Harald Heinz

DER HAUSFRAUENMANN


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seiner Werkstatt. Sie verbrachten eine weiter Stunde in der Kälte, denn mittlerweile hatten sich alle unbelehrbaren Ehemänner auf den Weg zum Automechaniker gemacht. Um fünf kam er endlich mit einer weinenden und zitternden Miriam nach Hause. Mit zwei Rühreiern und Ketsch up stillte er ihren Hunger und trug sie ins Bett, aber sie war inzwischen völlig überdreht, wollte fernsehen, auf keinen Fall schlafen, er solle ihr eine Geschichte vorlesen, wo die Mami sei, sie wolle die Mami, er musste seine ganze Geduld aufbringen, sie nicht anzuschreien. Den Kauf der Farben verschob er auf Morgen. Das Telefon klingelte, es war Charlotte, er solle um halb sieben vor der Firma auf sie warten, früher sei es nicht möglich und was mit dem Abendessen sei. Irritiert schaute er auf die Uhr, zehn vor sechs. Er schnallte Miriam wieder in den Kindersitz und rutschte mit ihr zum nächsten Supermarkt, kaufte Avocados, Krabben, Spinat Nudeln, eine feine Käsesauce und eine Flasche Mumm, erreichte um zehn vor sieben Charlottes Büro, wartete mit der quengelnden Miriam bis fast halb acht, ehe seine Frau heraus hastete und fuhr die Familie nach Hause.

      Charlotte war erschöpft und aufgedreht, darin glich sie ihrer Tochter. Sie erzählte begeistert von ihrem ersten Tag, es gäbe unglaublich viel zu tun, schon jetzt würden sich die Aufträge auf ihrem Schreibtisch stapeln, Herr Demut schien überglücklich, sie wieder auf seiner Gehaltsliste zu haben und auch die Kollegen hätten sie alle herzlich empfangen. Florian hörte nur mit einem Ohr zu, der wieder einsetzende Schneefall und der Abendverkehr beanspruchten seine volle Konzentration.

      "Ein wunderbares Gefühl, endlich wieder gebraucht zu werden," Charlotte drehte sich zu Miriam um, "und wie geht es meiner Miri?"

      Florian sah sie irritiert an, "aber Mia und ich brauchen Dich doch auch."

      "Ja, aber das ist einfach nicht zu vergleichen, mein kleiner Grafiker." Florian hasste diesen Spitznamen und trat aufs Gas. Er riss das Steuer herum und lenkte den Wagen in einen Schneehaufen am Straßenrand, nur so konnte er einen Auffahrunfall mit dem plötzlich vor ihm bremsenden Auto verhindern.

      "Pass doch auf, Du fährst wie ein Idiot," schrie ihn Charlotte an.

      Seinen ersten Tag als freischaffender Maler hatte er sich anders vorgestellt.

       Szene 5

      Am Donnerstag begann endlich sein künstlerisches Schaffen. Nachdem er seine beiden Frauen abgeliefert hatte, fuhr er auf den Markt und kaufte zwei prachtvolle Äpfel. Seine ersten Modelle.

      Er holte den Blumenständer aus der Diele, drapierte ihn mit einem grauen Samt Tuch und schob ihn unter sein neues Lebensmotto.

       "NIEMANDES KNECHT UND KEINEM HERR."

      In leuchtendem Rot und seiner schönsten Grafikerschrift hatte er den Satz auf die weiße Raufasertapete gemalt, darunter in schwarz den Autor: “SCHILLER“.

      Er brauchte zwanzig Minuten, den grün melierten Granny Smith in die richtige Stellung zu platzieren. Seine neuen Farben, eine Flasche Terpentin, seine Palette und ein ganzes Sortiment von Pinseln lagen griffbereit auf dem kleinen Schreibtisch und eine leere, blütenweiße Leinwand stand auf seiner Staffelei.

      Florian wünschte sich toi, toi, toi und stockte.

      "Erst wenn Sie Äpfel malen, die Ihnen das Wasser im Mund zusammen laufen lassen, sollten Sie sich größeren Aufgaben zuwenden, meine Damen und Herren," die Forderung seines Professors auf der HBK stand zwischen ihm und seinem ersten Pinselstrich und ließ ihn schwer atmen.

      "Na los, Künstler," munterte er sich auf, "zeig´s ihm."

      Heute zeigte er es ihm noch nicht. Nach über zwei Stunden heftete er leicht enttäuscht das Ergebnis seiner Bemühungen unter Schiller an die Wand. Seinen Appetit regte es nicht an.

      "Na ja, so leicht fällt eben kein Maler vom Grafikerhimmel," beruhigte er sich.

      Grafik Design hatte er nur als Nebenfach belegt, sein Hauptstudium und Wunschfach war die Malerei gewesen, doch die Aussicht, als verkannter und verarmter Maler von der Geschichte ignoriert zu werden, hatte ihn einen Job in einer Werbeagentur annehmen lassen. Dort war er geblieben, seinen Malertraum hatte er auf später verschoben und dann war er ihm nach und nach abhanden gekommen. Charlotte hatte ihn, als sie nach einer Lösung für ihre weitere Lebensplanung suchten, wieder in ihm wach gerufen.

