Geri Schnell

Raus aus der Krise


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ohne zu wissen, wohin es geht. Lockt er ihn in einen Hinterhalt, um ihn auszurauben? Max ist wachsam. Nebst einer Kreditkarte trägt er einige kleine Dollarscheine auf sich. Zudem musste er bereits am Flughafen, eine grössere Menge ägyptische Pfund wechseln, da er kein Reisearrangement gebucht hat. Schon diese paar Pfund wären vermutlich für diesen Jungen ein Vermögen.

      Nach mindestens einer halben Stunde Fussmarsch durch Kairo, hält Mustafa bei einem kleinen Hotel, in dem sonst nur Einheimische absteigen. Mustafa erledigt alle Formalitäten und verabschiedet sich. Max ist froh, dass er seinen Schatten los ist, denn er ist todmüde und will sich ausruhen.

      Das Zimmer ist sehr klein und ausser einem Bett und einem Stuhl, bietet es keinen weiteren Luxus. Die Toilette und das Bad befinden sich auf dem Flur. Das Bett ist recht bequem und sauber bezogen. Also legt er sich hin und kann endlich in Ruhe nachdenken.

      Bevor Rebekka zu ihren Grosseltern in die Osterferien fuhr, hatte er sie noch einmal getroffen. Sie spielte zusammen eine Partie Schach. Es gab keine allzu grosse Diskussion über Gott. Max fühlte sich noch nicht ausreichend vorbereitet. Er versuchte etwas mehr über das Mädchen zu erfahren. Rebekkas Mutter arbeitet aushilfsweise, in einem Altersheim, allerdings in unregelmässigen Abständen. Ihre Eltern sind sehr religiös und besuchen jeden Sonntag die Versammlung in einer kleinen Kapelle. Die genaue Bezeichnung der Vereinigung kann, oder will sie ihm nicht sagen. Für ihn spielt das keine Rolle, denn er kennt die Grundsätze dieser Gemeinschaft sowieso nicht.

      Nach der Abreise von Rebekka, vertrieb sich Max die Zeit mit Lesen. Er war wieder allein und es kam zu ein paar Rückfällen, er vermisste Rebekka und darüber tröstete er sich einige Male, mit einer Flasche Wein aus dem Supermarkt. Es wurde jedoch nie mehr so schlimm, wie vor dem ersten Treffen mit Rebekka. In seiner Hütte konnte er kaum noch schlafen, da im Frühling bis tief in die Nacht Leute unterwegs sind. So war seine Bleibe immer mehr gefährdet. Er beschloss, in die Ferien zu fahren. Das Arbeitsamt bewilligt die Ferien, denn momentan sind die Aussichten auf eine Stelle gering.

      Nach langem hin und her, wagte er es, bei einem Reisebüro anzufragen. Eigentlich wäre er gerne nach Israel, dem Land der Bibel, gefahren. Die Angebote waren aber sehr teuer.

      Dann stellte er fest, dass ein Last-Minute Ticket nach Kairo keine hundert Franken kostet. Die müssen Touristen aus dem Osterurlaub zurückfliegen und so ist der Flug extrem günstig.

      Ägypten hatte letztes Jahr ebenfalls schwer unter dem Corona-Virus zu leiden. Die Krankheit forderte vor allem unter den Strassenhändler und in der Tourismus-Industrie viele Opfer. Besonders Männer erkrankten, die Frauen waren durch den Schleier besser geschützt, was sich später in der Statistik bemerkbar machte.

      Nun versuchen die Ägypter, die Tourismus-Industrie langsam wieder in Schwung zu bringen. Wenn er die günstigeren Lebensbedingungen in Kairo einrechnet, müsste ihn der Kairoausflug am Ende günstiger zu stehen kommen, als wenn er in Olten bleibt.

      Schliesslich ging alles sehr schnell. Bei Walter Zingg holte er seinen Fotoapparat, stopfte den Schlafsack und den Schachcomputer in den Rucksack und verabschiedet sich von Walter.

      Auf der Bank lud er sich einige Dollars, auf eine Kreditkarte, welche nur Kreditkarte heisst, aber nicht überzogen werden kann und schon trampte er per Autostopp nach Kloten. Sein Kairoabenteuer konnte beginnen. In der Flughafentoilette zog er seine besten Kleider an und los ging die Reise. Während er nachdenkt, wie es Rebekka bei ihrer Grossmutter geht, schläft er ein.

      Als er wieder aufwacht, stellt er fest, dass er hungrig ist. Er sucht die Toilette auf, um sich etwas frisch zu machen. Sobald er die Toilette betreten hat, bereut er, dass er nicht in einem besseren Hotel abgestiegen ist. Die Einrichtungen sind sehr primitiv und der Geruch ist überwältigend. Natürlich hat es nur kaltes Wasser, das in einem schwachen Rinnsal aus dem Hahn läuft. Auf den Toiletten kann man nur im Stehen.

      Kurze Zeit später verlässt er das Hotel und macht sich auf die Suche nach etwas Essbarem. Von einem Strassenhändler kauft er einen Spiess. Danach setzt er sich in eine kleine Strassenkneipe, in welcher Einheimische heftig diskutierten und bestellt einen Pfefferminztee. Dann denkt er über sein Ägyptenabenteuer nach.

