Sie kennen zu lernen, hat bei uns die Bedenklichkeit überwunden, daß wir beschwerlich sein könnten.
CLAVIGO. Personen, die der erste Anblick empfiehlt, sollten die Bescheidenheit nicht so weit treiben.
BEAUMARCHAIS. Freilich kann Ihnen nicht fremd sein, von Unbekannten besucht zu werden, da Sie durch die Vortrefflichkeit Ihrer Schriften sich ebensosehr in auswärtigen Reichen bekannt gemacht haben, als die ansehnlichen Ämter, die Ihro Majestät Ihnen anvertrauen, Sie in Ihrem Vaterlande distinguieren.
CLAVIGO. Der König hat viel Gnade für meine geringen Dienste, und das Publikum viel Nachsicht für die unbedeutenden Versuche meiner Feder; ich wünschte, daß ich einigermaßen etwas zu der Verbesserung des Geschmacks in meinem Lande, zur Ausbreitung der Wissenschaften beitragen könnte. Denn sie sind's allein, die uns mit andern Nationen verbinden, sie sind's, die aus den entferntesten Geistern Freunde machen und die angenehmste Vereinigung unter denen selbst erhalten, die leider durch Staatsverhältnisse öfters getrennt werden.
BEAUMARCHAIS. Es ist entzückend, einen Mann so reden zu hören, der gleichen Einfluß auf den Staat und auf die Wissenschaften hat. Auch muß ich gestehen, Sie haben mir das Wort aus dem Munde genommen, und mich geradeswegs auf das Anliegen gebracht, um dessen willen Sie mich hier sehen. Eine Gesellschaft gelehrter würdiger Männer hat mir den Auftrag gegeben, an jedem Orte, wo ich durchreiste und Gelegenheit fände, einen Briefwechsel zwischen ihnen und den besten Köpfen des Königreichs zu stiften. Wie nun kein Spanier besser schreibt als der Verfasser der Blätter, die unter dem Namen »Der Denker« so bekannt sind, ein Mann, mit dem ich die Ehre habe zu reden –
CLAVIGO macht eine verbindliche Beugung.
BEAUMARCHAIS. Und der eine besondere Zierde der Gelehrten ist, indem er gewußt hat, mit seinen Talenten einen solchen Grad von Weltklugheit zu verbinden; dem es nicht fehlen kann, die glänzenden Stufen zu besteigen, deren ihn sein Charakter und seine Kenntnisse würdig machen – ich glaube, meinen Freunden keinen angenehmern Dienst leisten zu können, als wenn ich sie mit einem solchen Manne verbinde.
CLAVIGO. Kein Vorschlag in der Welt konnte mir erwünschter sein, meine Herren: ich sehe dadurch die angenehmsten Hoffnungen erfüllt, mit denen sich mein Herz oft ohne Aussicht einer glücklichen Gewährung beschäftigte. Nicht daß ich glaubte, durch meinen Briefwechsel den Wünschen Ihrer gelehrten Freunde genugtun zu können; so weit geht meine Eitelkeit nicht. Aber da ich das Glück habe, daß die besten Köpfe in Spanien mit mir zusammenhängen, da mir nichts unbekannt bleiben mag, was in unserm weiten Reiche von einzelnen, oft verborgenen Männern für die Wissenschaften, für die Künste getan wird, so sahe ich mich bisher als einen Kolporteur an, der das geringe Verdienst hat, die Erfindungen anderer gemeinnützig zumachen; nun aber werd' ich durch Ihre Dazwischenkunft zum Handelsmann, der das Glück hat, durch Umsetzung der einheimischen Produkte den Ruhm seines Vaterlandes auszubreiten und darüber es noch mit fremden Schätzen zu bereichern. Und so erlauben Sie, mein Herr, daß ich einen Mann, der mit solcher Freimütigkeit eine so angenehme Botschaft bringt, nicht wie einen Fremden behandle; erlauben Sie, daß ich frage, was für ein Geschäft, was für ein Anliegen Sie diesen weiten Weg geführt hat? Nicht, als wollt ich durch diese Indiskretion eine eitle Neugier befriedigen; nein, glauben Sie vielmehr, daß es in der reinsten Absicht geschieht, alle Kräfte, allen Einfluß, den ich etwa haben mag, für Sie zu verwenden: denn ich sage Ihnen zum voraus, Sie sind an einen Ort gekommen, wo sich einem Fremden zu Ausführung seiner Geschäfte, besonders bei Hofe, unzählige Schwierigkeiten entgegensetzen.
BEAUMARCHAIS. Ich nehme ein so gefälliges Anerbieten mit allem Dank an. Ich habe keine Geheimnisse für Sie, mein Herr, und dieser Freund wird bei meiner Erzählung nicht zuviel sein; er ist sattsam von dem unterrichtet, was ich Ihnen zu sagen habe.
CLAVIGO betrachtet Saint George mit Aufmerksamkeit.
