Johann Wolfgang von Goethe

Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen


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nicht wollen, so sei's denn unter uns beiden um Leben und Tod gespielt. Und der das Opfer seiner Übereilung wird, sind immer Sie und Ihre arme Schwester.

      BEAUMARCHAIS. Es steht Ihnen an, die zu bedauern, die Sie unglücklich gemacht haben.

      CLAVIGO sich setzend. Sind Sie das zufrieden?

      BEAUMARCHAIS. Gut denn, ich gebe nach! Aber keinen Augenblick länger. Ich komme von Aranjuez, ich frage, ich höre! Und hat man Ihnen nicht vergeben, wie ich denn hoffe, wie ich's wünsche! – gleich auf, und mit dem Zettel in die Druckerei.

      CLAVIGO nimmt Papier. Wie verlangen Sie's?

      BEAUMARCHAIS. Mein Herr! in Gegenwart Ihrer Bedienten.

      CLAVIGO. Wozu das?

      BEAUMARCHAIS. Befehlen Sie nur, daß sie in der anstoßenden Galerie gegenwärtig sind. Man soll nicht sagen, daß ich Sie gezwungen habe.

      CLAVIGO. Welche Bedenklichkeiten!

      BEAUMARCHAIS. Ich bin in Spanien, und habe mit Ihnen zu tun.

      CLAVIGO. Nun denn! Er klingelt. Ein Bedienter. Ruft meine Leute zusammen, und begebt euch auf die Galerie herbei! Der Bediente geht, die übrigen kommen und besetzen die Galerie.

      CLAVIGO. Sie überlassen mir, die Erklärung zu schreiben.

      BEAUMARCHAIS. Nein, mein Herr! Schreiben Sie, ich bitte, schreiben Sie, wie ich's Ihnen sage.

      CLAVIGO schreibt.

      BEAUMARCHAIS. Ich Unterzeichneter, Joseph Clavigo, Archivarius des Königs –

      CLAVIGO. Des Königs.

      BEAUMARCHAIS. – bekenne, daß, nachdem ich in dem Hause der Madame Guilbert freundschaftlich aufgenommen worden –

      CLAVIGO. Worden.

      BEAUMARCHAIS. – ich Mademoiselle von Beaumarchais, ihre Schwester, durch hundertfältig wiederholte Heiratsversprechungen betrogen habe. – Haben Sie's? –

      CLAVIGO. Mein Herr!

      BEAUMARCHAIS. Haben Sie ein ander Wort dafür?

      CLAVIGO. Ich dächte –

      BEAUMARCHAIS. Betrogen habe. Was Sie getan haben, können Sie ja noch eher schreiben. – Ich habe sie verlassen, ohne daß irgend ein Fehler oder Schwachheit von ihrer Seite einen Vorwand oder Entschuldigung dieses Meineids veranlaßt hätte.

      CLAVIGO. Nun!

      BEAUMARCHAIS. Im Gegenteil ist die Aufführung des Frauenzimmers immer rein, untadelig und aller Ehrfurcht würdig gewesen.

      CLAVIGO. Würdig gewesen.

      BEAUMARCHAIS. Ich bekenne, daß ich durch mein Betragen, den Leichtsinn meiner Reden, durch die Auslegung, der sie unterworfen waren, öffentlich dieses tugendhafte Frauenzimmer erniedrigt habe; weswegen ich sie um Vergebung bitte, ob ich mich gleich nicht wert achte, sie zu erhalten.

      CLAVIGO hält inne.

      BEAUMARCHAIS. Schreiben Sie! Schreiben Sie! – Welches Zeugnis ich mit freiem Willen und ungezwungen von mir gegeben habe, mit dem besondern Versprechen, daß, wenn diese Satisfaktion der Beleidigten nicht hinreichend sein sollte, ich bereit bin, sie auf alle andere erforderliche Weise zu geben. Madrid.

      CLAVIGO steht auf, winkt den Bedienten, sich wegzubegeben, und reicht ihm das Papier. Ich habe mit einem beleidigten, aber mit einem edeln Menschen zu tun. Sie halten Ihr Wort und schieben Ihre Rache auf. In dieser einzigen Rücksicht, in dieser Hoffnung hab ich das schimpfliche Papier von mir gestellt, wozu mich sonst nichts gebracht hätte. Aber ehe ich es wage, vor Donna Maria zu treten, hab ich beschlossen, jemanden den Auftrag zu geben, mir bei ihr das Wort zu reden, für mich zu sprechen – und der Mann sind Sie.

      BEAUMARCHAIS. Bilden Sie sich das nicht ein!