      «Warum ist er nach Ägypten geflogen?»

      Eigentlich weiss er es selber nicht. Er fühlt nur, dass in den Pyramiden, vielleicht die Antwort auf die Frage: «Wer ist Gott?», versteckt sein könnte. Er ist aber nicht so optimistisch, die Antwort zu finden, nachdem vor ihm Tausende von studierten Leuten, keine Antwort darauf gefunden haben. Weiter überlegt er sich, welche Sehenswürdigkeiten er in Ägypten besuchen will. Da steht sicher der Besuch der Pyramiden an erster Stelle, dann das ägyptische Museum, Luxor mit dem Tal der Könige und dem Karnak-Tempel, Abu Simbel und den Assuan Staudamm. Er hat genügend Zeit, sich alles anzusehen, drei Wochen sind eine lange Zeit.

      Nach einer Weile gibt ihm das Herumsitzen auf die Nerven, die Versuchung ist zu gross, immer den Männern zuzusehen, wie sie miteinander gestikulieren. Er hat das Gefühl, es sei ihnen unangenehm, wenn er sie dauernd beobachtet. Also kramt er aus seinem Rucksack, den er vorsichtshalber, wenn auch ohne Schlafsack und Kleider, mitgenommen hat, seinen Schachcomputer hervor und beginnt zu spielen. Er wählt eine relativ schwere Stufe, mit der er ziemlich zu kämpfen hat.

      Nun ist er so ins Spiel vertieft, dass er seine Umwelt praktisch vergisst. Plötzlich fällt ihm auf, dass der Geräuschpegel in der Kneipe nicht mehr regelmässig ist, sondern zwischen Ruhe und lautem kommentieren wechselt und genau in dem Rhythmus, in welchem er seine Züge zieht. Vor einem Zug herrscht gespannte Ruhe und nach jedem Zug wird lautstark kommentiert. Verlegen schaut sich Max um, jeder hat seinen Stuhl so gestellt, dass er einen Blick aufs Schachbrett werfen kann. Max wird ganz verlegen, aber das anerkennende Nicken der Männer macht ihm Mut, sie halten ihn für einen guten Spieler. Max bereut, dass er nicht eine schwächere Stufe eingestellt hat, denn, wenn man beim Schachspiel beobachtet wird, macht man schnell einen Fehler und auf dieser Stufe darf er sich keinen Fehler erlauben, sonst ist die Partie verloren.

      Erfreut stellt Max fest, dass die Leute ihm die Daumen drücken. Wenn er einen Bauer verliert, geht ein enttäuschtes Raunen durch die Kneipe. Als er die Dame erobern kann, kommt es zu einem Sturm der Begeisterung, als wenn in einem Fussballstadion ein Tor fällt. Die Spannung erlebt den Höhepunkt, als seine Dame immer mehr eingekesselt wird und eigentlich keine Aussicht mehr besteht, sie zu retten, doch ein Zug, nachdem er die Dame verloren hat, stösst Max mit seinem Turm auf die Grundlinie vor und die Partie ist beendet. Schachmatt! Das Erstaunen im Lokal ist gross, denn die wenigsten haben diesen Zug gesehen, durch den Abzug des Pferdes, welches ihm die Dame raubte, war die Grundlinie nicht mehr gedeckt.

      Nach diesem Sieg wird Max wie ein König gefeiert. Seinen Tee muss er nicht bezahlen und das nächste Glas steht auch schon auf seinem Tisch. Als Max die Figuren neu aufstellen will, kommt der Wirt und zeigt auf seine Uhr, es ist unmissverständlich, das Lokal muss schliessen.

      Als Max am nächsten Morgen nach einem überraschend guten Frühstück auf die Strasse tritt, wartet Mustafa bereits auf ihn. Er diskutiert eifrig mit einem Jungen, welcher gestern beim Schachspielen zugeschaut hatte. Sobald sie ihn erblicken, hört die Diskussion auf. Mustafa begrüsst Max freundlich. Auch Aladin, wie der andere Junge heisst, begrüsst ihn wie einen alten Freund. Max muss einsehen, dass er mit zwei Fremdenführern zu den Pyramiden reisen muss. In einer gestenreichen Rede versucht er ihnen klar zu machen, dass er sie nicht bezahlen kann, was sie aber nicht von ihrem Vorhaben abbringen kann.

      «Du guter Freund», erklären sie ihm, «was willst du heute sehen?»

      Es ist natürlich klar, dass Max am ersten Tag gleich zu den Pyramiden will.

      «Wir nehmen die Strassenbahn», schlägt Mustafa vor.

      Dies ist allerdings leichter gesagt als getan. Die Strassenbahn ist, hoffnungslos überfüllt. Max ist das erste Mal froh, dass er zwei Führer bei sich hat. Sie schimpfen so mit den Leuten an der Tür, dass sich mindestens fünf Leute aus dem Tram verabschieden und auf das Nächste warten. Eingeklemmt zwischen seinen Führern, die Kamera fest umklammert, zwängt sich Max auf das Trittbrett. Er kommt nicht weit ins Innere des Wagens, doch es reicht, dass er einigermassen sicher nach Gizeh gelangt. Der Geruch ist nicht sehr angenehm und in Gizeh ist er froh,