, so dass er noch lange vergeblich auf ein Schiff hoffen kann. Vielleicht wird die Chance grösser, wenn er etwas weiter nach Süden vorgestossen ist.
Den zweiten Tag dämmert Max nur so vor sich hin. Seine Übelkeit hat auch den Vorteil, dass seine Lebensmittelvorräte nicht angetastet werden, dafür wird er merklich schwächer. Nur ab und zu gönnt er sich einen Schluck Wasser. Am dritten Tag fühlt er sich besser und nimmt feste Nahrung zu sich, ohne dass er sich gleich übergeben muss. Langsam nimmt er auch seine Umgebung etwas bewusster war und er macht einen ersten Versuch, seine Position zu bestimmen. Er steckt einen Stock durch ein weisses Blatt Papier und macht jede Stunde am Schattenspitz ein Zeichen. Wenn er die Punkte verbindet, entsteht ein gestreckter Bogen. Noch weiss er nicht was er damit anfangen soll. Doch es tut ihm gut, wenn er sich mit etwas beschäftigt. Vermutlich wird er erst nach zwei bis drei Tagen einen Unterschied feststellen können, der ihm dann hilft, seine Position wenigstens ungefähr zu bestimmen.
Am vierten Tag stellt er Abweichungen fest. Ein sicheres Zeichen, dass er seine Position verändert hat. Er kann auch etwas mehr essen und wird aktiver. So versucht er, während Stunden erfolglos einen Fisch zu fangen. Ein grosser Haifisch, der unter seinem Boot auftaucht, versetzt ihm einen Riesenschreck. Sofort zieht er die Angel wieder ein, denn ein solcher Fisch ist ihm doch zu gross und er will ihn mit seinem Köder nicht anlocken.
Am fünften Tag hat er sich bereits gut ans Schaukeln gewöhnt. Heute will er versuchen seine Position zu bestimmen. Er steuert mehr in Richtung Osten, dabei beobachtet er den Horizont, um nach dem Ufer Ausschau zu halten. Bereits nach einer Stunde Ostkurs, sieht er einen schmalen Streifen am Horizont, er bleibt noch einige Zeit auf Ostkurs, bis er Einzelheiten am Ufer erkennen kann. An einer Stelle sieht er die Silos einer Industrieanlage. Das könnte Shoaiba sein. Wenn er jetzt genau auf Südkurs geht, dann muss er Massaua in Eritrea erreichen. Er versucht die zurückgelegte Distanz abzustecken und in Tageskilometer umzurechnen. Wenn er mit gleicher Geschwindigkeit weitersegelt, so müsste er Massaua in etwa fünf bis sieben Tage erreichen.
Er wechselt sofort auf Südkurs und langsam verschwindet der Landstreifen wieder am Horizont.
In den Morgenstunden erlebt Max auch das erste Erfolgserlebnis als Fischer. Auf dem Kocher bereitet er sich die erste selber gefangene Mahlzeit zu.
Die nächsten zwei Tage verlaufen gleich eintönig. Er zählt seine Lebensmittel, wenn er so weiter isst, hat er noch für drei Tage zu essen, es ist also angebracht zu sparen. Das Meer wird auch immer unruhiger.
Inzwischen ist aus der idyllischen Fahrt ein Kampf auf Leben und Tod geworden. Max wird immer schwächer und die Stunden, in denen er nur dahindämmerte werden länger. Wenn er wach liegt, sucht er den Horizont nach Land ab. Er versucht seine Beobachtungen mit seiner Sonnenuhr zu vervollständigen und kontrolliert immer wieder seinen Kurs. Aber der erlösende Landstreifen taucht nicht auf. Er stellt sich immer wieder die Frage, wo ist er? Warum taucht kein Land auf? Ist er etwa schon im Indischen Ozean? Diese Frage kann er zum Glück verneinen, denn mit seinem Südkurs, käme er nicht am Golf von Aden vorbei, sondern würde auf alle Fälle in Somalia landen. Er beschliesst mehr nach Westen zu segeln. Das Ägyptische Festland müsste jetzt hinter ihm liegen. So langsam erachtet er auch eine Landung in Ägypten, als das kleiner Übel. Er kann diese Reise nicht mehr länger durchhalten. Inzwischen verliert er selbst das Gefühl, wie viele Tage er schon unterwegs ist, aber all das wird unwichtiger.
Immer öfter zieht Max auch Bilanz über sein Leben. Realistisch gesehen werden ihn nicht viele Leute vermissen und auch sonst wird nicht viel von ihm übrigbleiben. Vielleicht ein paar Software Programme, aber auch die werden nicht mehr lange laufen. Das Nachdenken über sein Leben ergibt nur wenig positive Aspekte, aber er kann nichts mehr ändern, wenn er nicht überlebt, ist er schnell vergessen. Zum Glück schläft er bald wieder ein.