      CLAVIGO. Wenigstens sagen Sie ihr die bittere herzliche Reue, die Sie an mir gesehn haben. Das ist alles, alles, warum ich Sie bitte; schlagen Sie mir's nicht ab; ich müßte einen andern, weniger kräftigen Vorsprecher wählen, und Sie sind ihr ja eine treue Erzählung schuldig. Erzählen Sie ihr, wie Sie mich gefunden haben!

      BEAUMARCHAIS. Gut, das kann ich, das will ich. Und so adieu.

      CLAVIGO. Leben Sie wohl. Er will seine Hand nehmen, Beaumarchais hält sie zurück.

      CLAVIGO allein. So unerwartet aus einem Zustand in den andern. Man taumelt, man träumt! – Diese Erklärung, ich hätte sie nicht geben sollen. – Es kam so schnell, so unerwartet als ein Donnerwetter!

      Carlos kommt.

      CARLOS. Was hast du für Besuch gehabt? Das ganze Haus ist in Bewegung; was gibt's?

      CLAVIGO. Mariens Bruder.

      CARLOS. Ich vermutet's. Der Hund von einem alten Bedienten, der sonst bei Guilberts war und der mir nun trätscht, weiß es schon seit gestern, daß man ihn erwartet habe, und trifft mich erst diesen Augenblick. Er war da?

      CLAVIGO. Ein vortrefflicher Junge.

      CARLOS. Den wollen wir bald los sein. Ich habe den Weg über schon gesponnen! – Was hat's denn gegeben? Eine Ausforderung? eine Ehrenerklärung? War er fein hitzig, der Bursch?

      CLAVIGO. Er verlangte eine Erklärung, daß seine Schwester mir keine Gelegenheit zur Veränderung gegeben.

      CARLOS. Und du hast sie ausgestellt?

      CLAVIGO. Ich hielt es fürs Beste.

      CARLOS. Gut, sehr gut! Ist sonst nichts vorgefallen?

      CLAVIGO. Er drang auf einen Zweikampf oder die Erklärung.

      CARLOS. Das letzte war das Gescheitste. Wer wird sein Leben gegen einen so romantischen Fratzen wagen. Und forderte er das Papier ungestüm?

      CLAVIGO. Er diktierte mir's, und ich mußte die Bedienten in die Galerie rufen.

      CARLOS. Ich versteh! Ah! nun hab ich dich, Herrchen! das bricht ihm den Hals. Heiß mich einen Schreiber, wenn ich den Buben nicht in zwei Tagen im Gefängnis habe, und mit dem nächsten Transport nach Indien.

      CLAVIGO. Nein, Carlos. Die Sache steht anders, als du denkst.

      CARLOS. Wie?

      CLAVIGO. Ich hoffe, durch seine Vermittlung, durch mein eifriges Bestreben, Verzeihung von der Unglücklichen zu erhalten.

      CARLOS. Clavigo!

      CLAVIGO. Ich hoffe, all das Vergangene zu tilgen, das Zerrüttete wieder herzustellen und so in meinen Augen und in den Augen der Welt wieder zum ehrlichen Mann werden.

      CARLOS. Zum Teufel, bist du kindisch geworden? Man spürt dir doch immer an, daß du ein Gelehrter bist. – Dich so betören zu lassen! Siehst du nicht, daß das ein einfältig angelegter Plan ist, um dich ins Garn zu sprengen?

      CLAVIGO. Nein, Carlos, er will die Heirat nicht; sie sind dagegen, sie will nichts von mir hören.

      CARLOS. Das ist die rechte Höhe. Nein, guter Freund, nimm mir's nicht übel, ich hab wohl in Komödien gesehen, daß man einen Landjunker so geprellt hat.

      CLAVIGO. Du beleidigst mich. Ich bitte, spare deinen Humor auf meine Hochzeit! Ich bin entschlossen, Marien zu heiraten. Freiwillig, aus innerm Trieb. Meine ganze Hoffnung, meine ganze Glückseligkeit ruht auf dem Gedanken, ihre Vergebung zu erhalten. Und dann fahr hin, Stolz! An der Brust dieser Lieben liegt noch der Himmel wie vormals; aller Ruhm, den ich erwerbe, alle Größe, zu der ich mich erhebe, wird mich mit doppeltem Gefühl ausfüllen: denn das Mädchen teilt's mit mir, die mich zum doppelten Menschen macht. Leb wohl! ich muß hin! ich muß die Guilbert wenigstens sprechen.

      CARLOS. Warte nur bis nach Tisch!

      CLAVIGO. Keinen Augenblick.

      CARLOS ihm nachsehend und eine Weile schweigend. Da macht wieder jemand einmal einen dummen Streich. Ab.

      Dritter Akt

      Guilberts Wohnung.