      Er legte den zweiten Modellapfel auf den zweckentfremdeten Ständer, "Du wirst mein Meisterapfel," zwinkerte er ihm zu, nahm seinen Vorgänger, biss herzhaft hinein und wollte sich auf den Weg machen, Miriam abzuholen.

      Das Telefon klingelte. Es war Bernd. Er habe schon die ganze Woche versucht ihn anzurufen, aber immer sei der verdammte Anrufbeantworter angesprungen, Florian müsse unbedingt mit Monika reden. Seit dem Essen letzte Woche mache sie ihm die Hölle mit Melanie heiß, er hätte zu Hause keine ruhige Minute mehr, er solle ihr sagen, dass es nur ein Scherz war und nichts dahinter.

      "Mein Gott Bernd, jetzt erzähl ihr doch endlich die Geschichte, das ist doch über zehn Jahre her, ihr ward doch damals nicht mal verheiratet."

      "Das geht nicht, das verzeiht sie mir nie."

      "Bau Melanie Griffith aus."

      "Das geht jetzt auch nicht mehr, ich hab alles kategorisch abgestritten und gesagt, ich würde keine Melanie kennen. Du musst mir helfen und die Sache auf Dich nehmen."

      "Dann sag ihr, ich hätte was mit einer Melanie gehabt, aber eigentlich sei die in Dich verliebt gewesen, was ja fast stimmt." Aber eben nur fast. Während ihrer gemeinsamen Studienzeit war Bernd schon Monika versprochen gewesen, wie es so schön bei ihnen auf dem Dorf hieß. Sie kannten sich schon seit immer und waren sich dann auf den Dorffesten näher bis ganz nah gekommen, was die Scheunen der häuslichen Umgebung erleichtert hatten. Dem ausschweifenden und freizügigen Leben der Großstadt stand Bernd hilflos gegenüber und ließ es unbeteiligt an sich vorüberziehen. Nur jene Melanie Schlossknecht, die in dem Ruf stand und ihn auch ehrgeizig bestätigte, jeden zu kriegen, Florian nicht ausgeschlossen, hatte sich für 8 Tage in Bernd verliebt. Er konnte sein Glück nicht fassen, aber nach dem Ende fiel er in eine depressive Lethargie und stilisierte Melanie zur Liebe seines Lebens. Nur mühsam fand er zu Monika zurück, die von all dem nichts erfahren hatte, und ergab sich in seine Vorbestimmung.

      "Ob die mir das glaubt, ich weiß nicht, sie merkt doch sofort, wenn ich lüge."

      "Ist doch die Wahrheit, beinahe, sonst soll sie mich anrufen, ich werde es dann bestätigen. Und, wie läuft es im Büro?"

      "Na ja, Du fehlst halt. Und bei Dir?"

      "Gut, nein sehr gut, nein ausgezeichnet. Aber ich muss jetzt Mira abholen, bis dann."

      Das Gespräch hatte seinen kreativen Misserfolg verdrängt, und vergnügt machte Florian sich auf den Weg.

       Szene 6

      „Noch einmal, Papi, bitte." Mindestens 25 oder 30 mal war er mit Miriam bereits den Abhang am Feldberg herunter gerodelt, aber sie konnte nicht genug bekommen. Nach dem Wetterbericht fürs Wochenende hatte Florian einen Schlitten gekauft und nach einem ausgiebigen Sonntagsfrühstück waren sie in den Taunus aufgebrochen. In der Nacht hatte der Schneefall nachgelassen und am Morgen einem strahlend blauen Himmel Platz gemacht.

      "Jetzt machen wir erst eine Schneeballschlacht, ja," er formte ganz leicht eine kleine Kugel und warf sie vorsichtig in Miriams Richtung. Seine Tochter versuchte es ihm gleichzutun. Charlotte stand etwas abseits und blickte gedankenverloren den Abhang hinab. Früher hätte sie bei solch einem Ausflug die Kamera griffbereit gehabt und ganze Serien von Miriam oder ihm oder beiden geschossen, aber heute schien sie mit ihren Gedanken vollkommen woanders zu sein. Er versuchte sie mit einem Schneeball von hinten aus der Reserve zu locken, aber im selben Moment drehte sie sich um und ein weißer Fleck zierte ihre Stirn, die Sonnenbrille flog in den Schnee.

      "Au, sag mal spinnst Du!", sie befreite ihr Gesicht und die Haare vom Schnee, "soll das vielleicht komisch sein?"

      Er ging lachend auf sie zu, hob die Brille auf, entschuldigte sich und versuchte sie in die Arme zu nehmen, aber sie wich verärgert zurück.

      "Warum drehst Du Dich auch um," er grinste unbeholfen. Charlotte schwieg.