Durch einen starken Ruck wird Max plötzlich geweckt. Schlaftrunken kämpft er mit dem Gleichgewicht, denn das Boot schwankt sehr stark in der Brandung. Der Strand, den er erreicht, ist menschenleer. Mit letzter Kraft schleppt er sich an Land.
Er entscheidet sich, in südlicher Richtung dem Strand entlang zu marschieren. Das Boot lässt er am Strand zurück und nimmt nur das Nötigste mit, Geld, den Rest des Proviants, leere Flaschen, die Karte und seine Ausweise. Nach einigen hundert Metern erlebt er die erste freudige Überraschung, er überquert einen kleinen Bach, welcher Süsswasser führt. Es ist nicht besonders sauber, aber es schmeckt für ihn wie Champagner. Er beschliesst, an diesem Bach die Mittagshitze abzuwarten und will erst gegen Abend weitermarschieren. Am Strand jagt er mit einem spitzen Stock nochmals Fische und dank einem Feuer schmeckt der Fischbraten köstlich. Zum Dessert gibt es Muscheln. Nach einem kurzen Mittagsschläfchen, wandert er gegen Abend weiter nach Süden.
Mit letzter Kraft schleppt er sich vorwärts. Meter um Meter muss er kämpfen, aber er hat sich entschieden zu Fuss, weiter zu gehen und nicht mit dem Boot der Küste entlang zu fahren, denn er hat genug vom Boot und ausserdem ist die Brandung gefährlich. Nach jeder Klippe hofft er, endlich eine Hütte oder ein Dorf zu entdecken, aber er muss weiter leiden. Wie ist es möglich, dass es auf der Welt, so verlassene Orte gibt? Langsam wird es dunkel und er hofft, dass er irgendwo ein Licht ausmachen kann, doch die einzigen Lichter bleiben die Millionen von Sternen, welche vom Himmel funkelten. Er sucht sich erneut einen Platz, an welchem er die Nacht verbringen kann.
Am nächsten Morgen sucht er den Strand nach Essbarem ab, die Ausbeute ist gering. Er ist zu ungeduldig, er will los. Insgeheim hofft er, dass bereits nach der nächsten Biegung ein schmuckes Dorf liegt. Diese Hoffnung hat er bei jeder Klippe, welche er hinter sich bringt. Gegen Mittag nimmt die Erschöpfung wieder zu und er kommt kaum noch vorwärts.
Dann endlich, er späht um den Felsen und da, er glaubt es kaum. Ein kleines Dorf, vermutlich nur vier, maximal zehn Hütten. Sind sie bewohnt? Nehmen ihn die Leute freundlich auf und helfen sie ihm weiter? Er erlebte die Begrüssung nicht mehr, etwas ausserhalb des Dorfes bricht er zusammen und wird ohnmächtig.
Das Interview
Gespannt sitzt Max im Gartenrestaurant, wer wird ihn ansprechen? Er hasst Begegnungen mit Unbekannten. Man kommt sich vor, wie jemand, der auf ein Heiratsinserat geantwortet hat und nun dem Rendezvous entgegenfiebert. Sein Treffen mit der unbekannten Person hat anscheinend ganz andere Gründe, aber er weiss nicht einmal welche.
Zum Glück muss er nicht lange warten, eine gutgekleidete Dame tritt an seinen Tisch: «Sie sind sicher Max Meier?»
«Ja, und Sie?»
Max ärgert sich, dass er nicht mehr herausbringt, aber er ist es noch nicht gewohnt, sich mit hübschen Frauen zu unterhalten.
«Ich bin eine selbständig arbeitende Journalistin und habe von ihrem Abenteuer in Ägypten erfahren. Wenn sie nichts dagegen haben, möchte ich gerne einen Bericht darüber schreiben», klärt ihn die hübsche Dame auf, «ich heisse übrigens Susanne Walter. Hier ist mein Presseausweis.»
«Und wenn ich etwas dagegen habe?», fragt Max, er hatte mit etwas ganz anderem gerechnet, als auf der Strasse ihm jemand einen Zettel zusteckte, auf welchem stand:
Können wir uns im Erstklass-Restaurant im Bahnhof Olten treffen? Es wird sich für Sie lohnen. Ein gutes Nachtessen liegt auf jeden Fall für Sie drin. Zeit heute 19 Uhr.
So eine Einladung macht einem neugierig