Klaus Steinvorth

Hölle und Himmel


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      Klaus Steinvorth

      Hölle und Himmel

      Hölle und Himmel

      Klaus Steinvorth

      Copyright: © 2012 Klaus Steinvorth

      Alle Rechte vorbehalten

      published by: epubli GmbH, Berlin

       www.epubli.de

      E-Book-Produktion: epub-ebooks.de

      ISBN 978-3-8442-3104-5

      Lieber jugendlicher Leser!

      Die Geschichte spielt 1952, als Eure Großeltern Kinder waren. Ein schrecklicher Krieg war vor kurzem zu Ende gegangen, viele Väter kamen erst jetzt aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück, viel Deutsche waren aus ihrer alten Heimat vertrieben worden. Und viele Kinder, die sich an den Schrecken des Krieges noch erinnern konnten, glaubten an die Hölle. Sie brauchten nur die Augen zu schließen, schon sahen sie die Hölle und den Teufel. Was aber, wenn ein Junge glaubt, seinen Stiefvater in der Hölle zu sehen? Er meint, von ihm vergiftet worden zu sein, und will sich rächen. Sein Freund verspricht ihm die Rache, aber auch er sieht den Stiefvater in der Hölle. Warum? Die Schwester des toten Freundes könnte helfen, aber sie will nicht. Warum nicht? Müssen sie sich noch rächen, wenn der Stiefvater in die Hölle kommen soll? Aber er lebt noch. Wenn Ihr wissen wollt, wie die Geschichte diese Fragen beantwortet, müsst Ihr sie lesen.

      Viel Spaß wünscht Euch dabei,

      Euer Klaus Steinvorth

      1. Karl

      Unter Schmerzen geboren, unter Schmerzen verloren, da fragt man sich, ob sich das Ganze überhaupt lohnt. Doch! Weil so eben das Leben ist. Das immer etwas hat, was unvergesslich ist. Wovon man gern erzählen möchte.

      Bei mir begannen die Schmerzen nach einem Fußballspiel. Wir hatten knapp gewonnen und tranken auf unseren Sieg. Einer von uns, Volker Wiese, spendete einen Kaste Sinalco. Sein Vater hatte genug Geld. Und danach machten wir, was ganz natürlich ist: Wir stellten uns in die Büsche und erleichterten uns. Doch bei mir war es nicht natürlich, und schon gar nicht eine Erleichterung. Ich bekam nur ein paar Tropfen heraus und die auch nur mit höllischen Schmerzen. Wenn ich drücken wollte, fuhr es siedend heiß hoch, und dabei musste ich so dringend. „Oh Gott, ich kann nicht!“, rutschte es mir heraus und ich biss mir auf die Zunge. Ich wollte nicht, dass es die anderen mitbekamen.

      Volker Wiese, der neben mir stand, hörte es. „Was kannst du nicht?“

      „Das nicht!“ Ich zeigte auf das, was er gerade machte.

      „Warum nicht?“

      Wie konnte man nur so dumm fragen? Aber so ist es immer: Wenn man richtig schlimme Schmerzen hat, versteht das keiner. Weil man sie nur allein hat. Schmerzen machen einen schrecklich allein. Darum hatte es keinen Zweck, darauf zu antworten. Ich knöpfte schnell den Hosenschlitz zu und wollte mich auf mein Fahrrad setzen, als ich merkte, dass es nicht ging. Es hätte meine Blase zum Platzen gebracht. Die war schwer wie das pralle Euter einer Kuh. Ich schob das Rad. Wie lange konnte ich das noch aushalten?

      „Wo willst du hin?“ Das war wieder Volker Wiese!

      Ich will nicht, ich muss, dachte ich, konnte aber schon nichts mehr sagen. Der Schmerz verlangte meine ganze Kraft. Ihn bloß nicht größer werden lassen, war mein einziger Gedanke. Zu Hause im Bett liegen, nichts tun, dachte ich weiter. Dann schlafen und am nächsten Morgen würde alles vorbei sein.

      Zu Hause sah Omi mit einem Blick, dass etwas nicht stimmte. „Jessas! Jedutmaria!“ schrie sie entsetzt. Sie sprach so, weil wir aus Oberschlesien kamen. „Was haste denn?“

      „Ich kann nicht!“ Ich zeigte zwischen meine beiden Beine.