BEAUMARCHAIS. Ein französischer Kaufmann, der bei einer starken Anzahl von Kindern wenig Vermögen besaß, hatte viele Korrespondenten in Spanien. Einer der reichsten kam vor fünfzehn Jahren nach Paris und tat ihm den Vorschlag: »Gebt mir zwei von Euern Töchtern, ich nehme sie mit nach Madrid und versorge sie. Ich bin ledig, bejahrt, ohne Verwandte, sie werden das Glück meiner alten Tage machen, und nach meinem Tode hinterlaß ich ihnen eine der ansehnlichsten Handlungen in Spanien.« Man vertraute ihm die älteste und eine der jüngern Schwestern. Der Vater übernahm, das Haus mit allen französischen Waren zu versehn, die man verlangen würde, und so hatte alles ein gutes Ansehn, bis der Korrespondent mit Tode abging, ohne die Französinnen im geringsten zu bedenken, die sich denn in dem beschwerlichen Falle sahen, allein einer neuen Handlung vorzustehen.
Die älteste hatte unterdessen geheiratet, und unerachtet des geringen Zustandes ihrer Glücksgüter erhielten sie sich durch gute Aufführung und durch die Annehmlichkeit ihres Geistes eine Menge Freunde, die sich wechselsweise beeiferten, ihren Kredit und ihre Geschäfte zu erweitern.
CLAVIGO wird immer aufmerksamer.
BEAUMARCHAIS. Ungefähr um eben die Zeit hatte sich ein junger Mensch, von den Kanarischen Inseln bürtig, in dem Hause vorstellen lassen.
CLAVIGO verliert alle Munterkeit aus seinem Gesicht, und sein Ernst geht nach und nach in eine Verlegenheit über, die immer sichtbarer wird.
BEAUMARCHAIS. Ungeachtet seines geringen Standes und Vermögens nimmt man ihn gefällig auf. Die Frauenzimmer, die eine große Begierde zur französischen Sprache an ihm bemerkten, erleichtern ihm alle Mittel, sich in weniger Zeit große Kenntnisse zu erwerben.
Voll von Begierde, sich einen Namen zu machen, fällt er auf den Gedanken, der Stadt Madrid das seiner Nation noch unbekannte Vergnügen einer Wochenschrift im Geschmack des englischen »Zuschauers« zu geben. Seine Freundinnen lassen es nicht ermangeln, ihm auf alle Art beizustehn; man zweifelt nicht, daß ein solches Unternehmen großen Beifall finden würde; genug, ermuntert durch die Hoffnung, nun bald ein Mensch von einiger Bedeutung werden zu können, wagt er es, der jüngsten einen Heiratsvorschlag zu tun.
Man gibt ihm Hoffnung. »Sucht Euer Glück zu machen«, sagt die älteste, »und wenn Euch ein Amt, die Gunst des Hofes, oder irgend sonst ein Mittel ein Recht wird gegeben haben, an meine Schwester zu denken, wenn sie Euch denn andern Freiern vorzieht, kann ich Euch meine Einwilligung nicht versagen.«
CLAVIGO bewegt sich in höchster Verwirrung auf seinem Sessel.
BEAUMARCHAIS. Die jüngste schlägt verschiedene ansehnliche Partieen aus; ihre Neigung gegen den Menschen nimmt zu und hilft ihr die Sorge einer ungewissen Erwartung tragen; sie interessiert sich für sein Glück wie für ihr eigenes, und ermuntert ihn, das erste Blatt seiner Wochenschrift zu geben, das unter einem vielversprechenden Titel erscheint.
CLAVIGO ist in der entsetzlichsten Verlegenheit.
BEAUMARCHAIS ganz kalt. Das Werk macht ein erstaunendes Glück; der König selbst, durch diese liebenswürdige Produktion ergetzt, gab dem Autor öffentliche Zeichen seiner Gnade. Man versprach ihm das erste ansehnliche Amt, das sich auftun würde. Von dem Augenblick an entfernt er alle Nebenbuhler von seiner Geliebten, indem er ganz öffentlich sich um sie bemühte. Die Heirat verzog sich nur in Erwartung der zugesagten Versorgung. – Endlich, nach sechs Jahren Harrens, ununterbrochener Freundschaft, Beistands und Liebe von seiten des Mädchens, nach sechs Jahren Ergebenheit, Dankbarkeit, Bemühungen, heiliger Versicherungen von seiten des Mannes, erscheint das Amt – und er verschwindet.
CLAVIGO es entfährt ihm ein tiefer Seufzer, den er zu verbergen sucht, und ganz außer sich ist.
BEAUMARCHAIS. Die Sache hatte zu großes Aufsehn gemacht, als daß man die Entwicklung sollte gleichgültig angesehen haben. Ein Haus für zwei Familien war gemietet. Die ganze Stadt sprach davon. Alle Freunde waren aufs höchste aufgebracht und suchten Rache. Man wendete sich an mächtige Gönner; allein der Nichtswürdige, der nun schon in die Kabalen des Hofs initiiert war, weiß alle Bemühungen fruchtlos zu machen und geht in seiner Insolenz so weit, daß er es wagt, den Unglücklichen zu drohen, wagt, denen Freunden, die sich zu ihm begeben, ins Gesicht zu sagen: die Französinnen sollten sich in acht nehmen, er biete sie auf, ihm zu schaden, und wenn sie sich unterständen, etwas gegen ihn zu unternehmen, so wär's ihm ein leichtes, sie in einem fremden Lande zu verderben, wo