      „Jeschinna! Du meenst, du kannst nech pullen?“

      Ich nickte schnell. „Dabei muss ich so nötig!“

      Sie sah mich mitleidig an. „Jedutmaria!“ Dann schüttelte sie den Kopf. „Nee, nee! Jo, jo! Es ies aso!“ Das sagte sie immer, wenn sie überlegte. „Bee der Blase helft n heeßer Weckel. Du leechst dech hin, uff’n Rücken un zählst de Fliegen uff de Wand!“

      Das war mir sehr recht. Bloß Ruhe und keine Aufregung! Ich legte mich auf das Bett, merkte aber, dass es keine Erleichterung brachte. Ich hörte, wie in der Küche das Wasser kochte und Schranktüren klappten. Dann kam Omi mit einer heißen Tuchrolle, die noch feucht war. Die sollte ich an die Stelle legen, wo es mir weh tat. „Du saachst mer, ob es besser werd.“

      Es wurde nicht besser. Zuerst dachte ich, ich müsste nur länger warten, wie eine Medizin am Anfang ja auch bitter schmeckt, aber es nützte nichts. Es wurde unten noch heißer und praller, es war wie ein Ballon, der sich aufblähte und platzen würde. Jetzt tat jede Bewegung weh. Ich rief Omi. „Es wird schlimmer!“

      Sie rang die Hände: „Jedutmaria! Was machn mer da?“ Sie schlug sich an den Kopf. „Ich Trampa!“ Sie rannte aus unserer Haustür in die nächste, die auch auf unserem Stock lag. Dort wohnte die alte Frau Cholewa, die Krankenschwester gewesen war. Die kam nach einigen Minuten angeschlurft, warf einen kurzen, eher mürrischen Blick auf mich. „Zeig mal deinen Pimmel!“

      Ich nestelte ihn heraus, der bläulich angeschwollen war. So groß hatte ich ihn noch nie gesehen.

      „Sie haben einen heißen Wickel gelegt?!“, rief Frau Cholewa entsetzt. „Da haben Sie die ganze Sache nur verschlimmert! Wissen Sie nicht, dass heiße Wickel eine Gefäßerweiterung bewirken und die Durchblutung verstärken?!“

      Omas Gesicht rötete sich. „Bei mer helft es emmer!“

      „Bei einer Blasenentzündung, ja. Aber das hier ist eine Phimose!“

      Omi wich erschreckt zurück, als hörte sie ein gefährliches Wort.

      „Eine Verengung der Vorhaut, die bei uns Frauen freilich nicht vorkommt.“

      Omi warf sich in die Brust. „Ich hab vier Kinder großgezogn, darunter een Junge. Se bruchn mech nech zu belehrn!“

      Frau Cholewa nickte nur und sagte dann besorgt: „Der Junge braucht einen Arzt. Welchen haben Sie?“

      „Dukter Lautermann.“

      „Den müssen wir anrufen.“

      Wir hatten zu Hause kein Telefon, es war zu teuer und außerdem wollte Omi so was nicht. Sie konnte nicht mehr gut hören und schrie in die Sprechmuschel, als sollte man sie auch ohne Telefon verstehen. Wenn man sie darauf ansprach, war sie beleidigt. Man durfte nicht einmal das Wort „Telefon“ in ihrer Gegenwart nennen.

      Das wusste Frau Cholewa, die auch kein Telefon hatte. „Ich laufe zu Frau Kreut und rufe Dr. Lautermann an.“

      Frau Kreut hatte einen Tabakladen um die Ecke und ein Telefon.

      Nach kurzer Zeit kam Dr. Lautermann. Er sagte nicht Pimmel, sondern Organ. „Dann werfen wir mal einen Blick auf dein schmerzendes Organ!“

      Sein Gesicht wurde ernst, und er wiederholte das Wort „Phimose“. „Zuerst musst du wieder Wasser lassen können.“

      Das hätte ich gern.

      „Jetzt machst du die Augen zu und hältst die Luft an!“

      Weil er Omi ein Zeichen machte, mich von hinten festzuhalten, riss ich die Augen auf. Eigentlich konnte ich mich auf Omi verlassen, weil sie auf meiner Seite stand, wenn es Streit mit Muttel gab. Aber hier hatten sie etwas vor, was gefährlich für mich war. Dr. Lautermann versteckte etwas hinter seinem Rücken, mit der anderen Hand hob er mein wehrloses Organ. Plötzlich blitzte die Spritze auf und stach mitten hinein. Ich war vor Wut und Enttäuschung gelähmt. Wie konnte er so gemein sein und mich so reinlegen! Jetzt würden die Schmerzen mich zerreißen. Als ich schreien wollte, merkte ich überrascht, dass es so schlimm gar nicht war. Dr. Lautermann tätschelte mir die Wange. „Brav, mein Junge! Aber du musst ins Krankenhaus.“

      Der Krankenwagen kam erst spät in der Nacht. Muttel war inzwischen von der Arbeit zurückgekehrt und hielt mir die Hand und